Verurteilt wegen Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Vor 70 Jahren endete der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess

Von nh

In vielen Ländern wurde nach dem Sieg über den Faschismus 1945 die Forderung der Antihitlerkoalition und ihrer Verbündeten nach Bestrafung der Nazi- und Kriegsverbrecher verwirklicht. (Siehe dazu auch den Artikel von Tim Engels „Ein Jahrhundertprozess“ in der UZ vom 7. und 13.11.2015)

Bereits 1940 hatten die britischen, tschechischen, französischen und polnischen Regierungen offiziell Protest eingelegt gegen die Verbrechen, die von den deutschen Okkupanten während der Besetzung der Tschechoslowakei und Polens begangen wurden. In London wurde 1942 erstmals der Versuch unternommen, ein Programm zur Bestrafung der Kriegsverbrecher zu entwickeln (Erklärung von St. James). Im Oktober 1942 trat erstmals die gebildete „Kriegsverbrecherkommission der Vereinigten Nationen zusammen. Im November 1943 wurde anlässlich der Moskauer Konferenz die „Erklärung über deutsche Grausamkeiten im besetzten Europa“ veröffentlicht.

Als sich der Krieg in Europa seinem Ende näherte, wurde die Frage des Umgangs mit den Kriegsverbrechern eine der wichtigsten Aufgaben für den Frieden (G. Müller-Ballin, „Die Nürnberger Prozesse“, Nürnberg 1995, S. 7). Auf der Londoner Konferenz, die am 26. Juni 1945 eröffnet wurden, wurde durch die Vertreter der vier Alliierten – Großbritannien, Frankreich, UdSSR, USA – ein „Abkommen über die Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der europäischen Achse“ sowie eine „Verfassung der Internationalen Militärgerichte“ diskutiert und erarbeitet. Dem Abkommen, das nach kontroversen Debatten am 8. August 1945 beschlossen wurde, schlossen sich 19 weitere Staaten an. Berlin wurde als Dauersitz des Tribunals, Nürnberg als Verhandlungsort des ersten Prozesses ausgewählt. (ebenda)

Dieser erste Prozess fand in Nürnberg vom 20. November 1945 bis 1. Oktober 1946 vor dem eigens von den alliierten Siegermächten eingerichteten Internationalen Militärgerichtshof statt. Er war der erste der dreizehn Nürnberger Prozesse und richtete sich gegen die Hauptkriegsverbrecher. Hitler, Goebbels, Himmler und andere Hauptkriegsverbrecher hatten sich durch Selbstmord der Verantwortung entzogen. Erstmals in der Geschichte wurden in Nürnberg die für die Vorbereitung und Entfesselung eines Aggressionskrieges und unfassbarer Verbrechen Hauptverantwortlichen angeklagt und verurteilt.

Am 20.11.1945 begann im Nürnberger Justizpalast in der Fürther Straße 110 im Saal 600 der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher. Hauptverantwortliche faschistische deutsche Politiker und Militärs standen vor Gericht: Göring, Hess, von Ribbentrop, Keitel, Kaltenbrunner, Rosenberg u. v. a. Angeklagt waren 24 Einzelpersonen sowie sechs Gruppen und Organisationen – das Reichskabinett, das Führerkorps der NSDAP, SS und SD, SA und Gestapo, Generalstab und Oberkommando der Wehrmacht. Robert Ley erhängte sich noch vor Prozessbeginn in seiner Zelle. Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, der „symbolisch“ für die deutsche Rüstungsindustrie angeklagt wurde, war „nicht verhandlungsfähig“. Ihm warf die Anklage vor: „dass er die Machtergreifung der Nazi-Verschwörer förderte und ihre Kontrolle über Deutschland stärkte und festigte; er förderte die Vorbereitung für den Krieg. Er nahm teil an den militärischen und wirtschaftlichen Plänen und Vorbereitungen der Nazi-Verschwörer für Angriffskriege; er genehmigte und leitete Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Humanität, besonders Ausbeutung und Missbrauch von Menschen für Arbeit in der Führung von Angriffskriegen, und nahm an diesen Verbrechen teil“. (zitiert nach ebenda, S. 16) Anträge der Anklagevertretung, gegen ihn in Abwesenheit zu verhandeln oder an seine Stelle Sohn Alfred zu setzen, wurden von den Richtern abgewiesen (siehe ebenda, S. 16). Martin Bormann, Hitlers Privatsekretär, saß gleichfalls nicht auf der Anklagebank. Sein Verbleib galt als unbekannt.

So wurde letztlich gegen 21 ehemals führende Vertreter des „1 000-jährigen Reiches“ sowie die genannten Gruppen und Nazi-Organisationen verhandelt. Die Anklage lautete auf Verschwörung, Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Nach dem Verlesen der Anklageschrift erklärten sich alle 21 für „unschuldig“.

Ankläger Robert H. Jackson (USA) verlas daraufhin die Eröffnungsrede der Anklage. Darin erklärte er unter anderem: „… Die Untaten, die wir zu verurteilen und zu bestrafen suchen, waren so ausgeklügelt, so böse und von so verwüstender Wirkung, dass die menschliche Zivilisation es nicht dulden kann, sie unbeachtet zu lassen, sie würde sonst eine Wiederholung solchen Unheils nicht überleben. Als vier große Nationen, erfüllt von ihrem Siege und schmerzlich gepeinigt von dem geschehenen Unrecht, nicht Rache üben, sondern ihre gefangenen Feinde freiwillig dem Richterspruch des Gesetzes übergeben, ist eines der bedeutsamsten Zugeständnisse, das die Macht jemals der Vernunft eingeräumt hat.“ (Zitiert nach ebenda, S. 17)

Das Gericht fällte nach 10 Verhandlungsmonaten und umfangreicher Beweisführung 12 Todesurteile, verhängte sieben Haftstrafen (drei mal lebenslänglich – Rudolf Heß, Walter Funk sowie Erich Raeder –, vier Strafen zwischen 10 und 20 Jahren) und entschied gegen die Stimme des sowjetischen Anklagevertreters General Rudenko auf drei Freisprüche (Hjalmar Schacht, Franz von Papen sowie Hans Fritsche).

Die Todesurteile wurden in den frühen Morgenstunden des 16. Oktober 1946 vollstreckt. Hermann Göring entzog sich der Hinrichtung durch Selbstmord. Die zu Haftstrafen verurteilten faschistischen Kriegsverbrecher wurden in das unter Befehl der vier alliierten Mächte gestellte Gefängnis in Berlin-Spandau überführt.

Raeder, Oberbefehlshaber der faschistischen Kriegsmarine, der 1920 schon den Kapp-Putsch begrüßt hatte, wurde im September 1955 aus gesundheitlichen Gründen aus der Haft entlassen. Als er 1960 starb, schrieb „Der Spiegel“: „Er musste zwar auf die Festung, als Deutschland frei wurde, aber er wurde begnadigt, als man die ersten Fischkutter für die Bundesmarine umrüstete.“ Doch das Verteidigungsministerium erklärte – anders als bei anderen Nazi- und Kriegsverbrechern, die die Bundeswehr aufbauten oder nach denen Kasernen benannt wurden –, der freigelassene Raeder sei nicht das Vorbild dieser Bundesmarine. („Der Spiegel“, 16.11.1960)

Das sahen andere damals durchaus anders.

Walter Funk, Reichswirtschaftsminister und Reichsbankpräsident während der Zeit des Faschismus, wurde 1957 aus den gleichen Gründen aus der Haft entlassen. Im Dezember 1958 verurteilte ihn die West-Berliner Spruchkammer zu einer Geldstrafe von 10900 DM. Das Urteil sollte als symbolische „Wiedergutmachung“ für die von ihm unterstützte Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden begriffen werden.Welch ein Hohn.

Einige Monopolvertreter standen später noch im Flick-,sowie im IG-Farben- sowie im Krupp-Prozess vor Gericht. In diesen gab es nicht nur eine Reihe von Freisprüchen, sondern nicht wenige der Verurteilten wurden vorzeitig aus der Haft entlassen. Teilweise – wie der gerade zu sieben Jahren Haft verurteilte Fritz ter Meer, Vorstandsmitglied der IG Farben und oberster Verantwortlicher der IG für Auschwitz – schon 1950 oder früher. Im Krupp-Prozess wurden zwar härtere Urteile verhängt. jedoch erhielt Alfred Krupp von Bohlen und Halbach, dessen Vermögen (Urteilsverkündung am 31. Juli 1948) zudem eingezogen worden war, dieses 1951 wieder zurück.

Die UNO bestätigte im Dezember 1946 die Prinzipien des Nürnberger Prozesses als völkerrechtliche Grundsätze. Nicht wenige der später zu Haftstrafen verurteilten Kriegsverbrecher machten aber in der Bundesrepublik Deutschland recht bald wieder Karriere.

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"Vor 70 Jahren endete der Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess", UZ vom 14. Oktober 2016



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