Der Kommunalpolitiker Karl Liebknecht plädierte für eine gerechte kommunale Gewerbesteuer

„Wir haben genug Geld“

Bevor Karl Liebknecht 1912 in den Reichstag gewählt wurde, hatte er als Kommunalpolitiker parlamentarische Erfahrungen gesammelt: Von 1902 bis 1913 war er sozialdemokratischer Stadtverordneter in Berlin.

Am 29. Oktober 1903 stand in der Stadtverordnetenversammlung die Gemeindesteuerreform auf der Tagesordnung. In dieser Sitzung sagte Liebknecht. „Natürlich ist mir bekannt, dass diese Steuer kontingentiert ist und dass es sich nur darum handeln kann, die Prinzipien der Gerechtigkeit durchzuführen. Das ist aber doch auch des Schweißes der Edlen wert. Wir brauchen doch nicht immer bloß Geld haben zu wollen. Wir haben genug Geld. (Lebhafte Zurufe: ‚Wo denn?’) Wir haben jedenfalls so viel Geld, dass wir nicht nötig haben, es den Bedürftigen aus der Tasche zu ziehen.“

In der Debatte formulierte Liebknecht Grundlinien „Für eine gerechte kommunale Gewerbesteuer“, die wir hier in Auszügen wiedergeben.

Das ist aber doch gerade die Frage; wir wollen doch eine Steuerordnung einführen, und das bei Einführung einer besonderen Gewerbesteuerordnung nach anderen Prinzipien als denen der Staatsgewerbesteuer es zulässig ist, auch eine schärfere Progression durchzuführen, das unterliegt meiner Auffassung nach und nach Lage des Gesetzes keinem Bedenken. Hier ist schon ein Punkt, bei dem eingesetzt werden könnte, um die Gewerbesteuer in einem Sinne, der auch vom Magistrat anscheinend nicht ohne weiteres verworfen wird, zu verbessern.

Eine zweite Frage ist die, ob es möglich ist – ein dahingehender Wunsch ist auch gelegentlich bereits aus der Stadtverordnetenversammlung heraus geäußert worden –, auch solche Personen als Zensiten heranzuziehen, die bisher zur Gewerbesteuer nicht herangezogen werden. In dieser Beziehung muss ich mich auf den Standpunkt stellen, dass leider eine Verbesserung des Gesetzes nicht möglich ist; die Hände sind uns gebunden. Es ist zum Beispiel zu meinem großen Bedauern nicht möglich – ich spreche hier nicht prodomo, sondern contra domum –, auch die Rechtsanwälte und Ärzte zur Gewerbesteuer heranzuziehen; man wird infolgedessen in dieser Beziehung eine Verbesserung der bestehenden Verhältnisse nicht herbeiführen können.

Ich habe aber noch einen anderen Punkt im Auge, in dem sicherlich die gegenwärtigen Verhältnisse sehr stark verbesserungsbedürftig und verbesserungsfähig sind. Das ist insbesondere die Ungerechtigkeit, die darin liegt, dass die kleinen Gastwirte von der Gewerbesteuer, wie wir sie gegenwärtig haben, so außerordentlich heftig getroffen werden. Die kleinen Gastwirte, von 1.500 Mark Einkommen aufwärts, haben eben nicht nur die Gewerbesteuer, sondern auch die Betriebssteuer und alles mögliche andere noch zu tragen, so dass man es für sehr zweckmäßig halten müsste, wenn in dieser Beziehung eine Änderung getroffen werden könnte im Wege einer Reform, sei es der Betriebssteuer, sei es der Gewerbesteuer.

Meiner Auffassung nach gibt schon Paragraph 31 des Kommunalabgabengesetzes die allerbeste Gelegenheit für die Stadt Berlin, einen begangenen Fehler wieder gut zu machen. Nach diesem Paragraphen 31 ist es möglich, dass eine besondere Abstufung der Gewerbesteuersätze und -prozente stattfindet, wenn die einzelnen Gewerbearten in verschiedenem Maße von den Veranstaltungen der Gemeinde Vorteil ziehen oder der Gemeinde Kosten verursachen.

Es ist schon darauf hingewiesen, dass man auf Grund dieser Bestimmung in der Lage wäre, das Fuhrgewerbe zum Beispiel in einer besonders kräftigen Weise heranzuziehen. Ich könnte mich unter keinen Umständen damit einverstanden erklären, dass zum Beispiel das Droschkenfuhrgewerbe und dergleichen als besonders steuerkräftig betrachtet und dementsprechend stärker belastet würde; wohl aber dürfte es zweckmäßig sein, hier der Großen Berliner Straßenbahn – diesem kapitalistischen Unternehmen, das der Stadt Berlin seit Jahren als ein Vampir am Halse hängt, nachdem die Stadtverwaltung es abgelehnt hat, zur rechten Zeit zuzugreifen, um den Verdienst, den sich dieses Privatunternehmen in die Tasche steckt, selbst einzuheimsen –, dieser Großen Berliner Straßenbahn ein wenig auf den Zahn zu fühlen und die Steuerschraube bei ihr etwas kräftiger anzuziehen.

Es ist des weiteren gelegentlich angeregt worden, ob man nicht die Hotels, die großen Bierhäuser, die Theater und dergleichen, weil sie aus der Eigenschaft der Stadt Berlin als Residenz großen Nutzen ziehen, auch stärker in Anspruch nehmen solle. Ich möchte dazu bemerken, dass ich es für äußerst bedenklich halten würde, wenn man eine Art Kultursteuer auf die Theater legen würde; davon kann nach meiner Überzeugung keine Rede sein. Die Tingeltangel, Wintergarten und so weiter mag man meinethalben treffen. Ebenso wenig könnte ich mich mit der höheren Besteuerung der Hotels einverstanden erklären, weil sie, wie Kollege Singer gelegentlich bereits erwähnt hat, hinauslaufen könnte auf eine Besteuerung des Verkehrs. Anders ist es bei Bierpalästen; wenn ein Pfennig oder Pfennigteil von dem Verdienste, den die Herren jetzt am Glase Bier haben, abgeschöpft würde, so würde das die Masse der Konsumenten nicht treffen. (…)

Von dem Herrn Kämmerer ist die Stadtverordnetenversammlung als die Mutter des Magistrats bezeichnet worden. Das ist ja ganz schön; es ist aber etwas unvorsichtig, einen derartigen Vergleich gerade heute zu ziehen. Seit wann behandelt man denn seine Mutter in der Weise, wie der Magistrat die Stadtverordnetenversammlung in Bezug auf den hier vorliegenden Antrag behandelt hat?

Meine Herren, im Jahre 1898 bekannte sich der Herr Kämmerer Maaß, er persönlich und mit ihm die Vertreter aller Parteien, als Anhänger einer Gewerbesteuerreorganisation. Er berichtete, dass vom Magistrat eine große Kommission zur Beratung dieser ganzen Angelegenheit eingesetzt sei, dass er überzeugt sei, in nicht allzu langer Zeit das Resultat dieser Kommissionsberatungen vorlegen zu können, und dass demnächst in die Beratung der gemischten Deputation eingetreten werden könne. Was ist denn nun geschehen? Fünf Jahre ist es her. Durch ein einfaches Versehen in Bezug auf Reproduktion kann man die fünf Jahre nicht erklären. Die Kommission hat doch existiert! Was ist daraus geworden? Ist sie vom Erdboden verschwunden? Ich habe aus den Ausführungen des Herrn Kämmerers gar nichts davon gehört, was aus der Kommission geworden ist. Wir haben doch wenigstens das eine Recht, vom Magistrat zu erwarten, dass er uns erzählt, was in der Kommission beraten ist. (…) Wir wollen eine Vorlage haben über die Stellungnahme des Magistrats zu den Anträgen von 1898, wir werden dann auf Grund der Darstellungen, die wahrscheinlich sehr scharfsinnig sein werden, und auf Grund des großen Materials vielleicht sehen, dass der Magistrat recht hat; wir wollen aber auch selbst prüfen. Wir wollen doch nicht einfach sagen: Der Kämmerer Maaß hat gesprochen, der Name des Kämmerers Maaß sei gelobt – und die Hände zusammenfalten! Das erinnert an Leute, die das Theater nicht besuchen, sondern bloß die Kritiken lesen und danach aburteilen.

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"„Wir haben genug Geld“", UZ vom 16. April 2021



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