Weltweit sind Kriegsgegner in der Mehrheit. In Deutschland sollen sie zur Minderheit gemacht werden

„Wir müssen die Spaltung überwinden“

Während die Bundesregierung den Krieg in der Ukraine weiter eskaliert, wächst die Forderung nach diplomatischen Lösungen. UZ sprach mit dem Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko („Die Linke“) über Angriffe auf die Friedensbewegung, den sich ausbreitenden „McCarthyismus“ und die Frage, ob „Die Linke“ noch eine Friedenspartei sein will.

UZ: Vergangene Woche haben die Waffenlieferungen einen neuen Höhepunkt erreicht, nun sollen Kampfjets folgen. Die Eskalationsschraube dreht sich immer schneller. Die Friedensbewegung ist lebendig, aber nicht so stark, wie sie in dieser Situation eigentlich sein müsste. Woran liegt das?

Andrej Hunko: Ich denke, der russische Einmarsch vom 24. Februar war für breite Teile der Öffentlichkeit ein Schock, auch für mich. Das hatte natürlich Auswirkungen auf die Friedensbewegung. Doch je länger der Krieg läuft, umso deutlicher wird, dass unsere Bundesregierung, die EU und die NATO-Staaten überhaupt keine Initiativen zur Beendigung dieses Krieges starten. Die Bundesregierung setzt inzwischen praktisch auf einen militärischen Sieg und ist bereit, immer weiter zu eskalieren. Die Mehrheit der Bevölkerung wünscht sich aber diplomatische Initiativen. Damit steigt das Bedürfnis, diese Forderung nach Frieden auf die Straße zu tragen. Das haben wir ja auch gesehen. Die wirkmächtigste Aktion war zweifellos die Kundgebung von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer am Brandenburger Tor. Wir könnten uns jetzt streiten, ob da 30.000 oder 50.000 Menschen waren – aber das ist ja nicht der Punkt. Es war eine massive Demonstration trotz wirklich fiesen Wetters. Parallel dazu gab es die äußerst erfolgreiche Petition. Das hat realen Druck ausgeübt und wurde direkt zum Gegenstand der öffentlichen Debatte. Und leider auch zur Zielscheibe von Denunziationen. Die Diffamierung der Friedensbewegung hat massiv zugenommen. Das reicht teilweise bis in linke und friedensbewegte Kreise hinein. Da wird dann von rechten Kräften gesprochen, die angeblich da gewesen wären. Und wenn man keine explizit Rechten findet, dann waren es halt „rechtsoffene“ oder „verschwörungstheoretische“ Kräfte, oder „Querdenker“, was sich ja in der Corona–Zeit auch zum Kampfbegriff entwickelt hat. Da werden neue Begriffe kreiert, die total unscharf sind. Gegen den Vorwurf „Putin-Troll“ zu sein, kann Erdogans Terrorismusbegriff als sehr präzise angesehen werden. Auf diese Weise kann man jede Opposition mundtot machen.

UZ: Welche Rolle spielen die Medien?

Andrej Hunko: Bestimmte Kräfte in den Medien haben ein Interesse an der Diffamierung der Friedensbewegung. Das kann man verstehen, das ist ja deren Job. Aber sie spielen eine fatale Rolle. Vor ein paar Monaten habe ich auf einer Antikriegskundgebung in Aachen auf dem Markt gesprochen. Wir haben uns das gut angeschaut und es waren keine Rechten zu sehen: keine Symbole, gar nix. Irgendwo am Rand stand dann aber offenbar ein AfD-Mitglied. Darauf basierte dann eine „Spiegel“-Meldung, die auch international verbreitet wurde. Der Tenor: Gemeinsamer Aufmarsch von Hunko und AfD. Im „Neuen Deutschland“ wurde das dann sogar noch weitergedreht. Da hieß es dann: Hunko „teilte sich das Mikrofon mit AfDlern“. Das war schlicht gelogen, es waren keine rechten Redner da. Trotzdem wird dieser Eindruck erweckt.

Ein anderes Beispiel sind die sogenannten „Faktenchecker“. Ich erinnere mich an einen „Faktencheck“ zur Friedensbewegung bei der „Tagesschau“. Da wurde alles in einen Topf gerührt. Die Friedenskundgebung von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer und eine Reihe von Leuten, die als ganz ganz gefährliche Stimmen dargestellt wurden: Daniele Ganser, Roger Waters, Gabriele Krone-Schmalz. Das läuft immer nach dem gleichen Muster. Statt konkrete Aussagen zu belegen, wird mit unscharfen Begriffen, Framing und Assoziationen gearbeitet. Diese Art von Diffamierung könnte vor keinem bürgerlichen Gericht standhalten. Da reicht es ja auch nicht, mit dem Finger auf jemanden zu zeigen und zu behaupten: Der ist komisch.

Das einzige Argument ist der Krieg, den die Genannten im Übrigen verurteilt haben. Aber sie weisen darauf hin, dass der eine Geschichte hat und dass das Gesamtproblem anders gelagert ist. Da geht es um die NATO-Osterweiterung, den Putsch in Kiew 2014, die Nichtumsetzung von Minsk II. Die Erinnerung an all das soll aus dem öffentlichen Diskurs verschwinden.

UZ: Wie wirkt sich das konkret aus?

Andrej Hunko: In Aachen habe ich im Januar auf zwei Kundgebungen gesprochen, auf denen gegen die Lieferung von Leopard-II-Panzern demonstriert wurde. Das waren zwei Gruppen, die nicht miteinander kooperieren. Da spielen die eben genannten Vorwürfe eine Rolle, die gegen bestimmte Personen gerichtet sind. Die Inhalte der Aufrufe werden gar nicht diskutiert, obwohl die sich so ähneln, dass die eine Gruppe problemlos bei der anderen unterschreiben könnte. Das ist natürlich ein Problem.

Ich selbst komme aus der Bewegung gegen Hartz IV. Die Proteste in den Jahren 2004 und 2005 waren mein Einstieg in die Bundespolitik. Damals gab es dort auch rechte Kräfte und wir haben sie zurückgedrängt! Wir sind nicht vor denen weggelaufen, sondern wir haben sie isoliert und an den Rand gedrängt, bis sie dann nicht mehr gekommen sind. Aber wir haben das doch nicht in den Mittelpunkt gestellt. Die gesellschaftliche Linke war damals in der Lage, die Führung über diese Bewegung zu übernehmen. Am Ende ist daraus sogar eine neue linke Partei hervorgegangen. Das war ein historischer Erfolg, der uns die Rechten erst mal 10 bis 15 Jahre vom Hals gehalten hat. Möglich war das nur, weil wir um die Hegemonie gekämpft haben. Und heute? Heute werden neue Begriffe erfunden und Teile der Linken nehmen die dann zum Anlass, um sich fernzuhalten oder sogar dagegen zu demonstrieren. Das macht den gesellschaftlichen Widerstand gegen diesen Kriegskurs so unglaublich schwierig.

Noch ein Beispiel: Ich habe 2007 und 2009 Sonderzüge mit jeweils 1.000 Leuten organisiert, um von Aachen aus zur Afghanistan-Demonstration in Berlin und zum NATO-Gipfel nach Straßburg zu fahren. Und das war beides Mal ein Erfolg. Die Züge waren voll. Wir haben nicht eine Minute damit zugebracht, zu überlegen, ob in dem Zug vielleicht jemand mitfahren könnte, der sich zuvor irgendwo komisch geäußert hat. Diese Kultur, diesen McCarthyismus gab es nicht. Heute wäre das so nicht mehr möglich.

UZ: Nach dem „Aufstand für Frieden“ hat sich die Parteispitze der „Linken“ davon distanziert. Ist „Die Linke“ noch eine Friedenspartei? Will sie noch eine sein?

Andrej Hunko: „Die Linke“ will der linke Flügel des Establishments sein. Man sagt zwar, dass man Waffenlieferungen auch nicht so gut findet, aber fordert dann Sanktionen. Große Teile der Partei haben sich dem Narrativ der Bundesregierung angeschlossen, auch in der wichtigen Frage des Wirtschaftskrieges, obwohl das gegen das Wahlprogramm verstößt. Vor drei Wochen hat „Die Linke“ dann zum ersten Mal einem Militäreinsatz zugestimmt. Da ging es vordergründig um eine Evakuierung aus dem Sudan. Nun war diese Evakuierung schon gelaufen und die Bundesregierung hatte nachträglich die Entsendung von 1.600 Soldaten beantragt, um den Einsatz fortzusetzen. Das ist völlig absurd. Eine linke Partei darf solche Freibriefe nicht ausstellen! Natürlich ist niemand gegen eine Evakuierung, aber hier ging es um einen großen Militäreinsatz. Die Evakuierung war nur der Anlass. So wird ja immer vorgegangen: Militäreinsätze finden in einem Kontext statt, bei dem eigentlich kaum jemand etwas dagegen haben kann, zur Vernichtung von Chemiewaffen oder zur Evakuierung aus Afghanistan. Liest man den Text der Mandate, haben diese Überschriften mit der realen Situation nichts zu tun. Dem kann man nicht zustimmen. Einige haben sich enthalten, aber die Mehrheit der Fraktion war dafür.

Leider denke ich, dass diese Entwicklung der „Linken“ unaufhaltsam ist. Mehr und mehr Landesverbände sprechen sich inzwischen für Waffenlieferungen aus. Das ist ein Prozess, den einige vielleicht sogar schneller erwartet haben. Auch der Parteitag in Erfurt hat ja schon die Weichen in diese Richtung gestellt.

Aber, das will ich deutlich machen, es ist nicht nur ein Problem dieser Partei, sondern der gesamten Linken. Regierungsnarrative werden übernommen. Da ist von „Solidarität mit der Ukraine“ die Rede. Ja, aber Solidarität mit den Menschen in der Ukraine heißt: Verhandeln! „Recht auf Selbstverteidigung“, auch so ein Begriff, der sehr stark wirkt in einem linken Milieu. Darauf hat mich neulich ein Genosse aus Zypern angesprochen, der sagte: Schickt uns doch bitte auch Waffen, damit wir Nordzypern erobern können, das ja immer noch von der Türkei besetzt ist. Also, da wird mit scheinlinken Argumenten gearbeitet und viele kippen um.

UZ: Wie kann es in dieser Situation gelingen, die Friedensbewegung zu stärken?

Andrej Hunko: Meine internationale Arbeit zeigt mir, dass es ein extremes Nord-Süd-Gefälle gibt. In Nordeuropa schwenken fast alle parlamentarisch vertretenen Linksparteien auf den NATO-Kurs. Die skandinavischen Parteien sind für Waffenlieferungen, für Sanktionen, für „Solidarität bis zum Ende“. Ich war gerade in Island, da ist das tendenziell auch so. Da hat man dann zwar Unbehagen wegen des Militarismus, aber man lernt, damit zu leben. Es werden also nicht alle wie Toni Hofreiter, der ja alles toll findet und gerne den Panzerexperten gibt. Je weiter man in den europäischen Süden geht, desto mehr verschiebt sich die Haltung der linken Parteien und auch der Bevölkerungen. Außerhalb Europas gibt es dann fast niemanden mehr auf der Welt, der jenseits der NATO für Waffenlieferungen oder für den Wirtschaftsweltkrieg ist.

Es ist wichtig, das klar zu sehen. Wir müssen uns damit auseinanderzusetzen, wie der globale Süden auf diesen Krieg blickt. Dort wird dieser Krieg klar als Stellvertreterkrieg zwischen der NATO und Russland betrachtet. Dort erinnert man sich an die vielen anderen Kriege, die aus unserem Bewusstsein gelöscht werden sollen: an den Jugoslawienkrieg, den Irak-Krieg, die Regime-Change-Kriege in Libyen oder Syrien. Internationale Friedensinitiativen müssen unterstützt werden. Wir müssen verstehen, warum Lula so agiert, wie er agiert und nachvollziehen, was für Vorschläge China mit dem 12-Punkte-Plan macht. Weltweit sind wir eben keine Minderheit. Deshalb ist alles hilfreich, was den Blick dafür öffnet. Das ist ein wichtiger Punkt.

Zweitens: Wir sollten Diffamierungen unter uns vermeiden und auf die Überwindung dieser Spaltung, die es in vielen Städten gibt, hinarbeiten. Das geht für viele von uns mit schwierigen Situationen einher, das will ich gar nicht in Abrede stellen. Ich erlebe es ja auch an der eigenen Haut, wenn ich vor den „falschen Leute“ rede. Was ich gesagt habe, spielt dann keine Rolle mehr. Es wird nur noch darüber diskutiert, wer dabei war. Natürlich muss auch für eine breite Friedensbewegung ein Rahmen gesetzt werden. Wie das funktionieren kann, wurde in Berlin beim „Aufstand für Frieden“ für ein Millionenpublikum sichtbar. Da war vom linken bis zum bürgerlich-konservativen Spektrum alles vertreten. Rechtsaußen hatte dort keinen relevanten Platz. Die Friedensbewegung muss breit sein, aber sie darf nicht blind sein. Doch diese Kontaktschuldvorwürfe und der um sich greifende McCarthyismus sind ein großes Problem für alle, die eine starke Friedensbewegung wollen.

Über den Autor

Vincent Cziesla, Jahrgang 1988, ist seit dem Jahr 2023 Redakteur für das Ressort „Politik“. Der UZ ist er schon seit Jahren als Autor und Verfasser der „Kommunalpolitischen Kolumne“ verbunden. Während eines Praktikums lernte er die Arbeit in der Redaktion kennen und schätzen.

Cziesla ist Mitglied des Neusser Stadtrates und war von 2014 bis 2022 als hauptamtlicher Fraktionsgeschäftsführer der Linksfraktion in Neuss beschäftigt. Nebenberuflich arbeitet er in der Pflege und Betreuung von Menschen mit Behinderung.

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"„Wir müssen die Spaltung überwinden“", UZ vom 26. Mai 2023



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