Der Westen stützt sich im Kampf gegen China bis heute auf Kolonien

Wo treibt die Fregatte „Bayern“?

Erstaunlich wenig haben die Leitmedien der Bundesrepublik in den vergangenen Wochen über die aktuelle Asien-Pazifik-Fahrt der Fregatte „Bayern“ berichtet. Dabei war der Aufbruch des Kriegsschiffs am 2. August in Wilhelmshaven doch so stolz inszeniert worden. Deutschland, „Verfechter einer regelbasierten Ordnung“, sei in Zukunft auch im Indischen und im Pazifischen Ozean gefragt, hatte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer getönt – schließlich sei es „uns nicht egal, wenn geltendes Recht missachtet wird und völkerrechtswidrige Fakten geschaffen werden“. Gemünzt war das, na klar, auf China, in dessen Umgebung die Fregatte zum ersten Mal seit vielen Jahren vordringt.

Joerg Kronauer - Wo treibt die Fregatte „Bayern“? - Aggression, China, Kolonialismus - Positionen

Dabei gäbe es viel zu berichten. Über Guam etwa, die jüngste Station der „Bayern“. Die Insel, gut 6.000 Kilometer westlich von Hawaii gelegen, ist für die US-Streitkräfte mit der „Naval Base Guam“ und der „Anderson Air Force Base“ der letzte große Stützpunkt auf eigenem Territorium auf dem weiten Weg aus den USA über den riesigen Pazifik nach China. Im Kriegsfall würden US-Bomber dort zu Angriffen auf die Volksrepublik abheben; Zerstörer und U-Boote würden die Insel mit Kurs auf chinesische Gewässer verlassen. Um dies zu verhindern, müssten die chinesischen Streitkräfte die Kriegsdrehscheibe Guam mit ihren Abwehrraketen beschießen. Die Fregatte „Bayern“ ankerte mitten in einem Brennpunkt eines etwaigen großen Kriegs.

Ähnlich Palau, wo sie kurz zuvor einen Tankstopp eingelegt hatte: Auf der Insel, die noch etwas näher an Ostasien liegt, will Washington zusätzlich Militärflugplätze und -häfen bauen. Auch sie rückt damit ins Visier der chinesischen Verteidigung. Palau, auch davon könnte man erzählen, ist immerhin ein eigener Staat, seit es 1994 von den USA aus dem Kolonialstatus entlassen wurde. Dabei hat es Washington freilich im Gegenzug die Zuständigkeit für seine Verteidigung übertragen; von einer wirklichen Unabhängigkeit kann also keine Rede sein.

Guam jedoch ist eines der 17 Territorien, die die Vereinten Nationen bis heute auf ihrer Liste der „Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung“ führen. Die Liste, 1946 aufgestellt, umfasste ursprünglich auch Länder wie Kenia, Surinam oder Vietnam, die sich inzwischen aus westlicher, meist europäischer, Kolonialherrschaft befreien konnten. Guam dagegen ist bis heute US-Kolonie. Auf der erwähnten UN-Liste finden sich übrigens auch Neukaledonien sowie Französisch-Polynesien, die immer noch von Frankreich verwaltet werden. Auf die zwei Kolonien sowie auf seine „Überseegebiete“ La Réunion und Mayotte im Indischen Ozean gründet Paris seinen stolzen Anspruch, „indo-pazifische“ Macht zu sein; es hat dort immerhin fast 7.000 Soldaten stationiert: Der fortbestehende Kolonialismus macht‘s möglich.

Erwähnenswert gewesen wäre schließlich auch, dass sich auf Guam, wo die Fregatte „Bayern“ Übungen mit den US-Kolonialherren abhielt, Unmut gegenüber den Letzteren regt. Oder dass Diego Garcia, der wichtigste US-Militärstützpunkt im Indischen Ozean, auf dem die „Bayern“ auf ihrer großen Asien-Pazifik-Fahrt ebenfalls einen Tankstopp einlegte, völkerrechtswidrig in britischem Kolonialbesitz gehalten wird: Seit 2019 haben zunächst der Internationale Gerichtshof in den Haag, dann der Internationale Seegerichtshof in Hamburg entschieden, London habe im Zuge der Entkolonialisierung den Chagos-Archipel, zu dem Diego Garcia gehört, rechtsbrüchig von Mauritius abgetrennt; die UN-Generalversammlung hat das Vereinigte Königreich vor zwei Jahren förmlich aufgefordert, die Inseln Mauritius zurückzugeben. Natürlich ist das nicht geschehen. Der Westen stützt sich beim Bestreben, seine Herrschaft gegen das aufsteigende China zu verteidigen, bis heute auf Kolonien. Deutschland – „Verfechter einer regelbasierten Ordnung“? Über Diego Garcia oder Guam zu berichten, das wäre wohl etwas peinlich geworden.

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Über den Autor

Jörg Kronauer (Jahrgang 1968) ist Sozialwissenschaftler und lebt in London. Er ist Redakteur des Nachrichtenportals „german-foreign-policy.com“, freier Journalist und Buchautor. Seine Themenschwerpunkte sind Neofaschismus und deutsche Außenpolitik.

Kronauer veröffentlichte 2018 bei PapyRossa „Meinst Du, die Russen wollen Krieg? Russland, der Westen und der zweite Kalte Krieg“. Sein aktuelles Buch „Der Rivale“ analysiert die Rolle der VR China im internationalen Klassenkampf.

Für die UZ schreibt Kronauer eine monatlich erscheinende Kolumne mit dem Schwerpunkt deutsche Außen- bzw. Konfrontationspolitik gegen Russland und China.

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"Wo treibt die Fregatte „Bayern“?", UZ vom 5. November 2021



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