Anspannung in Nicaragua hält an

Zwischen Friedensdialog und Umsturzplan

Von Enrique Herrera, Managua

Auf Antrag der Regierung Nicaraguas will die Bischofskonferenz in einem nationalen Friedensdialog vermitteln. Das Präsidium der Nationalversammlung hat eine Wahrheitskommission zur Untersuchung der kürzlichen Unruhen angekündigt. Über deren angeblichen Auslöser, die Reform der Sozialversicherung, verlieren oppositionelle Kräfte kein Wort mehr.

Das Ausmaß an Toten, Gewalt und Zerstörungen hat in der Bevölkerung Bestürzung ausgelöst. Die Angaben von Opposition und offiziellen Seiten schwanken zwischen 64 und 38 Toten. Das staatliche Menschenrechtsbüro „Procuraduría para la Defensa de los Derechos Humanos“ (PDDH) hat ein Komitee für die Aufklärung über Opfer und Schäden der Unruhen gebildet, das für die Bestrafung der Verantwortlichen „egal auf welcher Seite“ und Entschädigungen sorgen soll. Parlamentspräsident Gustavo Porras informierte, dass die Wahrheitskommission in drei Monaten ihren Bericht vorlegen soll. Die Opposition und die Katholische Kirche haben mehrere Demonstrationen ohne Präsenz von Sicherheitskräften veranstaltet.

Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Brenes, kündigte an, nach Beginn des Dialogs müsste die Regierung innerhalb eines Monats für greifbare Ergebnisse sorgen. Andernfalls würden die Bischöfe ihre Mitarbeit beenden. Was ohne Zweifel im Sinn der oppositionellen Kräfte wäre, die den Sturz von Präsident Ortega fordern und einen Dialog ablehnen. Gesetzte Dialog-Teilnehmer sind der Unternehmerverband COSEP, der die anfänglichen Proteste gegen die Sozialversicherungsreform befördert hatte, und die Regierung. Etliche berufsständische Organisationen und Gremien haben ihr Interesse an einer Teilnahme erklärt.

Noch Tage nach dem Ende der Gewaltakte und Plünderungen hielt eine Gruppe Oppositioneller die Polytechnische Universität UPOLI in Managua besetzt und verhindert den Zugang anderer Personen, auch der Universitätsverwaltung. Durch Schüsse tags und nachts aus handgefertigten Mörsern gab sie zu verstehen, dass sie Dialog oder staatliche Untersuchungen ablehnen und den Sturz der Regierung erreichen wollen. Vertreter des Studentenverbands UNEN berichteten, es handle sich um universitätsfremde Personen mit handgefertigten Waffen. Der zum ersten Tag der Proteste gegründete regierungsoppositionelle Studentenverband „19. April“ erklärte, sich aus der UPOLI zurückgezogen zu haben, weil es dort „Infiltrierte“ gebe.

Die US-Regierung hat wegen der „gefährlichen Lage“ Botschaftsangehörige teilweise in die USA zurückgeholt, was Befürchtungen für die kommende Entwicklung in Nicaragua bestärkt. Denn die US-Botschaft war seit der Ermordung des Freiheitskämpfers Augusto C. Sandino im Jahr 1934 stets eine wissende Partnerin der antisandinistischen Kräfte. Der Direktor des für eine Woche abgeschalteten TV-Senders „100%-Noticias“, Miguel Mora, erklärte, Präsident Daniel Ortega müsste zurücktreten. Mora erklärte sich in einem Interview bereit, neuer Präsident zu werden. Nach seinen Angaben habe die Regierung zu Beginn der Proteste verlangt, sein Sender solle nicht darüber berichten. Wegen seiner Weigerung sei sein Sender zensiert und abgeschaltet worden. „100%-Noticias“ ist zum medialen Aushängeschild der oppositionellen Kräfte geworden. Der TV-Sender „Voice of America“ der US-Regierung hat seit Längerem tägliche Sendezeit in „100%-Noticias“.

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"Zwischen Friedensdialog und Umsturzplan", UZ vom 4. Mai 2018



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