Der Kampf gegen Reallohnverlust bei der Post

15 Prozent – ohne Abstriche

Tim Laumann

Über 140.000 der 160.000 Arbeiter bei der Deutschen Post sind in den Entgeltgruppen 1 bis 3 eingestuft. Das bedeutet, dass sie nach der zum 31. Dezember 2022 gekündigten Tariftabelle ein Bruttogehalt von 2.108,30 Euro bis 3.090,05 Euro erhalten. Das macht Netto etwa 1.500 bis 2.000 Euro. Damit zählt die absolute Mehrheit der Postbeschäftigten zum Bereich der kleinen und mittleren Einkommen, die von den aktuellen Preissteigerungen besonders hart betroffen sind. Denn die Preise, die diese Arbeiter heute zahlen müssen, sind in weit höherem Maße gestiegen als die offizielle Inflationsrate. Ein weiterer Faktor kommt hinzu: Die körperlichen wie geistigen Belastungen durch immer weitergehende Flexibilisierung zwingt die Kolleginnen und Kollegen dazu, langfristig vorzusorgen. Die Einsicht, dass sie diesen Job nicht bis zur Rente werden durchhalten können, ist weit verbreitet.

In der vorbereitenden Diskussion zur Tarifrunde bei der Post wurde auf Grundlage von Zahlen diskutiert, die von Ökonomen der ver.di, des DGB und der Hans-Böckler-Stiftung stammen. Im Wesentlichen wurde die Höhe eines Inflationsausgleichs diskutiert – und so wurden die Kolleginnen und Kollegen zu einer Forderung von 10 Prozent befragt. Doch die Antwort von über 40.000 ver.di-Mitgliedern war eindeutig: Diese Forderung ist zu niedrig. Nachdrücklich wurde eine Erhöhung der Ausbildungsgehälter und der Vergütungen der dual Studierenden gefordert und eine kurze Laufzeit angemahnt. Kritisch muss allerdings ausgewertet werden, dass die Zahl der Rückmeldungen zu den Forderungen in der Tarifrunde zu niedrig ist, gemessen an der Gesamtzahl der Beschäftigten in einem gut organisierten Betrieb. Gerade einmal ein Viertel der Kolleginnen und Kollegen brachten sich ein.

Als am 6. Januar die erste Verhandlungsrunde startete, habe man die Lage des Konzerns dargelegt, die Lage der Beschäftigten erläutert und die Forderung von 15 Prozent mehr Lohn vorgestellt, so Andrea Koscis, stellvertretende ver.di-Vorsitzende und Mitglied der Leitung der Verhandlungskommission, in einer Online-Konferenz für die Vertrauensleute. ver.di fordert zudem, dass die Azubi-Gehälter und die Vergütungen der dual Studierenden um 200 Euro steigen. Die Laufzeit des Tarifvertrags wird auf 12 Monate beschränkt. Der Postvorstand wies diese Forderungen als realitätsfern zurück.

Post-Vorstandsmitglied Thomas Ogilvie erläutert in einem Interview, das unter anderem über die „Smart Connect“-App des Konzerns verbreitet wurde, dass eine Forderung von 15 Prozent nicht bezahlbar sei. Man dürfe nicht das wirtschaftliche Ergebnis des Post-Konzerns (Deutsche Post AG) zur Grundlage nehmen, sondern müsse das der „Division“ für Post und Paket in Deutschland berücksichtigen. Damit soll von den 8 Milliarden Euro Gewinn des Konzerns abgelenkt werden. Außerdem will die Kapitalseite eine deutlich längere Laufzeit vereinbaren – angeblich um mehr „Planungssicherheit“ zu haben. Es gibt Gerüchte, dass Kapitalvertreter von 30 Monaten gesprochen hätten. Bei den im Netz versammelten Vertrauensleuten sorgte das für Empörung, löste Bekundungen zur Kampfbereitschaft aus und Gelächter.

In den Niederlassungen der Deutschen Post fanden ab 9. Januar Betriebsversammlungen statt. In diesen wird die Gewerkschaftssicht jeweils von den Vertretern der ver.di vorgetragen, die Konzernzentrale stellte den jeweiligen Niederlassungsleitern vorbereitete Charts mit der Unternehmenssicht zur Verfügung. In Kassel verzichtete der Niederlassungsleiter auf seine Gegendarstellung nach dem Referat der Kollegin Koscis.

Bei den Kolleginnen und Kollegen ist eine Stimmung zu spüren, dass ihre Forderung berechtigt ist und voll anerkannt werden sollte. Die Propaganda der Kapitalseite hinterließ kaum einen Eindruck. Gleichzeitig bleibt das Problem, dass die organisierte gewerkschaftliche Arbeit an zu vielen Stellen brach liegt. Forderungen nach dem Aufbau von Aktiventreffen und einer Erneuerung der Vertrauensleutearbeit werden laut.

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"15 Prozent – ohne Abstriche", UZ vom 20. Januar 2023



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