Streikeindrücke bei Bosch

Alles steht!

Von Christa Hourani

Mittwochabend, 31. Januar, 22.00 Uhr: Große Streikversammlung bei Bosch in Stuttgart-Feuerbach, Beginn des Tagesstreiks in der Nachtschicht. Ein großes Versammlungszelt ist aufgebaut, natürlich auch ein Verpflegungszelt – heiße Getränke und Suppen, Chili con Carne und Börek – das tut gut bei der winterlichen Kälte. Tausend Kolleginnen und Kollegen von Bosch und Coperion strömen trotz heftigen Regens und später Stunde in die Zelte und auf den Vorplatz bei Tor 1. Der Bezirksleiter von Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger, ist vor Ort und hält die Rede. Im Zelt ist eine super Stimmung. Auf Bierbänken genießen die Streikenden die wohlige Wärme im Zelt, das schummrige Licht, das enge Beieinandersein. Das Zusammengehörigkeitsgefühl ist wahrlich greifbar und geht durch und durch. Deutlich ist zu spüren, wie dieser Streik die Köpfe und Herzen ergreift und öffnet. Wir als Kommunistinnen und Kommunisten sagen dies gerne – es aber dann so zu erleben, ist an diesem Abend ein besonderes Highlight. Die Atmosphäre lässt Erinnerung an den 84er Streik um die 35-Stunden-Woche hochkommen. Schon lange war so was nicht mehr erlebbar. Und es tut richtig gut.

Auch die Sprache des Bezirksleiters ist an diesem Abend sehr radikal, er schimpft auf Südwestmetall, lobt die hohe Warnstreikbeteiligung von fast einer Million Metallerinnen und Metallern bundesweit und fast 300 000 in Baden-Württemberg. Er berichtet, dass überall bei allen Streikenden die Stimmung gut ist und das neue Kampfins­trument großartig ist, wofür er tosenden Beifall bekommt. Als er von der Klage seitens der Metallverbände gegen die IG Metall berichtet, sie als Beleidigung der Beschäftigten bezeichnet, gibt es Gepfeife und Pfui-Rufe. Ein kleiner Funken Hoffung keimt in mir auf, dass die Gewerkschaftsführung in dieser Tarifrunde begriffen hat, dass die Sozialpartnerschaft uns nicht weiterbringt. Die nächste Woche wird zeigen, ob dieser Funken sich weiterentwickelt oder wieder erlischt.

Der Betriebsratsvorsitzende von Bosch Feuerbach, Frank Sell, freut sich, dass es gelungen ist, in nur drei Tagen die Streiks vorzubereiten. Er berichtet, dass bereits 16 Schichten ausgefallen sind, durch Warnstreiks, Frühschlussaktionen und Ablehnung von Wochenendschichten. Auch die Unterstützung der Angestellten sei so gut wie noch nie. Es gibt viele Buhrufe, als er über den Streit mit der Geschäftsleitung über Teilzeitverträge in der Produktion erzählt und über die Ablehnung der Übernahme von Befristeten. Insgesamt 300 Befristete sollen auf die Straße gesetzt werden, 300 neue sollen dafür reingeholt werden. Seine Forderung nach Übernahme und Festeinstellungen wird mit tosendem Beifall quittiert – da spürt man den Zusammenhalt zwischen Stammbelegschaft und prekär Beschäftigten.

Auch als die Delegationen aus Frankreich und Spanien begrüßt werden, gibt es viel Beifall und die Verbundenheit der Kolleginnen und Kollegen bei Bosch über die Ländergrenzen hinweg ist erlebbar.

Am nächsten Tag finden noch zwei Streikversammlungen für die anderen Schichten im Zelt statt, auch da ist es gut gefüllt. Streikposten erzählen mir stolz am Donnerstag Mittag, dass die Produktion steht und selbst die Büros leer geblieben sind. Sie berichten von ihren „Tarif-Frühstücks“, die sie in den Abteilungen in der Frühstückspause über Wochen durchgeführt haben, um allen Kolleginnen und Kollegen die Forderungen zu erläutern und sie für die Streiks zu begeistern.

Müde, aber glückliche Gesichter am Tor – die Nacht war kurz. Immer wieder kommen Kolleginnen und Kollegen vorbei, um die Streikausweise für die Auszahlung des Streikgelds abzuholen. Immer wieder die gleichen Nachfragen: Wie läuft’s? Und immer wieder die stolzen Antworten: Alles steht!

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"Alles steht!", UZ vom 9. Februar 2018



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