Aus den aktuellen Hamburger Utsichten

Wessen Krise ist die Krise?

Seit fast drei Jahren wird bei uns über immer neue Krisen geklagt. Erst die drohende allgemeine Wirtschaftskrise, dann Corona mit der Unterbrechung der Lieferketten, jetzt die mit dem Wirtschaftskrieg gegen Russland ausgelöste Energiekrise und die Aussicht auf eine Vertiefung der allgemeinen Wirtschaftskrise.

Aber wessen Krisen sind das? Rezessionen sind Teil des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Weltweite Lieferketten haben die Kapitalisten aufgebaut, weil sie damit den größten Profit machen konnten. Den Wirtschaftskrieg gegen Russland haben das Monopolkapital und seine Regierung angezettelt, weil sie sich davon geopolitische Vorteile versprechen. Bei keiner dieser Entscheidungen sind die arbeitenden Menschen gefragt worden. Nur die Kosten, die daraus entstehen, sollen sie tragen.

Dazu wird die Mär entwickelt, „Deutschland“ – also wir alle – seien unverschuldet in diese Krisen hineingeraten und müssten deshalb – Unternehmer, Beschäftigte und Staat – die Kosten gemeinsam schultern. Dazu wurde von der Regierung die „konzertierte Aktion“ wiederbelebt. In den Tarifverhandlungen werden von den Gewerkschaften „moderate“ Forderungen, also Lohnverzicht, gefordert. Schon jetzt leiden die abhängig Beschäftigten unter den hohen Preisen, die den Wert ihrer Einkommen und Rücklagen drastisch verringert haben. Das soll nun auch tariflich festgeschrieben werden.

Bei Tarifverhandlungen geht es im Kapitalismus schlicht darum, wie die von den Arbeitenden neu geschaffenen Werte auf die Löhne der Arbeitenden und auf die Profite der Unternehmer verteilt werden sollen. Die alte, bewährte Formel für die Forderung in Tarifverhandlungen lautet: Inflationsausgleich + Produktivitätszuwachs + Nachholbedarf aus früheren Jahren. Aktuell bedeutet das: 10 Prozent + 1 Prozent + 4 Prozent = 15 Prozent – und zwar für 12 Monate. Wieviel man davon durchsetzen kann, hängt allerdings davon ab, wieviel Kraft man in diesem Kampf entwickeln kann.

Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Gewerkschaften, die größte Organisation der Arbeiterklasse. Ihre Aufgabe ist es, die Arbeitskraft der Lohnabhängigen möglichst gut zu verkaufen und Verschlechterung der Lebensbedingungen gemeinsam und solidarisch mit allen Beschäftigten abzuwehren. Da ist es wenig hilfreich, sich in die Taktik von Kapital und Regierung einbinden zu lassen.

So verabschiedete zum Beispiel der Beirat der IGBCE eine Erklärung zum Krieg in der Ukraine, in dem zwar völlig richtig Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung und den dortigen Gewerkschaften geübt wird. Warum aber nicht mit den Töchtern und Söhnen der russischen Arbeiterklasse, die auch nicht in diesem Krieg verrecken wollen? Warum wurde die ukrainische Regierung nicht aufgefordert, die Enteignung des Vermögens und der Immobilien der Gewerkschaft und die nahezu vollständige Beseitigung der Arbeitnehmerrechte rückgängig zu machen? Wäre das nicht auch ein gutes und beruhigendes Signal in die Betriebe der BRD gewesen, wo eben auch russisch- und ukrainischstämmige Menschen zusammen an den Maschinen stehen? Lässt man sich auf die Politik von Regierung und Kapital ein, hat man nicht mehr die Kraft für einen entschlossenen Kampf für die Lebensinteressen der Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter.

Das Ergebnis sieht man in dem von der IGBCE abgeschlossenen Tarifvertrag. Ohne Arbeitskampf wurde für 20 Monate eine Tariferhöhung von 6,5 Prozent und eine Einmalzahlung von 3.000 Euro vereinbart. Was auf 12 Monate gerechnet knapp 4 Prozent + 150 Euro pro Monat bedeutet. Einen ähnlichen Tarif hat jetzt die IG Metall für die nächsten zwei Jahre abgeschlossen: durchschnittlich 4,2 Prozent pro Jahr + 125 Euro pro Monat. Wobei die Einmalzahlung danach wieder wegfällt. Das ist meilenweit auch nur von einem Inflationsausgleich entfernt. An einer Teilhabe am Produktivitätsfortschritt kann keine Rede sein. Den stecken sich die Unternehmer ein.

Wie man es anders machen kann, haben die Hafenarbeiter in Hamburg gezeigt. Sie haben eine Tariferhöhung von 9,4 Prozent erkämpft und im zweiten Jahr noch einmal 4,4 Prozent, die aber erhöht werden, wenn die Inflation darüber liegt. Das ist zwar auch nur ein Inflationsausgleich und der Rest geht an die Unternehmer. Aber auch das war nur durch Streik – also durch die Einbeziehung möglichst vieler Kolleginnen und Kollegen – möglich und gegen die gesamte Mainstreampresse und sogar gegen die Staatsgewalt. Wann hat es das schon gegeben, dass Polizei gegen die vor dem Gewerkschafthaus demonstrierenden Hafenarbeiter eingesetzt wurde? Der ver.di-Vorsitzende hat angekündigt, bei den kommenden Tarifverhandlungen ähnlich konsequent wie im Hafen vorzugehen. Für den Öffenlichen Dienst fordert ver.di 10,5 Prozent mehr Lohn, bei der Post 15 Prozent. Jetzt müssen nur noch die Kolleginnen und Kollegen mobilisiert werden.

Glaubt man den sozialen Medien, dann gibt es nicht wenig Unmut in der Chemieindustrie und auch schon jetzt bei den Metallern. Austrittsbekundungen sind allerdings ganz sicher nicht der richtige Weg.

Vielmehr müssen wir gemeinsam kämpfen und in unseren Gewerkschaften dafür werben, dass sie nicht mehr den Gleichschritt mit Staat und Kapital üben dürfen. Die Aufgabe aller fortschrittlichen Kräfte muss es sein, in den Gewerkschaften für die Teilnahme an den sozialen Protesten gegen die Abwälzung der Krisenkosten auf die Werktätigen und die Ablehnung der Sanktionen zu streiten und möglichst viele Kolleginnen und Kollegen in die Lohnkämpfe einzubeziehen.

Sozialpartnerschaft funktioniert nicht und macht uns arm. Die Beschäftigten bei Galeria/Kaufhof erfahren gerade aufs Bitterste, dass Lohnverzicht und Abschlüsse weit unter dem Flächentarifvertrag im Austausch gegen leere Versprechungen nicht das Papier wert sind, auf dem sie stehen, und die Gier der Kapitalisten keine Grenzen kennt.

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