Vor dem Parteitag: Interviews mit DDR-Funktionären zeigen, vor welchen Fragen Kuba steht

Alte Gefahren, neue Spielräume

Von om

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Volker Hermsdorf: Kuba – Aufbruch oder Abbruch? Im Gespräch mit Hans Modrow, Fritz Streletz, Klaus Eichner. Verlag Wiljo Heinen (Berlin und Böklund 2016), Taschenbuch, 204 Seiten, 10,- Euro.

Vom 16. bis zum 18. April hält die Kommunistische Partei Kubas (PCC) ihren 7. Parteitag ab. Vor fünf Jahren, 2011, hatte der letzte Parteitag die Grundlagen der neuen Wirtschaftspolitik, der „Aktualisierung des Sozialismus“, gelegt. Die diplomatische Annäherung an die USA hat das Umfeld verändert. Die Parteimitglieder und die Massenorganisationen des kubanischen Volkes diskutieren die vorläufige Bilanz der „Aktualisierung“, die Delegierten werden grundlegende Entscheidungen über die zukünftige Richtung der kubanischen Revolution zu treffen haben.

Vor welchen Fragen sie stehen zeigt ein neu erschienener Band mit Gesprächen zwischen dem Journalisten und Kuba-Kenner Volker Hermsdorf und drei Gesprächspartnern, die in Politik, Militär und Geheimdienst der DDR Verantwortung getragen haben.

Seine drei Gesprächspartner haben einen jeweils besonderen Zugang, um die heutigen Entwicklungen auf Kuba einzuschätzen. Die Wirtschaftspolitik der kubanischen Führung spielt dabei nur am Rande eine Rolle. Hans Modrow, in den Jahren 1989 und 1990 für kurze Zeit Vorsitzender des Ministerrates der DDR, ist 1970 zum ersten Mal nach Kuba gereist. Später hat er sich als Abgeordneter des Bundestags und des Europaparlaments und als Vorsitzender des Ältestenrates der Linkspartei für normale diplomatische Beziehungen zwischen Deutschland und Kuba eingesetzt. Die Bundesregierung, fordert er im vorliegenden Band, solle sich nicht an den Vorgaben der USA orientieren, sie „könnte in Bezug auf Kuba deutlich mehr eigenes, souveränes Handeln zeigen.“ Seine Sicht auf die DDR-Geschichte steht im Hintergrund, wenn er die Entwicklung in Kuba beurteilt: Von Kuba als Vorbild für andere Länder will er nicht sprechen, denn die Rede vom Vorbild könne es beiden Seiten erschweren, die jeweiligen Besonderheiten zu berücksichtigen – so, wie es im Verhältnis zwischen DDR und Sowjetunion gewesen sei.

Modrow empfiehlt „eine gesunde Skepsis gegenüber der Verlässlichkeit der USA“ im laufenden Prozess der diplomatischen Normalisierung und das Erreichte nicht zu hoch zu bewerten. Schließlich seien auch die Vertreter der sozialistischen Länder bei der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa in Helsinki in den 70er Jahren „mit unserer Freude über die erreichten Zugeständnisse der anderen Seite (…) in eine Falle gelaufen.“ Modrow erinnert dagegen daran, dass in der DDR-Politik der imperialistischen Länder nach der diplomatischen Anerkennung die „Aggression auf Filzlatschen“ gefolgt sei.

Modrow betont die positive Rolle, die die BRICS-Staaten für Kuba spielen. Der neu ausgebaute Tiefseehafen in Mariel, mit dem Kuba zur „Drehscheibe für Handelsströme“ zwischen Atlantik und Pazifik werden könne, mache das deutlich: Der Hafen entstand mit Hilfe russischer, brasilianischer und chinesischer Investitionen. Fritz Streletz, der zweite Gesprächspartner des Bandes, ergänzt: Gegen das unipolare Modell der USA setze Kuba sich für eine multipolare Welt ein und werde damit zum „Verbündeten von China und Russland.“

Streletz, General der NVA, erzählt von seinen Begegnungen mit Fidel und Raúl Castro. Er reiste zum ersten Mal 1966 nach Kuba, um die Erfahrungen der DDR im Aufbau einer Grenzsicherung weiterzugeben – die Kubaner waren daran interessiert, sich vor feindlichen Aktivitäten der USA aus deren Basis in Guantánamo zu schützen. Er schätzt im Gespräch mit Hermsdorf die militärische Lage und die Strategie der kubanischen Armee ein – eine Strategie des „allgemeinen Volkskrieges“. Er beschreibt die Rolle, die Kuba im Verhältnis zu den anderen sozialistischen Staaten hatte, und stellt fest: „Kein Land im sozialistischen Lager hat – bezogen auf die Bevölkerungszahl und das Bruttoinlandsprodukt – eine auch nur annähernd so große internationale Solidarität geleistet wie Kuba.“

Klaus Eichner, Hermsdorfs dritter Gesprächspartner, arbeitete für die Gegenspionage des DDR-Geheimdienstes. Sein Gebiet: Die Dienste der USA. Er beschreibt die heutige Aktivität dieser Dienste gegen Kuba. Die Eröffnung der US-Botschaft vergrößere das Risiko von Geheimdienstangriffen nicht: „Die Agenten der US-Dienste tummeln sich seit eh und je auf der Insel“, auch andere Diplomaten aus NATO-Ländern unterstützen Konterrevolutionäre. Eichner berichtet über die informellen Netzwerke, die Stifungen und NGOs, über die die US-Geheimdienste ihren Einfluss ausüben, über die Zusammenarbeit zwischen USA und Journalisten und Bloggern wie Yoani Sánchez, über den Wunsch der USA nach einer „farbigen Revolution“ in Kuba.

Alle drei betonen, dass die neue Kubapolitik der USA keine grundsätzliche Veränderung bedeute: Schließlich könne sich die „Art, wie imperialistische Politik durchgesetzt werden soll“, ändern – der US-Imperialismus ändere sich dadurch nicht wesentlich. Die Normalität in den Beziehungen beider Länder sei „bisher doch nur ein Stichwort“, das Ergebnis offen, so Modrow, der Prozess eröffne aber neue Spielräume für Kuba. Kuba müsse, so Streletz, vor diesem Prozess „politisch, militärisch und ideologisch keine Angst“ haben. „Aber die Subversion wird weitergehen und vermutlich noch verschärft werden“, hält Eichner fest. „Deshalb wird Kuba sein sozialistisches Gesellschaftsmodell verstärkt schützen müssen.“

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"Alte Gefahren, neue Spielräume", UZ vom 1. April 2016



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