Verbrechen mit Wurzeln in der Vergangenheit

Andalusische Tiefpunkte

Von Uli Brockmeyer

Matthew Pritchard: Die Toten von Almería. Goldmann Verlag, Taschenbuch. 315 Seiten, 9,99 Euro

Danny Sanchez, freischaffender britischer Journalist mit spanischen Wurzeln, pendelt zwischen Broterwerb und Suche nach Wahrheiten. Er und sein Freund Paco recherchieren im andalusischen Almería über die Umstände des Todes einer jungen Frau, die bestialisch ermordet auf einer Müllkippe gefunden wurde. Während die Medien sich darauf konzentrieren, pikante Details über den Lebenswandel der Toten auszugraben und breitzutreten, begibt sich Danny auf die Suche nach Hintergründen.

Er findet bald heraus, dass Teresa und ihre Freunde von der Izquierda Unida seit einiger Zeit Nachforschungen anstellen, die tief in die jüngere Geschichte Spaniens reichen. Es geht vor allem um die Ermordung von Verteidigern der Spanischen Republik durch die Franco-Faschisten und um Adoptionen von angeblich tot geborenen Kindern, an denen die politischen Machthaber in der Zeit des Franquismus und selbst bis in die 80er Jahre hinein eine Menge Geld verdienten.

Als Sanchez dann noch mit dem Verschwinden eines britischen Touristen konfrontiert wird, begibt er sich selbst auf die Suche und wird auf einem „Friedhof der Engländer“, auf dem auch Spanier beerdigt wurden, die von der allmächtigen katholischen Kirche als nicht würdig für eine letzte Ruhe auf „heiligem Boden“ befunden worden waren, auf eine höchst merkwürdige Grabinschrift aufmerksam. Nach und nach fügt er immer neue Erkenntnisse wie ein großes Puzzle zusammen und erahnt das Ausmaß der Verbrechen der faschistischen Machthaber, deren direkte Nachfahren noch in der Gegenwart in Almería das Sagen haben.

Dabei kommt er dem sadistischen Neffen der Bürgermeisterin in die Quere, der seinen Anteil am zusammengeraubten Reichtum der Familie beansprucht und nicht einmal ahnt, wie sehr sein eigenes Schicksal mit den Verbrechen der Vergangenheit verwoben ist.

Der zweite Roman des britischen Autors Matthew Pritchard, „Die Toten von Almería“, berührt einen Teil der unbewältigten Vergangenheit Spaniens, in dem bis ins Jahr 1987 hinein ein Gesetz in Kraft war, das es ermöglichte, nicht regimetreuen Frauen ihre Kinder wegzunehmen, indem man ihnen eiskalt ins Gesicht log, ihr Kind sei tot geboren worden. Auf diese Weise konnten – quasi legal – diese Kinder an wohlhabende und zahlungskräftige „Eltern“ verkauft und echt wirkende Adoptionsurkunden ausgestellt werden. Es wird geschätzt, dass es seit dem Ende des Spanischen Krieges bis zum Jahr 1987 etwa 300 000 Fälle derartigen Kinderhandels gegeben hat.

Matthew Pritchard führt den interessierten Leser in ein Spanien der Gegenwart, das noch immer an den Wunden der Vergangenheit leidet, in dem die Spuren der Verbrechen der Franco-Faschisten heute noch erkennbar sind und in dem die Nachfolger der damaligen Verbrecher in vielen Bereichen übergangslos weiter ihre persönlichen Machtpositionen innehaben.

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"Andalusische Tiefpunkte", UZ vom 1. September 2017



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