Erinnerung an die DDR-Kommunalwahlen am 7. Mai 1989

„Auftakt“ zum Jubiläum

Von Nina Hager

In der vorigen Woche gab es wohl keine bürgerliche Zeitung, in der man nicht zumindest einen Beitrag über die DDR-Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 lesen konnte – ein Vorgeschmack darauf, was die bürgerlichen Medien uns in diesem und im nächsten Jahr noch alles zumuten werden. Da wird es wieder nur darum gehen, dass die Strukturen in der DDR alle marode waren, alle Leute überwacht wurden, dass das Land angeblich pleite war. Haupttenor: Nichts war gut und erhaltenswert. Die „SED-Diktatur“, der „Unrechtsstaat“ sei zu Recht gescheitert.

Doch in diesem Jahr gibt es durchaus auch nachdenklichere Töne. Bislang nicht in der Zeitung „Die Welt“ und ähnlichen Blättern, obgleich selbst die CDU inzwischen weiß, dass die Stimmung im Osten schlecht ist und sie wie die SPD Anfang des Jahres ein Offensivpapier vorgelegt hatte. Ihres hieß: „Was Deutsche Einheit heute heißt: Einheit und Zusammenhalt durch gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland“ (UZ vom 8. Februar). Denn Fakt ist: Viele, die in der DDR aufgewachsen sind, dort einen Beruf erlernt oder studiert haben, die sich dort in Arbeit und Freizeit engagierten, fühlen sich bald 29 Jahre nach dem Anschluss der DDR an die Bundesrepublik immer noch nicht anerkannt. Das hat politische Folgen – unter anderem sichtbar in Stimmenzuwächsen für die AfD. Viele der älteren Ostdeutschen haben nach 1990 Arbeitslosigkeit erlebt, Nichtanerkennung von Berufsabschlüssen, Ausgrenzung aus politischen Gründen, Benachteiligungen bei der Rente. Ostdeutsche verdienen bis heute weniger, müssen aber länger arbeiten als ihre westdeutschen Kolleginnen und Kollegen. Erinnert wird hier nicht nur deshalb noch immer auch an das Leben vor 1989 ohne Existenzängste, an gesicherte Arbeitsplätze, an die Gleichberechtigung der Frauen, an die Möglichkeiten des Bildungssystems.

Am 7. Mai „überraschte“ die „Berliner Zeitung“, die vor allem noch im Osten Berlins gelesen wird, ihre Leserinnen und Leser mit einer Sonderausgabe und dem Aufmacher „Ein wildes deutsches Jahr“. Anlass war der besagte 30. Jahrestag der Kommunalwahlen in der DDR. In der Zeitung hieß es – durchaus berechtigt: „Der 7. Mai 1989 brachte die Geschichte ins Rutschen.“ Ob nun einige Vorsitzende zum Beispiel von Räten der Kreise oder der Bezirke „Oben“ gut dastehen wollten und/oder ob es von dort Vorgaben gegeben hatte: Aus einer ganzen Reihe von Wahllokalen wurden falsche Angaben über die Wahlbeteiligung sowie die abgegebenen „Ja“- und „Nein“-Stimmen weitergemeldet. Da es Wahlbeobachter aus oppositionellen Gruppen gab, kam das bald ans Licht. Entsprechend groß waren der Ärger und die Folgen: Wenige Zeit später veränderte sich alles rasant. Die richtigen Zahlen hätten einen Einblick in die tatsächliche – sich durchaus weiter verschlechternde – Stimmung unter den Bürgerinnen und Bürgern der DDR gegeben und trotzdem noch eine breitere Zustimmung für die Politik des Landes signalisiert. 30 Jahre später erklärte Egon Krenz, der damals das Wahlergebnis öffentlich verkündet hatte: „Die Sache wäre überhaupt nicht notwendig gewesen. Ein anderes Ergebnis hätte überhaupt nichts an den Machtverhältnissen in der DDR geändert.“

In der „Berliner Zeitung“ gab es am 7. Mai nun auf 22 Seiten Statistiken, durchaus auch differenziertere Berichte und Interviews über die letzten DDR-Kommunalwahlen, über die Rolle Gorbatschows und auch die Folgen der deutschen „Einheit“. Auch Gregor Gysi und Hans Modrow wurden zu 1989 und den Kommunalwahlen befragt. Gysi, für den die DDR „zu Recht gescheitert“ sei, erinnerte daran, dass es „nach der Wiedervereinigung auf westlicher Seite eine große Arroganz und wenig Bereitschaft gegeben“ hatte, „sinnvolle soziale Errungenschaften der DDR“ zu bewahren. Als wäre das jemals beabsichtigt gewesen.

In einem Interview mit dem Lyriker und Schriftsteller Volker Braun wurde der auf die Frage „Wie sehen Sie heute die ersten Jahre der deutschen Vereinigung?“ weitaus deutlicher: „Der Osten war für den Westen offen, doch die große Masse wurde verprellt. Das Ganze begann damit, dass sie ihr Leben in Gänze verworfen sah. Sie wurde aus den Hallen in Schöneweide oder Schönebeck herausgekehrt. Ein ehemaliger Kombinatsdirektor sagte nach der Lesung aus den ‚Hellen Haufen’ (Ein Buch von Volker Braun zum Protest der Bergleute von Bischofferode): Es war eine konzertierte Vernichtung.“

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"„Auftakt“ zum Jubiläum", UZ vom 17. Mai 2019



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