Reform des Kartellrechts und Gaspoker dienen der Ablenkung – am Ende zahlen wir die Zeche

Augenwischerei

Manch einer wird seinen Ohren nicht getraut haben, als am Montag vergangener Woche im Frühprogramm des regierungsfreundlichen „Deutschlandfunks“ ganz ungewohnte Worte zu hören waren. Die Mineralölkonzerne seien „ein vermachteter Markt, der wie ein Kartell funktioniert“ und dreist Gewinne abschöpft. War das wirklich unser Bundeswirtschaftsminister, der da sprach und sich nichts sehnlicher wünschte als ein „Kartellrecht mit Klauen und Zähnen“?

Das Kernstück des von der Ampelkoalition im März geschnürten „historischen Entlastungspakets“, der Tankrabatt für Millionen Autofahrer, hatte sich schon am Tag nach seinem Inkrafttreten als ein aus Steuergeldern finanziertes 3,15-Milliarden-Euro-Sponsoring für die Mineralölkonzerne entpuppt. Die vollmundig versprochene Absenkung der Spritpreise um 17 Cent beim Diesel und 35 Cent beim Benzin kam an den Zapfsäulen nicht an. Im Gegenteil: Die Spritpreise steigen seither weiter. Aus einem inzwischen im Umlauf befindlichen Eckpunktepapier aus Habecks Ministerium sind die Ziele der für den Sommer geplanten Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ersichtlich.

Geplant sind Regelungen zur „missbrauchsunabhängigen Entflechtung“ von Konzernstrukturen und zur Erleichterung kartellrechtlicher Gewinnabschöpfung. Bei den Kartellrechtlern stieß Habecks Neukonzeption sofort auf Befremden: Professor Thomas Ackermann (LMU München) geht davon aus, dass die Wahrscheinlichkeit von „Mitnahmeeffekten“, sprich steuerbegünstigtem Extraprofit, den beteiligten Ministerien „von vornherein klar“ war. Die flugs zur Korrektur der Wettbewerbsgesetze aus dem Hut gezauberte Idee wirke „wie der Versuch, das Misslingen eines politischen Schnellschusses durch weitere unbedachte Maßnahmen zu verdecken, die in der jetzigen Situation ohnehin nichts bewirken“. Für den Kölner Wettbewerbsrechtler Torsten Körber ist das Ganze ein „purer Theaterdonner“. Die gewinnneutrale Weitergabe der Energiesteuervergünstigung an den Verbraucher hätte vor der Ausrufung des Tankrabatts steuergesetzlich verfügt werden müssen. Das gesetzgeberische Versagen ließe sich nun nicht „par ordre de mufti“ (franz.: auf Befehl des Mufti, ironische Umschreibung einer nicht auf fachlichen Gründen, sondern auf Autorität beruhenden Anweisung eines Dienstvorgesetzten, Anm. d. Red.) wieder vertuschen. Ob Habeck auf diese Kritik etwas gibt, ist unwahrscheinlich. Entscheidend wird für ihn sein, was der Präsident des „Bundesverbands der Deutschen Industrie“ (BDI), Siegfried Russwurm, dazu meint. Der hat bereits signalisiert, dass aus der geplanten Gewinnabschöpfung nichts wird: Es sei „sehr schwer, Gewinn von Übergewinn zu unterscheiden. Wo ist da die Grenze?“ Man ahnt, was kommen wird: Aus den „Klauen“ des Kartellrechts werden ganz schnell Samtpfötchen.

Auch beim Gaspoker hat Habeck keine guten Karten, also verlegt er sich aufs Bluffen. Nachdem die Ampelkoalition seit Monaten damit prahlt, wie ernst es ihr mit der raschen und – wie Außenministerin Baerbock in Kiew am 11. Mai großspurig erklärte – „für immer“ geltenden Absage an russische Energielieferungen sei, bekommt der Wirtschaftsminister nun Angst vor der eigenen Courage. Die russische Gazprom hatte vor kurzem defekte Gaskompressoren der Nord-Stream-1-Pipeline ins Siemens-Reparaturwerk nach Montreal in Kanada geschickt. Dort können aber Ersatzteile wegen der antirussischen Sanktionen nicht verbaut werden. Eine Rücksendung der Aggregate auch in defektem Zustand scheiterte ebenfalls an den Sanktionen. Gazprom hatte deshalb die Gaslieferungsmenge technisch bedingt um 60 Prozent reduziert. Hektische Betriebsamkeit in Berlin war die Folge – kleine Münze statt großer Sprüche. Aus gutem Grund: Der Jahresverbrauch an Erdgas beläuft sich auf etwa 1.000 Milliarden Kilowattstunden (kWh), davon verbraucht die Industrie 37 Prozent, auf die 20 Millionen deutschen Haushalte entfallen 31 Prozent und zur Stromerzeugung werden 12 Prozent des Erdgases genutzt. Über die Hälfte stammte bisher aus russischen Lieferungen. Die Gasspeicher mit einer Gesamtkapazität von 240,6 Milliarden kWh sind aktuell nur zu circa 56 Prozent gefüllt. Allein zur Bereitstellung der Speicherleistung – vom laufenden Verbrauch ganz abgesehen – bedarf es bis Oktober Gaslieferungen im Umfang von über 105 Milliarden kWh.

Woher das fehlende Gas kommen soll, ist offen: Katar meldet lediglich 10 Millarden kWh freie Kapazität. Eine verbindliche Lieferzusage gibt es bis heute nicht. Von den aus Norwegen für die EU zugesicherten 10,4 Milliarden kWh erhält Deutschland lediglich einen Bruchteil. Mit Israel und Ägypten laufen Gespräche, Mengen sind nicht konkretisiert. Die USA wollen an die EU im laufenden Jahr 150 Milliarden kWh Flüssiggas liefern, auch hiervon fließt nur ein Bruchteil nach Deutschland. Da das umweltschädliche Frackinggas preislich 25 Prozent höher gehandelt wird als das ohnehin stark verteuerte Erdgas, ist ein weiterer Kredit in Höhe von 15 Milliarden Euro nötig. Die Verbraucher sollen durch neue Energiespargesetze an die Kandare genommen werden. All das, weil „wir uns in einer Machtprobe mit Putin befinden“, so Habeck.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Augenwischerei", UZ vom 24. Juni 2022



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