Kanzlerkür in Krisenzeiten

Ausgang für Helden gesucht

Fred Filius

Im Monat April sollte nach den Vor-Corona-Plänen der neue Vorsitzende der CDU gewählt werden. Als Kandidaten hatten sich drei Männer gemeldet: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet, der als Stellvertreter-Kandidaten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mitgebracht hat, der Rechtsausleger Friedrich Merz, der im ersten Anlauf nur knapp gegen die noch amtierende Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenberger verloren hatte und – inzwischen wohl recht abgeschlagen – der glücklose ehemalige NRW-Ministerpräsidentenkandidt Norbert Röttgen.

Die für diesen Krisenmonat vorgesehene Kür ist aufgeschoben, nicht aufgehoben. Alle drei Kandidaten nutzen den Zeitaufschub, sich zu positionieren. Die neue politische Situation ist für sie lediglich eine neue Folie, auf der sie ihre Bewerbung zu schreiben haben. Spätestens seitdem sich der damalige Senator der Polizeibehörde in Hamburg (Helmut Schmidt, 1918 bis 2015, Anm. d. Red.) bei der Sturmflut 1962 den Mythos des Machers ans Revers heften konnte, ist allen karriereorientierten Politikerinnen und Politikern die über den jeweiligen Moment hinausreichende Bedeutung klar, die sich mit dem Titel „Held in der Krise“ verbindet. Wer in solchen Zeiten ein Amt in der Exekutive hat, kann sich in den Vordergrund schieben – und das Duo Laschet/Spahn nutzt diesen Vorteil auf Kosten der immer blasser werdenden Mitkonkurrenten intensiv aus: Spahn als stoppelbärtiger Allgegenwärtiger, der getreu dem Satz Adenauers, was ihn sein Geschwätz von gestern störe, sich jetzt als Intensivmediziner Nummer eins zelebriert – derselbe Mann, der vorher maßgebliche Anteile an der Kommerzialisierung, Enthumanisierung und „Verschlankung“ des Gesundheitswesens hatte. Laschet wiederum hat offenbar schon das nächste Ziel im Auge, weiß er doch wie jeder andere in den oberen Etagen der christlichen Dominanzparteien, dass nach der Wahl des CDU-Vorsitzenden die Bestimmung des gemeinsamen Kanzlerkandidaten der CDU/CSU ansteht. Also rangelt er öffentlich mit der bayrischen Konkurrenz – von dort kam der Wunsch nach stärkeren Grenzkontrollen. Laschet, assistiert von Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel, widersprach und versucht seitdem, Weltoffenheit in der Krise mit Rigidität im Inneren zu kombinieren, indem er (zum Glück vergeblich) versucht, die Legislative gegenüber der Exekutive in NRW weit mehr in den Schatten zu drängen, als es Helmut Schmidt je gewagt hätte. Parallel fordert er ein zügiges Wiederanwerfen der Wirtschaft. Die Story, an der er strickt, ist klar: Merkel führt uns – gemeinsam mit ihrem energischen Gesundheitsminister – durch die Corona-Krise und ich führe uns wieder in die Normalität zurück.

Diese Exit-Story hat einen gravierenden Nachteil: Es wird keinen Exit geben. Denn unter Marxisten und zunehmend auch in anderen Kreisen ist klar: Covid-19 war nur der Auslöser der seit über einem Jahrzehnt nach Ausbruch drängenden, schwelenden Weltwirtschaftskrise. Selbst wenn Covid-19 eingedämmt wird, bleibt die Krise. Vor uns liegt kein Exit, vor uns liegt eine Krisendekade. Wie unzureichend die Programme aus Berlin und Brüssel gestrickt sind, machte der Notruf der Kommunen deutlich: Ihnen brechen 2020 die Gewerbesteuereinnahmen weg und die Umsätze kommunaler Einrichtungen und Betriebe versiegen – der Städtetag rechnet mit einem Defizit in zweifacher Milliardenhöhe, für das die bisherigen Programme keine Kompensation vorsehen. Von dieser Welle der kommunalen Not werden übrigens die schon jetzt klammen Städte in NRW überproportional stark betroffen sein.

Für die Linke wird es existenziell sein, sich nicht länger unter dem Seuchenbekämpfungsvorwand den Mund verbieten zu lassen. Notstandskanzler nach dem Zuschnitt von Laschet oder gar Merz oder Söder werden versuchen, die jetzt verfügten Einschränkungen von Bewegungs- und Demonstrationsfreiheit zu verstetigen, solange auch nur noch ein einziges Virus irgendwo über Deutschland schwebt. Die erste Bürgerpflicht ist es, sich von diesem Schreckgespenst nicht bange machen zu lassen und sich den öffentlichen Raum – Straßen und Versammlungsorte – zurückzuerobern; egal wer von der CDU zum neuen Kanzler gekürt wird.

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"Ausgang für Helden gesucht", UZ vom 17. April 2020



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