Die Ausstellung „Revolutionary Romances? Globale Kunstgeschichten in der DDR“ im Dresdner Albertinum

Bei Verbrechen nicht wegsehen

Am Anfang war die Solidarität: Ein großformatiges Markenheft des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes zieht den Blick auf sich, daneben Fotos schulischer Sammel­aktionen. „Monatlich übten wir bis zu 1,50 M Solidarität“, steht da in Kinderschreibschrift unter anderem an der Wand. Zeitdokumente, die den Charakter der sich seit November letzten Jahres im Dresdner Albertinum als Sonderausstellung befindlichen „Revolutionary Romances? Globale Kunstgeschichten in der DDR“ vorzeichnen. Denn die durchaus mit Häme operierende politische Dimension wird im Folgenden die kunsthistorischen und -wissenschaftlichen Kommentare in den Texten zu den Werken überlagern.

„Die Ausstellung richtet den Blick auf die ‚Revolutionary Romances‘ – die freundschaftlich-revolutionären Beziehungen – der DDR zu den Ländern des Globalen Südens“, heißt es eingangs. „‚Völkerfreundschaft‘ und ‚Internationale Solidarität‘ bestimmten als ideologische Leitmotive nicht nur die ostdeutsche Außenpolitik in Asien, Afrika und Lateinamerika, die neben politischen vor allem auch wirtschaftliche Interessen verfolgte. Sie prägten auch die Auswärtige Kulturpolitik.“

Der Genosse Ossi meinte das mit seinem Antiimperialismus also nicht gutmenschlich, er suchte mit seiner Solidarität auch nach politischer Anerkennung und der ein oder anderen Südfrucht. Das kann man sagen, als Vorwurf gerät es nur recht billig, wenn man mit keiner Silbe die andere deutsche Außenpolitik anspricht und dagegenhält.

1411 2 Trinh Kim Vin Zivilverteidigung 1973 - Bei Verbrechen nicht wegsehen - DDR-Kunst, Dresdner Albertinum, Globaler Süden, Internationale Solidarität, Sonderausstellung, Verbrechen, Völkerfreundschaft - Kultur
TrInh Kim Vinh (1932–2018) Zivilverteidigung, 1973 (© TrInh Kim Vinh & Kunstfonds, Staatliche Kunstsammlungen Dresden,
Foto: Barbara Tlusty)

Im etwas beliebig mit Begriffen gefüllten Glossar zur Ausstellung findet sich das Lemma „Sozialistischer Imperialismus“. Der maoistische Seitfallschritt hält fest: „Die UdSSR als Imperium begann unter Stalin“ und deren Politik samt militärischer Invasionen bezweckte die „weltweite Aufrechterhaltung und Verbreitung der Hegemonie der UdSSR“. Ein Lob an die Enttarner jenes „Imperialismus“ erfährt dann auch namentlich die „Volksrepublik China in den 1970er Jahren“.

Tausend Stilblüten ließ man blühen, sobald in den Begleittexten so etwas wie ästhetische Analyse betrieben wird: Christoph Wetzels Gemälde des toten Salvador Allende („Der tote Präsident“, 1974) sei ein Werk „(m)it dynamischem Duktus und dokumentarischer Authentizität“. Was auch immer das heißen mag – vielleicht ist in der Triggerwarnung an der Eingangstür, die auf dargestellte Tote hinweist, der Horror solcher Schindluderei mitgemeint. In Sachen „dokumentarische Authentizität“ grätscht man sich dann auch selber weg und weist richtigerweise darauf hin, dass der hier dargestellte Allende mit Kugeln hingerichtet worden war und sich nicht selbst das Leben nahm – eine Exekution durch die Faschisten vermutete man kurz nach dem Putsch in Chile.

Da wohl davon auszugehen ist, dass die korrekte Anwendung von Koppelstrichen etwas Totalitäres ist, wurde darauf verzichtet: „Poster im Pop-Art Stil“ (sic!) seien nicht ein, sondern der Aspekt, der die kubanische Kunst vom sozialistischen Realismus in den europäischen Bruderstaaten unterschied. Der verkürzende Glossareintrag zur kubanischen Revolution wird von der Ausstellung selbst revidiert: „Las dictaduras en America“ des vergangenes Jahr verstorbenen Umberto Peña Garriga erinnert an Kubas großen Maler Wifredo Lam und dessen afrokubanisch-synkretistische Aneignung Picassos. Auch wenn die Begleitung durch Kommentare teils arg daneben geht und natürlich auch Dissidenz da sein muss – Kunst, die man sich in Havanna auch im Nationalmuseum anschauen kann, das „totalitär regierte Kuba“ ist da total entspannt –, allein der kubanischen Werke wegen lohnt der Besuch.

Damit entspricht „Revolutionary Romances?“ mehr seinem Etikett als die Ausstellung „Re-Connect – Kunst und Kampf im Bruderland“ vergangenes Jahr im Leipziger Museum der bildenden Künste, in der zwar Künstlerinnen und Künstler aus verschiedenen Ländern ausgestellt wurden, die in der DDR an Kunsthochschulen ausgebildet wurden. Die Werke, die man dort zeigte, waren allerdings weitgehend jüngeren Datums. Dadurch fehlte die Auseinandersetzung mit dem oben angesprochenen Widerspruch: Die Orientierung am sozialistischen Realismus hier und die diversen Stilschulen jener, die aus anderen Ländern in die DDR kamen.

Am eigenen linksliberalen Anspruch scheitert man im Albertinum, wenn der Rassismusvorwurf gegenüber DDR-Künstlerinnen und -Künstlern pauschal angebracht wird. Die Differenz zwischen klischisierten Werken – wenn etwa Aini Teufel ihre „Vietnamesin“ natürlich Kegelhut tragen lässt – und jenen, die ohne Ethnokitsch und Stigmata auskommen, werden dabei ebenso verwischt, wie auch hier nicht ins Verhältnis zu Werken aus dem Westen jener Zeit gesetzt.

Sei’s drum, man kann sich die Ausstellung anschauen. Auch weil man bei Verbrechen nicht wegsehen sollte. Als solches gilt meiner Meinung nach die kuratorische Faxe, die zehnteilige Serie von U Sein Linn aus dem Jahr 1979 über den burmesischen Befreiungskampf gegen die japanischen Invasoren ums Eck – sechs da, vier dort – zu drapieren, die Kohlezeichnungen mit einer Funzel in Halbschatten zu tauchen und es von irgendwoher (vielleicht aus dem Nebenraum mit Hito Steyerls Installation „This is the Future“, 2019) mit waberndem Aufenthaltsraumsound zu beschallen.

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Über den Autor

Ken Merten (seit 1990) stammt aus Sachsen. Er hat in Dresden, Hildesheim und Havanna studiert. Seine Schwerpunkte sind die Literatur der Jetztzeit, Popkultur und Fragen von Klassenkampf und Ästhetik. 2024 erschien sein Debütroman „Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist“ im Berliner XS-Verlag.

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"Bei Verbrechen nicht wegsehen", UZ vom 5. April 2024



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