Deutsche Staatsräson

Günter Pohl über die Verurteilung der BDS-Kampagne

Unter Ausblendung der jüngeren Geschichte Israels und Palästinas sprach die Mehrheit aus CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP eine neuzeitliche Reichsacht aus, mit der die palästinensische „Boycott, Divestment, Sanctions“-Bewegung als antisemitisch verurteilt und die Nichtzurverfügungstellung von Räumlichkeiten für „Gruppen, die Ziele der BDS-Kampagne verfolgen“, begrüßt wird. BDS selbst nennt diese drei Ziele seiner Arbeit: Beendigung von Besatzung, Ghettos und Apartheid-Mauer; Anerkennung der Rechte der arabischen Bevölkerung in Israel als gleichrangig; Rückkehrrecht der sieben Millionen vertriebenen Palästinenser nach UN-Resolution 194.

„Eine besondere historische Verantwortung“ verpflichte Deutschland zur Sicherheit Israels. Da erstaunt es kaum, wenn die AfD sich ebenfalls zu den Antisemitismus-Experten gesellt, auch wenn ihr Antrag (unter anderem auf BDS-Verbot) keine Mehrheit fand. Wem sollte man auch besser überlassen zu deuten, wer ein Antisemit ist, als denen, die in Parteien wirken, deren Historie eng mit den Parteien verstrickt ist, die oder deren Vorläufer im Kaiserreich, in der Weimarer Republik oder den 1 000 Jahren danach den Jahrhunderte alten Antisemitismus für ihre jeweiligen Ziele nutzten? Und es immer noch tun, denn ein geläuterter Rechtsnachfolger des faschistischen Genozidstaats hat das beste Argument – ein zweites Auschwitz verhindern kann besser, wer für das erste verantwortlich war.

Bei der „Linken“ ist der Fall anders gelagert. Wer nie so recht warm mit dieser Rechtsnachfolge des Dritten Reichs werden konnte, wird von den Täterenkeln misstrauisch beäugt. Zwar waren etliche antideutsche Linkspartei-Abgeordnete soweit einverstanden mit dem die Staatsräson beschwörenden Antrag, dass sie sich enthielten, aber beim eigenen Antrag, in dem das tägliche palästinensische Drama zur „kollektiven Erinnerung“ wird, blieb die Fraktion doch wieder unter sich. Allein die sich dazu enthaltenden Grünen bemerkten dessen weitgehende Kompatibilität mit dem Regierungspapier – inklusive der Ungeheuerlichkeit, dass auch dort undifferenziert vom „Boykott israelischer Waren“ durch BDS die Rede war. Der BDS-Boykott ist aber nicht generell, sondern richtet sich gegen Waren, die in besetzten Gebieten hergestellt werden, aber als „Made in Israel“ international vermarktet werden.

Das zu begreifen, braucht es keine Sympathie für BDS. Allerdings etwas Solidarität mit dem palästinensischen Volk.

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"Deutsche Staatsräson", UZ vom 24. Mai 2019



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