Quinos Mafalda-Comics sind so aktuell wie eh und je

Die Plünderung der anderen

Ich glaube, die Bankinstitutionen gefährden unsere Freiheiten mehr als stehende Heere. Wenn das amerikanische Volk eines Tages zulässt, dass die privaten Bankiers seine Währung kontrollieren – zuerst durch Inflation, dann durch Deflation – dann werden die Banken und die um sie wachsenden Institutionen den Leuten allen Besitz nehmen, bis deren Kinder irgendwann obdachlos auf dem Kontinent aufwachen, den ihre Eltern einst erobert haben.“ Thomas Jefferson (1743 bis 1826), 3. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika und Mitverfasser der Unabhängigkeitserklärung nach der Revolution von 1776.

Im vergangenen Jahr starb der Argentinier Joaquín Lavado alias „Quino“, als Schöpfer von „Mafalda“ vielleicht der berühmteste Comic-Zeichner Lateinamerikas.

Mafalda, das kleine Mädchen aus Buenos Aires, das von 1964 bis 1974 den Zustand der Welt kommentierte, behält in der Regel das letzte Wort. Gegen die gleichermaßen kluge wie altkluge Grundschülerin streichen die Eltern und andere Erwachsene meist die Segel, weil sie ihrer Logik nicht viel entgegenzusetzen haben, die sich konsequent an den Zusammenhängen orientiert. Nie verliert Mafalda aus dem Blick, wie die Dinge verwoben sind, und zuweilen trägt sie auch Vorschläge zu deren Veränderung bei.

Wahrscheinlich hätte sie Thomas Jeffersons Bankenanalyse vom Beginn des 19. Jahrhunderts recht gegeben, aber Quino würde ihr wohl einen Hinweis für den US-Präsidenten mitgegeben haben: Wurde ein menschenleerer Kontinent erobert? Wenn nicht – muss man mit von Banken bestohlenen Nachfahren von Raubmördern Mitleid haben? Und wenn man diese Nachfahren nicht in Sippenhaftung nehmen mag – kann man nicht dennoch erwarten, dass diese ihr Rauberbe mit den Nachfahren der erdrosselten, vertriebenen, beraubten, entehrten Ureinwohner des Kontinents zu teilen versuchen?

Mafalda hätte Jefferson den Halbsatz nicht durchgehen lassen. Auch, weil Quino als Sohn spanischer Einwanderer einer Nation entstammte, die die halbe Welt erobert hatte, aber eine Klassengesellschaft blieb, und daher ein Bild davon hatte, warum Jefferson so beleidigt ob der Frechheit des Systems war, das seine Leute selbst eingeführt hatten.

Wie immer hätte Mafalda also eine Antwort gehabt. Einmal aber wird Mafalda von ihrer Mutter ausgebremst und selbst sie bleibt sprachlos zurück. Auf ihre anarchistische Ansage („Ich muss überhaupt niemandem gehorchen“), gefolgt von einer Klarstellung („Ich bin nämlich Präsidentin“), antwortet die Erziehungsberechtigte, was in Argentinien besser als anderswo verstanden wird: „Und ich bin die Weltbank, der Pariser Club und der Internationale Währungsfonds!“.

In verschuldeten Staaten kennt man sie gut, die staatlichen Gläubigerorganisationen der Völker im 20. Jahrhundert. Ihre Rolle ist gegenüber der von privaten Akteuren ein wenig zurückgetreten – sie steht im 21. Jahrhundert hinter der von Unternehmen und Hedgefonds.

Irgendwie sind wir wieder bei Jefferson, sogar inklusive mangelnden Bewusstseins von eigener Verantwortung. Nur ohne Quino.

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"Die Plünderung der anderen", UZ vom 5. Februar 2021



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