Neue Pläne zur Deregulierung von Arbeits- und Gesundheitsschutz erzeugen Widerstand

EU-Programm REFIT – Fit für wen?

Von Rainer Perschewski

Schon im Dezember 2012 startete die EU-Kommission das sogenannte REFIT-Programm (REgulatory FITness and Performance). Ziel sei es, Bürokratie und unnötige Regulierungen abzuschaffen. Man wolle EU-Gesetze vereinfachen, Regulationskosten verringern und dadurch die Grundlagen für mehr Wachstum und Arbeitsplätze schaffen. Daher sollen alle EU-Rechtsvorschriften auf Verwaltungslasten, Unstimmigkeiten, Lücken oder wirkungslose Maßnahmen untersucht werden. Frans Timmermans als Erster Vizepräsident ist als „Kommissar für bessere Rechtsetzung“ ernannt. Ein genauerer Blick lohnt sich, denn auch wenn es nichts Neues ist, positiv besetzte Worthülsen zu nutzen, um Verschlechterungen durchzusetzen, ist REFIT wieder ein Paradebeispiel dafür. Statt der angekündigten Vereinfachung und mehr Wachstum, finden wir hier Pläne zur Deregulierung von Arbeits- und Gesundheitsschutz, Verbraucherschutz und sozialen Rechten. Auf Deutsch: Ein Großangriff auf Arbeiterrechte und demokratische Entscheidungsprozesse.

Dieser quasi-Staatsstreich sollte selbst für bürgerliche Vorstellungen an eine demokratische Gesellschaft eine Herausforderung sein, denn es geht über den Arbeitsplatz hinaus und berührt die Grundfesten auch der EU. Die EU ist demokratischer und sozialer Rückschritt wie die Angriffe nach dem Motto „Verhindern, Abbauen und Ersetzen“ zeigen:

Seitdem vor zwei Jahren der „Fitnesscheck“ gestartet wurde, sind sämtliche Reformen ausgesetzt – mit z. T. schlimmen Folgen für Gesundheits- und Arbeitsschutz und die Mitbestimmung. Betroffen ist etwa die Krebsrichtlinie. Krebs verursacht 50 Prozent aller berufsbedingten Todesfälle, aber die jetzige Richtlinie erfasst die heutigen Arbeitssituationen, in denen man mit krebserregenden Stoffen in Kontakt kommt, nur zu einem sehr kleinen Teil.

Geplant ist, dass neue Gesetzesinitiativen blockiert werden können. Dazu reicht ein Veto des EU Kommissars Timmermans, eine umfangreiche Kosten-/Nutzenabschätzung oder ein technisches Veto vom neuen „Ausschuss für Regulierungskontrolle“.

Mitgliedsstaaten sollen nicht mehr über das Niveau der Richtlinie hinausgehen. Damit würden die Richtlinien keine Mindeststandards mehr setzen, sondern eine Harmonisierung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner bedeuten.

Etwaige „Belastungen“ für das Kapital durch neue Regelungen sollen durch die Beseitigung bestehender verhindert werden („one in-one out“). Aber es geht nicht um Zahlen – es geht um die Rechte der Menschen. Die Attacke auf die Regulierung ist ideologisch. Dies ist eine Gefahr insbesondere für den Arbeitsschutz, der dringend neue bzw. aktualisierte Richtlinien bräuchte. Zu nennen wären hier die Richtlinien zum Mutterschutz, zu psychischen Belastungen am Arbeitsplatz, Muskelskeletterkrankungen usw.

Aber auch die sogenannte Reregulierung bedeutet keinen Fortschritt, sondern nur die Abschwächung bestehender unliebsamer Regulierungen durch deren Zusammenfassung.

Gewerkschaften werden marginalisiert

Statt der eigentlich vorgeschrieben Anhörung von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden setzt die Kommission allein auf die öffentliche Anhörung. Das bedeutet, 50 Millionen arbeitende Menschen, die der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) vertritt, haben nicht mehr Gewicht als jede beliebige individuelle Stimme im Konsultationsprozess.

Die Richtlinien zur betrieblichen Mitbestimmung sollen zudem erneut überprüft werden.

Link zum Netzwerk:

http://www.betterregwatch.eu

Kleinere und mittlere Unternehmen sollen möglichst von Regelungen ausgenommen werden. Im Klartext: Kein Arbeits-und Gesundheitsschutz für bis zu 82 Prozent der Arbeiter in den Mitgliedsländern. Arbeits-und Gesundheitsschutz darf aber nicht von der Unternehmensgröße abhängen.

Die EU zeigt sich auch mit dem REFIT-Programm als das, was sie immer war: ein reaktionäres Projekt im Interesse des Kapitals. Die Auswirkungen müssen öffentlich gemacht, eine andere Logik durchgesetzt werden. Es gilt die Kollegen in den Betrieben gegen REFIT zu mobilisieren. Widerstand beginnt sich zu regen. Über 50 Organisationen haben dazu das kritische Netzwerk „ Better Regulation Watchdog“ gegründet und wollen ihre Aktivitäten koordinieren.

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"EU-Programm REFIT – Fit für wen?", UZ vom 25. September 2015



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