… von abweichenden Meinungen. Forschungsministerium wollte Fördermittel für kritische Wissenschaftler streichen

„Forschung und Lehre sind frei …“

Chris Hüppmeier

Als Berliner Studierende Anfang Mai mit einem Pro-Palästina-Protestcamp einen Platz an der Freien Universität (FU) besetzten, dauerte es nur wenige Stunden, bis die Polizei die Besetzung auf Geheiß der Hochschulleitung auflöste – mit brutaler Gewalt. Die Bilder davon machten bundesweit schnell die Runde und erreichten auch einige Berliner Lehrkräfte, die hinter dem Niederknüppeln ihrer Studenten durchaus eine neue, vielleicht auch sie selbst betreffende Qualität der Repression erkannten. Innerhalb kürzester Zeit positionierten sich rund 150 Lehrende von Berliner Universitäten öffentlich zur Räumung und erklärten, dass sie unabhängig von den konkreten Forderungen der protestierenden Studenten in der gewaltsamen Räumung einen eklatanten Eingriff in die Grundrechte sahen. Mehr noch sei ja gerade die Universität als Hort „kritischer Öffentlichkeit“ durch solcherart Polizeieinsätze gefährdet. Das Beben, das diese Erklärung auch über Berlin hinaus auslöste, hatte sicherlich niemand von den Unterzeichnern vorhergesehen.

Aus den Federn der großen Redaktionen von ARD bis „Bild“ war über Monate hinweg an der Erzählung eines grassierenden Antisemitismus an deutschen Universitäten gefeilt worden. Der Brief der Hochschullehrer kam dabei wie gerufen. In Wildwestmanier widmete die „Bildzeitung“ dem offenen Brief gleich eine ganze Seite. Mit Namen samt Fahndungsfotos wurden die prominentesten Professorinnen und Professoren aus der Unterzeichnerliste in der auflagenstärksten Tageszeitung öffentlich an den Pranger gestellt. Die Lehrkräfte seien teils selbst radikal „antikolonial“ und „propalästinensisch unterwegs“, war im „Bild“-Artikel zu lesen. Die Taktik: Neben der Rufschädigung der direkt Betroffenen galt diese Form der Propaganda deutscher Staatsräson auch allen anderen an den Hochschulen. Es war der Versuch, eine Stimmung zu erzeugen, die auch die letzten kritischen Stimmen zu Hochrüstung und Völkermord zum Schweigen bringt.

Was medial als Hetzkampagne aufgezogen wurde, fand im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seinen politischen Vollzug. In der vergangenen Woche veröffentlichte der NDR einen geleakten internen Mailverkehr zwischen anonymen Mitarbeitern aus dem Ministerium. Die Mails legten eindrücklich offen, dass das BMBF ernsthafte Bemühungen machte, die Unterzeichner des offenen Briefs mit Fördermittelstreichungen abzustrafen. Ein ministerielles Prüfverfahren sollte den Brief auf strafrechtlich relevante Passagen überprüfen. Unter anderem ist in der Mail von dem Verdacht auf Volksverhetzung die Rede. Die „Leitung“ im Ministerium, so heißt es in der Mail, habe erhebliche Zweifel daran, dass die „Hochschullehrer auf dem Boden des Grundgesetzes stehen“. Dass ein Bundesministerium für Bildung und Forschung sich neuerdings auch in strafrechtlichen Angelegenheiten zuständig sieht, ist dabei wohl ein Novum.

Darüber hinaus sollten ebenfalls förderrechtliche Konsequenzen geprüft werden. Kurz: die drohende Streichung bereits bewilligter Fördermittel für kritische Wissenschaftler und Lehrende. In einer kaputtgesparten Hochschullandschaft, in der externe Gelder maßgeblich über Forschungsprojekte entscheiden, würde eine Streichung der öffentlichen Fördermittel erhebliche Konsequenzen auf die Forschung und Lehre bedeuten. Zumal Fördermittel bislang aus guten Gründen nach wissenschaftlichen Kriterien vergeben werden und nicht, wie hier vom Ministerium angestrebt, nach politischer Gesinnung. Aus dem geleakten Mailwechsel wird ebenfalls deutlich, dass es wohl dem Widerspruch einiger Mitarbeiter im Ministerium zu verdanken ist, dass diese neue Qualität der Repression mit Berufsverboten durch die finanzielle Hintertür und der massiven Einschränkung der grundrechtlich verbrieften Freiheit der Forschung und Lehre nicht weiterverfolgt wurde.

Die Veröffentlichung des pikanten internen Mailwechsels löste dann allerdings ein bundesweites Entsetzen aus. Der Bogen scheint überspannt: In einem neuerlichen offenen Brief forderten bis Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ am Dienstag rund 3.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Rücktritt von Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger. „Zum 75-jährigen Bestehen des Grundgesetzes erleben Wissenschaftler in Deutschland einen bisher nicht dagewesenen Angriff auf ihre Grundrechte“, heißt es in dem Brief.

Doch statt eines Rücktritts schickte Stark-Watzinger am Montag ihre Staatssekretärin Sabine Döhring in den vorzeitigen Ruhestand. Döhring habe den Prüfauftrag veranlasst, hieß es aus dem Ministerium. Die FDP-Ministerin zeigte sich selbstverständlich entsetzt über den Vorfall im eigenen Hause, von dem sie vorgeblich nichts wusste. Schließlich sei dieses Vorgehen nicht mit der grundrechtlich verbrieften Freiheit von Forschung und Lehre vereinbar. Glaubwürdig ist das nicht. Denn gerade die Ministerin hat in den vergangenen Ampel-Jahren gezeigt, dass ihre Forschungs- und Bildungspolitik voll auf Kurs der sogenannten „Zeitenwende“ ist. Die deutsche Wissenschaft muss dem deutschen Imperialismus dienen, immer konform mit der „Wissenschaftsfreiheit“.

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"„Forschung und Lehre sind frei …“", UZ vom 21. Juni 2024



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