Die Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen der Sowjetunion und einem kapitalistischen Staat war im Jahre 1955 wahrlich keine Sensation mehr. Aber die Regierung der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland weigerte sich bis zu diesem Zeitpunkt, mit der Regierung der Sowjetunion, die den Hauptanteil an der Zerschlagung des Faschismus hatte, diplomatische Beziehungen herzustellen. Sie weigerte sich anzuerkennen, dass die Unterschriften vom 8. Mai 1945 das Ende des „Tausendjährigen Reiches“ besiegelt hatten.
Die Regierung Adenauer wollte auch nicht wahrhaben, dass die bedingungslose Kapitulation des faschistischen Deutschland für eine grundlegende Kräfteverschiebung im Weltmaßstab stand. Der Ausgang des Zweiten Weltkrieges stand für die Sprengung der imperialistischen Umkreisung der UdSSR. Sie ermöglichte Revolutionen in einer Reihe vom faschistischen Aggressor befreiter Länder Europas und Asiens und führte zur Herausbildung mehrerer sozialistischer Staaten.
Adenauers Politik des Antikommunismus
Die Regierung der BRD war nicht gewillt, die Lehren aus der Geschichte zu ziehen. Die Politik der Regierung des Monopolkapitals hatte ihre stärksten Wurzeln in der imperialistischen Ideologie und Politik des Antikommunismus und des Antisowjetismus. Mitte der 1950er Jahre war die materielle Grundlage, auf der sie ihre Politik entwickeln und verwirklichen konnte, dadurch charakterisiert, dass die Restauration des deutschen Imperialismus im Wesentlichen abgeschlossen war. Die Pariser Verträge, durch die die Bundesrepublik in das von den USA beherrschte Militärbündnis einbezogen wurde, waren ein Ausdruck dafür.
Innenpolitisch standen die Verfolgung der Kommunisten und das Verbot ihrer Organisationen für die reaktionäre Entwicklung. Der Remilitarisierung der BRD stand nunmehr nichts mehr im Wege. Es war die Zeit des Übergangs der Herrschaft der Monopole von der Periode der Stabilisierung zur Politik der aggressiven Lösung der deutschen Frage auf ihre Weise.
Sicherung des Friedens als Hauptaufgabe
Angesichts dieser Entwicklungen gingen die Sowjetunion und die DDR in ihrer Politik davon aus, dass sich immer klarer abzeichnete, dass die beiden deutschen Staaten für eine längere Zeit nebeneinander würden bestehen müssen. Unter den neuen Bedingungen konnte die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands nicht mehr als vordringlichste Frage betrachtet werden. Zum Angelpunkt der Lösung des Deutschlandproblems wurde die Sicherung des Friedens. Dementsprechend war die UdSSR bestrebt, ihren Beitrag dadurch zu leisten, dass sie einerseits Bemühungen um ein europäisches Sicherheitssystem unterbreitete und andererseits Schritte und Vorschläge zur Normalisierung der Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Bundesrepublik Deutschland unternahm.
Deutlich kam das zum Beispiel in der Note der Sowjetregierung vom 7. Juni 1955 an die Bundesregierung zum Ausdruck, in der sie – nach der formalen Verkündung der Souveränität der BRD am 5. Mai 1955 – Verhandlungen über die Herstellung diplomatischer, wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen vorschlug. Auch in den Monaten davor hatte die Sowjetunion die Aufmerksamkeit auf diese Frage gelenkt. So geschehen während der Berliner Außenministerkonferenz im Februar 1954 oder in der Erklärung des Vorsitzenden des Ministerrates der UdSSR vom 11. Juni 1954. Am 15. Januar 1955 veröffentlichte die Sowjetregierung eine weitere diesbezügliche Erklärung. Durch Erlass des Obersten Sowjets der UdSSR über die Beendigung des Kriegszustandes mit Deutschland vom 25. Januar 1955 wurden auch die dafür notwendigen Rechtsgrundlagen geschaffen.
Einladung nach Moskau
In der Erklärung vom 5. Juni 1955 teilte die Sowjetregierung ihre Auffassung mit, dass „die Interessen des Friedens und der Sicherheit in Europa wie auch die Interessen des sowjetischen und des deutschen Volkes die Normalisierung der Beziehungen“ zwischen der UdSSR und der BRD erfordern. Es wurde vorgeschlagen, „direkte diplomatische und kommerzielle sowie kulturelle Beziehungen zwischen den beiden Ländern herzustellen“. Sie lud den Bundeskanzler und andere Persönlichkeiten der BRD zum Besuch nach Moskau ein, „um die Frage der Herstellung diplomatischer und kommerzieller Beziehungen“ zwischen beiden Staaten zu erörtern.
Wie Adenauer in seinen Memoiren bestätigt, hat er als damaliger Bundeskanzler versucht, die in Zusammenhang mit der Reise stattgefundenen Ereignisse einseitig als Bestätigung der Richtigkeit seiner Konzeption darzustellen, wonach die BRD eine „Politik der Stärke“ betreiben müsse, weil „die Russen nicht mit Schwachen“ reden. Gleichzeitig versuchte die Regierung der BRD, die sowjetische Initiative als „neue Propagandaoffensive der Russen“, als „Versuch, einen Keil“ zwischen die BRD und ihre Verbündeten zu treiben, hinzustellen.
Trotzdem nahm Adenauer die Einladung an. Er stand nicht nur international unter Druck, sondern musste auch der innenpolitischen Stimmung Rechnung tragen. Umfragewerte besagten, dass 85 Prozent der Befragten für die Reise waren. Am 12. August 1955 stimmte die BRD-Regierung den sowjetischen Vorschlägen zu. Am 9. September fand das erste offizielle Treffen statt.
Verleumdung und Desinformation
Von Anfang an wurde deutlich, dass Adenauer versuchte, die Herstellung diplomatischer Beziehungen mit der Erfüllung einer Reihe von Vorbedingungen zu verbinden. Dabei warf er erneut die Frage der „freien Wahlen“ und die Erörterung der Frage der staatlichen Einheit Deutschlands auf. Einen weiteren Komplex bildete die Forderung nach der Freilassung der deutschen „Kriegsgefangenen“ durch die UdSSR. Es sollte eine Verleumdungskampagne in Gang gesetzt werden, um die Sowjetunion national und international unter Druck setzen zu können. In der eigenen Bevölkerung sollte durch Desinformation Zustimmung erzeugt werden.
Die sowjetische Delegation entgegnete eindeutig, dass sie mit dem einen der auf deutschem Boden entstandenen Staaten – mit der DDR – „bereits gute, freundschaftliche Beziehungen hergestellt“ habe. „Diese Beziehungen werden sich auch weiter auf der Grundlage der Gleichberechtigung und der gegenseitigen Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten entwickeln.“ Damit wies sie den Anspruch Adenauers zurück, im Namen aller Deutschen zu sprechen. Ausdrücklich erklärte sie, dass sie gleichberechtigte Beziehungen auch zur BRD herstellen wolle.
Verhandlungen als einziger Weg
In den Jahren 1950 bis 1955 hatte sich die Bundesregierung nie ernsthaft um die Lösung der Frage der „Kriegsgefangenen“ bemüht. Im Zusammenhang mit der Vorbereitung der Verhandlungen zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen wurde sie aber für so lebenswichtig erklärt, dass die Bonner Regierung sie zur Vorbedingung für die Herstellung diplomatischer Beziehungen zur Sowjetunion machte.
Die sowjetische Seite erklärte dazu unter anderem: „In der Sowjetunion gibt es keine deutschen Kriegsgefangenen“ mehr, sie seien entlassen und zurückgekehrt. Es gebe „nur Kriegsverbrecher aus der ehemaligen Hitlerarmee, Verbrecher, die von sowjetischen Gerichten wegen besonders schwerer Verbrechen gegen das sowjetische Volk, gegen den Frieden und die Menschlichkeit verurteilt wurden“, und zwar insgesamt 9.626 Personen. Wenn man über diese Frage verhandeln wolle, müssten sowohl Vertreter der BRD als auch Vertreter der DDR beteiligt sein, da es eine Frage sei, die beide deutsche Staaten betreffe. Außerdem, erklärte die Sowjetunion, sei die Frage überhaupt nicht Gegenstand der Verhandlungen.
Die Hallstein-Doktrin
Das wichtigste Ergebnis der Verhandlungen war die Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der BRD. Die Bedeutung des Vorgangs ging weit über einen formellen völkerrechtlichen Akt hinaus. Hier wurde der Nachweis erbracht, dass Verhandlungen der einzige erfolgversprechende Weg sind, um strittige Fragen zu lösen oder sie einer Lösung näherzubringen. Mit der Herstellung diplomatischer Beziehungen zwischen beiden Staaten waren beide deutsche Staaten gleichermaßen in der sowjetischen Außenpolitik offiziell verankert. Der Alleinvertretungsanspruch der BRD wurde damit zum ersten Male auf der diplomatischen Ebene durchbrochen.
Die Bonner Regierung hat diese Fakten nicht akzeptiert. Sie versuchte, diesen Prozess mit Hilfe der Hallstein-Doktrin zu verhindern beziehungsweise wenigstens zu bremsen. Diese Doktrin wurde zum ersten Mal auf einer Botschafterkonferenz vom 8. bis 10. Dezember 1955 in Bonn offiziell proklamiert. Sie besagte, dass die Bundesrepublik ihre diplomatischen Beziehungen zu jedem Staat abbrechen wird, der die DDR diplomatisch anerkennt. Das bestimmte die Außenpolitik der BRD in den folgenden Jahren.