Ein Gespräch mit Hans Bauer zur Gründung der GRH vor 30 Jahren

„Die BRD wurde heroisiert, die DDR verdammt“

Die Gesellschaft zur Rechtlichen und Humanitären Unterstützung (GRH) begeht am 19. Mai ihr 30-jähriges Gründungsjubiläum. In einem Beschluss aus dem März verweisen die Mitglieder auf ihre Arbeit zur „Verteidigung des sozialistischen Friedensstaates und der Nutzung seiner Erfahrungen in den heutigen Auseinandersetzungen sowie im Kampf um die Rechte und Interessen von Verfolgten und Benachteiligten“. Die Organisation habe über die „Politik des Antikommunismus aufgeklärt, offensiv seine Formen und Methoden entlarvt und allen Anfeindungen widerstanden“. Über die Arbeit der GRH sprachen wir mit ihrem Vorsitzenden, Hans Bauer.

UZ: Vor 30 Jahren habt ihr die GRH gegründet. Was war damals der Anlass?

200502 Portrait - „Die BRD wurde heroisiert, die DDR verdammt“ - BRD, DDR, Geschichte der Arbeiterbewegung, Repression - Politik

Hans Bauer: Nach dem „Einigungsvertrag“ beider deutscher Staaten, der tatsächlich einer Annexion und Kolonisierung der DDR gleichkam, setzte Anfang der 1990er Jahre eine Welle strafrechtlicher Verfolgungen von DDR-Bürgern ein. Sie richtete sich vor allem gegen Angehörige des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), der Grenztruppen und der Nationalen Volksarmee (NVA), Staatsanwälte und Richter, Partei- und Staatsfunktionäre. Außerdem waren Bürger der BRD, Westberlins und anderer Staaten betroffen, die für die Hauptverwaltung Aufklärung des MfS als Kundschafter des Friedens gearbeitet hatten. Nicht zufällig waren es Bereiche, die für Schutz und Sicherheit der Arbeiter- und Bauernmacht gesorgt hatten.

Schnell wurde deutlich: Nun war die Stunde der Abrechnung mit der gehassten DDR gekommen. Vergessen waren alle früheren Zusagen einer friedlichen Vereinigung. „Rache und Vergeltung“ hieß die Devise der Eroberer, „Delegitimierung des Unrechtsstaates DDR“ war der juristisch verbrämte Auftrag der Politik, verkündet vom damaligen Justizminister Klaus Kinkel (FDP).

Natürlich wollten und konnten wir uns nicht wehrlos dem imperialistischen Repressionssystem ausliefern – Verteidigung musste also organisiert werden. Am 19. Mai 1993 gründeten wir – 61 Bürger – die Widerstandsorganisation GRH.

UZ: Ihr habt dann vor allem juristische Auseinandersetzungen begleitet. Worum ging es?
Hans Bauer: Mit den Verfahren verfolgte die BRD zwei Ziele: individuelle Kriminalisierung von Funktionsträgern der DDR und mit ihr die Diffamierung des gesamten Staates als „Unrechtsstaat“. Die BRD setzte dafür alle juristischen und polizeilichen Mittel ein: Festnahmen und Untersuchungshaft, Durchsuchungen und Beschlagnahmen, Vernehmungen, Anklagen und Verurteilungen. Dabei wurde das eigene Recht gebeugt – es musste passend gemacht werden, um Zeit und Gründe für die Verfolgung zu gewinnen. So wurde mehrfach die Verjährungsfrist verlängert, das auch international geltende Rückwirkungsverbot aufgehoben, geltendes DDR-Recht willkürlich ausgelegt. Abgesehen davon wurden Tatsachen verdreht und verfälscht.

In der ersten Phase konzentrierten wir uns auf Solidarität und Verteidigung. Das betraf Hilfe für Betroffene und ihre Familien, Organisation der Verteidigung und die Begleitung der Prozesse in allen Instanzen – bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Wichtig war auch die Betreuung während der Inhaftierung. Verbunden war dies alles auch mit finanzieller Unterstützung.

In Erklärungen, Analysen und juristischen Ausarbeitungen informierten wir die Öffentlichkeit über den Charakter dieser Hexenjagd und forderten – unterstützt von Verbündeten und mit tausenden von Unterschriften – die Einstellung aller Verfahren. Solidarische Zusammenarbeit mit den Verfolgten der BRD aus den 1950er Jahren, so mit Karl Stiffel, vermittelte uns westdeutsche Erfahrungen der Kommunistenverfolgung.

Wir konnten die Verfolgungen nicht verhindern – aber ich bin überzeugt, wir hatten Einfluss auf Umfang und Auswirkungen. Insgesamt wurden etwa 85.000 Verfahren gegen 108.000 Bürger eingeleitet. Es kam zu 1.000 Verurteilungen, davon 100 Freiheitsstrafen ohne Bewährung. Nicht zu vergessen: die beträchtlichen Gerichts- und Anwaltskosten, die „Strafe nach der Strafe“.

UZ: Wie haben sich eure Aktivitäten entwickelt, nachdem die juristische Verfolgung von DDR-Bürgern beendet wurde?

Hans Bauer: 2005 waren diese Verfahren im Wesentlichen abgeschlossen. Unser Schwerpunkt verlagerte sich nun auf politisch-juristische Auseinandersetzungen. Es ging um die Verteidigung der sozialistischen DDR, die Zurückweisung des Kampfbegriffs „Unrechtsstaat“ und die Aufklärung über den wahren Charakter des „Rechtsstaates BRD“.

Zur Liquidierung der DDR wurden ihre „Hinrichtung“ zur Staatsdoktrin und „Geschichtsaufarbeitung“ zur beispiellosen Geschichtsfälschung: Die alte BRD wurde heroisiert, die DDR verdammt. Ein vergiftetes Spinnennetz von Institutionen und Einrichtungen – Stiftungen, Behörden, Gedenkstätten – entstand in Ostdeutschland zur Dämonisierung der DDR. Für Abermillionen wurden Einrichtungen des MfS zu „Gruselkabinetten“ umgebaut, Grenzeinrichtungen zu „Todesstreifen“, Plätze und Straßen umgewidmet, Denkmäler und Symbole des Sozialismus geschleift. Und es wurden „Opfer“ als Zeugen der „Unrechtsdiktatur“ gesucht und bezahlt. Gegen diese Macht der Zerstörung, Lüge und Manipulation leisteten wir entschlossenen Widerstand – mit Publikationen, Aufsätzen, Buchvorstellungen, Vorträgen, Erklärungen und Protesten. Vor allem, indem wir als Zeitzeugen über die Wahrheit in beiden deutschen Staaten aufklärten.

Gekaufte Wissenschaftler und Journalisten betreiben dieses Geschäft der Hetze und des Hasses bis heute. Uns machte das nicht mutlos. Im Gegenteil: Das festigte uns und stärkte unser Ansehen in der progressiven Öffentlichkeit als linke antifaschistische Organisation.

UZ: Ihr habt als Motto für euren Jahrestag „Kampf für Frieden, Wahrheit und Gerechtigkeit“ gewählt. Wo seht ihr diese Werte derzeit am meisten gefährdet?

Hans Bauer: Dieses Motto bestimmt seit Langem unser Wirken. Die GRH pflegt die Erinnerung, verharrt aber nicht – wie es unsere Gegner behaupten – in der Vergangenheit. Unser Anspruch ist, die Erfahrungen der DDR in die aktuellen Auseinandersetzungen einzubringen. Selbstverständlich bleiben weiterhin die Forderungen nach Gerechtigkeit im Osten und einer wirklich sozialen Politik in ganz Deutschland. Priorität hat aber gegenwärtig unser Kampf gegen die deutsche Kriegspolitik mit ihrem Führungsanspruch in NATO und EU. Dabei beziehen wir Position gegen die weitere Militarisierung des Landes durch Erhöhung der Rüstungsausgaben und Waffenlieferungen in die Ukraine. Wir verurteilen Kriegspropaganda, Sanktionen und Russenhass. Besonders betonen wir die historische Verantwortung gegenüber den Völkern der Sowjetunion, die uns vom Faschismus befreit haben. Wir wenden uns gegen staatliche Meinungsdiktatur trotz verbriefter Meinungsfreiheit im Grundgesetz.

Deutsche Politiker sind an Entstehung und Eskalation des Ukraine-Krieges maßgeblich beteiligt, heucheln aber Friedenswillen. Sie verschweigen oder verfälschen wiederum die Wahrheit. Friedenspolitik sieht anders aus – die DDR hat dafür in Zeiten des Kalten Krieges den Beweis geliefert. Die damaligen Erfahrungen wachzuhalten und zu nutzen, ist heute wichtigstes Anliegen der GRH.

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Über den Autor

Björn Blach, geboren 1976, ist als freier Mitarbeiter seit 2019 für die Rubrik Theorie und Geschichte zuständig. Er gehörte 1997 zu den Absolventen der ersten, zwei-wöchigen Grundlagenschulung der DKP nach der Konterrevolution. In der Bundesgeschäftsführung der SDAJ leitete er die Bildungsarbeit. 2015 wurde er zum Bezirksvorsitzenden der DKP in Baden-Württemberg gewählt.

Hauptberuflich arbeitet er als Sozialpädagoge in der stationären Jugendhilfe.

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"„Die BRD wurde heroisiert, die DDR verdammt“", UZ vom 19. Mai 2023



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