Die politische Justiz der BRD leistet weiter ganze Arbeit

„Für Solidarität mit Silvia Gingold“

Von Ulrich Sander

Parallel zum Klageverfahren von Silvia Gingold gegen das Land Hessen am 19. September fand in Kassel eine Konferenz statt. Ulrich Sander hielt dort das hier in Auszügen gehaltene Referat.

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten ist einer in der Öffentlichkeit leider weithin unbekannten staatlichen Verleumdungs- und Verfolgungskampagne ausgesetzt. Dagegen wehrt sich Silvia Gingold mit einer Klage gegen das Land Hessen, das die Verfolgung dieses Berufsverbotsopfers wieder aufgenommen hat und dies mit ihrer antifaschistischen Tätigkeit, auch in der VVN-BdA, begründet. Argumentiert wird mit einem gemeinsamen Dokument des Bundes- und der Landesverfassungsschutzämter. Diese behaupten tatsachenwidrig, die VVN-BdA sei eine „linksextremistisch beeinflusste Organisation“, deren Bestrebungen „gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ gerichtet sei. Besonders empörend ist die Behauptung, der Schwur von Buchenwald sei eine verfassungsfeindliche kommunistische Hervorbringung.

Die allgemeine Schlussfolgerung der Antifaschistinnen und Antifaschisten seit den Jahren 1933/34 war auch, die Errungenschaften der bürgerlich-demokratischen und parlamentarischen Gesellschaftsordnung zu verteidigen und auf ihrer Grundlage die Menschen in den gemeinsamen Kampf gegen Krieg und Faschismus zu führen. Die Errichtung der demokratischen Republik war nach 1945 die Hauptlosung als Schlussfolgerung aus dem Aufkommen des Faschismus, und unter dieser Losung einigten sich die Antifaschistinnen und Antifaschisten vieler Richtungen in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Auch SPD und CDU machten solche Aussagen.

Ohne die VVN-BdA in Bundes- und Länderverfassungsschutzberichten zu erwähnen, wird sie doch behandelt, als stehe sie darin. Und eine Verordnung des seinerzeitigen Bundesfinanzministers Peer Steinbrück besagte: Wenn in einem Land eine Organisation im VS-Bericht erwähnt wird, kann sie in allen Ländern so behandelt werden, als stehe sie darin. Das kann bedeuten: Entzug der Gemeinnützigkeit, Diskriminierung ihrer Mitglieder bis hin zu Berufsverboten, Verweigerung von öffentlichen Räumen usw. Der VS Hessen behauptet, er gehe ja gar nicht gegen Silvia Gingold vor, indem man sie bespitzelt und überwacht, sondern man sammele in den Akten über sie ja nur den „Beifang“. Es werden also andere Personen und Organisationen überwacht und behindert wie auch diffamiert und wenn dabei Informationen über Frau Gingold anfallen, dann würden diese gesammelt. Wir haben es mit dem Bruch des Grundsatzes „Keine Strafe ohne Gesetz“ zu tun. Und heute sollen wieder Antifaschisten per Verfassungsschutzverbund belangt werden, obwohl sie nichts Unrechtes tun – so wie im Fall Silvia Gingold sichtbar wird. Dagegen muss man sich öffentlich wehren und dagegen haben wir uns öffentlich gewehrt. 1966 hat der TV-Sender Panorama zahlreiche Enthüllungen über die politische Justiz in der BRD veröffentlicht und der Autor der Sendung, Lutz Lehmann, hat darüber ein Buch geschrieben, in dem auch mein öffentlicher Protest vorkam. Gegen mich lief 1964 ein Verfahren wegen angeblicher Einfuhr verfassungsfeindlicher kommunistischer Literatur. Es waren mir per Post Zeitschriften zugegangen. 36 Jahre später bestätigte man mir vom VS von NRW, dass ich seit 1967 beobachtet werde. Ich versuchte, so wie heute Silvia Gingold, „meine“ Akten einzusehen und ihre Vernichtung zu verlangen. Das ging schief. Das VS-Amt schrieb mir, ich könne die Akte nicht einsehen und sie werde auch nicht vernichtet; das einzige was möglich war, das war die unvollständige Übersendung einer Liste von Überschriften zu Eintragungen in die Akte. Zumeist waren es Berichte von Versammlungen, auch gewerkschaftlichen, an denen ich teilgenommen hätte. Mein Einspruch nützte nichts: Man entgegnete, man werde die Akte nicht ändern, aber gern mein Schreiben darin aufnehmen.

Die Sicherheitsbehörden urteilen über Antifaschisten, als seien sie die eigentlichen Feinde der Demokratie. Mit aller Kraft soll die antifaschistische Bewegung ausgeschaltet werden. Bisher gelang es nicht. Und das ist gut so. Doch unser politischer Gegner bleibt dran. Das Vorgehen gegen Silvia Gingold gilt ihrer erfolgreichen Lesereihe mit dem Buch über ihre Eltern, gilt dem Vorbild „Gingold“. Die erfolgreiche Losung „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ wird von den Innenministern in Schriften für die Schulen als verfassungsfeindlich diskriminiert. Breite antifaschistische Bündnisse werden mit Provokationen überzogen wie in Hamburg beim G20-Gipfel. Der legendäre Schwur von Buchenwald wird in den Schmutz gezogen. Gedenkstätten werden vom Antikapitalismus gereinigt. Die VVN-BdA wird in ihrer erfolgreichen Arbeit behindert.

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"„Für Solidarität mit Silvia Gingold“", UZ vom 13. Oktober 2017



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