Wenn sich Bundeswehr und NATO mit ihren Aufrüstungsplanungen durchsetzen, stehen wir am Beginn einer neuen Epoche, die mit der Wiederbewaffnung Deutschlands ab Mitte der 1950er Jahre vergleichbar ist. Damals wie heute sind die westlichen Aufrüstungsvorhaben gegen Moskau gerichtet. Die Raketenstationierung hat Parallelen zur Zeit Anfang der 1980er Jahre. Heute wie damals geht es um Erstschlags- und Enthauptungsschlagwaffen, die gegen Moskau gerichtet sind.
Seit 2014 fahren die Bundesregierungen die deutschen Militärausgaben höher und höher. Betrugen sie 2014 noch knapp 35 Milliarden Euro, so rechnete die Bundesregierung 2024 schon knapp 87 Milliarden Euro bei der NATO ab. Das bedeutet einen Anteil von 2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP). Der NATO-Gipfel im Juni beschloss, bis 2035 die Ausgaben der europäischen NATO-Mitglieder auf 5 Prozent des BIP hochzufahren. Verbunden damit kündigte Kanzler Friedrich Merz an, die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee Europas ausbauen und in der EU die Führung übernehmen zu wollen. Das sind wieder großdeutsche Töne, wie wir sie aus der Geschichte kennen. Als Etappenziel soll die deutsche Quote 2029 auf 3,5 Prozent ansteigen.
Die neuen Bundestagsbeschlüsse sprengen alle Dimensionen. Schulden für die Bundeswehr und die Ukraine können in Höhe und Zeitdauer unbegrenzt gemacht werden. Ausgaben in Höhe von 1 Prozent des BIP kommen aus dem regulären Haushalt, alles andere ist auf Pump. Zusätzlich können für militärisch nutzbare Infrastrukturbauten wie Straßen, Schienen und Häfen zwölf Jahre lang bis zu 300 Milliarden Euro aufgenommen werden. Wenn 2035 der 5-Prozent-Anteil erreicht ist, werden 3,5 Prozent rein militärisch verwendet, 1,5 Prozent kommen aus dem Infrastrukturfonds. Ein Fünftel dieser 5 Prozent kommt aus dem Bundeshaushalt. Vier Fünftel sind Kredite, also Schulden.
Verdreifachung der Militärausgaben
Die Regierungsplanungen sehen einen rasanten Anstieg der deutschen Militärausgaben vor: von in diesem Jahr voraussichtlich 95 Milliarden, im nächsten 123, 2027 knapp 130, 2028 145 und 2029 162 Milliarden Euro. Anhand offizieller Zahlen kommen wir 2035 bei 5 Prozent auf 230 Milliarden Euro, ohne Inflation. Mit Inflation – und die werden wir haben – auf unfassbare 314 Milliarden Euro! Davon sind 250 Milliarden Kredite. Die 314 Milliarden Euro sind das Neunfache der Ausgaben von 2014. Das bedeutet: In den nächsten zehn Jahren sollen sie sich mehr als verdreifachen. Deutschland wird spätestens dann der militärpolitische Gorilla in der EU und in NATO-Europa sein.
Die bis dahin aufgetürmten Schulden für militärische Zwecke werden sich auf exorbitante 1.547 Milliarden Euro summieren. Die Staatsschuldenquote von zurzeit 62 Prozent wird 2035 nach Berechnungen der Commerzbank auf 92 Prozent ansteigen. Aus 2,7 Billionen Euro Schulden werden dann 5,7 Billionen Euro. Die Zinslast des Bundes wird sich von 30 Milliarden im letzten Jahr auf 61,9 Milliarden Euro im Jahr 2029 mehr als verdoppeln. Die Zinsen werden aus dem regulären Bundeshaushalt bezahlt, blockieren also Zahlungen für Soziales. Ab 2030 wird die Zinslast rasant steigen. Berechnungen der Commerzbank beziffern die Zinslast 2035 auf 170 Milliarden Euro, die aus dem Bundeshaushalt bezahlt werden müssen. Der Anteil der Zinslast am Haushalt steigt von 6,5 Prozent in diesem Jahr auf 20 bis 25 Prozent im Jahr 2035. Darum geht es, wenn von Sozialabbau und sozialem Kahlschlag die Rede ist.
Aufgezwungenes Wettrüsten
Die EU unterstützt die Aufrüstungsprogramme ihrer Mitgliedstaaten. Sie werden für vier Jahre von der EU-Schuldenbremse ausgenommen, damit sie 650 Milliarden Euro frei ausgeben können. Zusätzlich legt die EU einen Fonds, „SAFE“ genannt, im Umfang von 150 Milliarden Euro auf. Macht zusammen 800 Milliarden Euro bis 2030.
Die europäischen Militärausgaben richten sich bekanntlich gegen Russland. Im Jahr 2024 gaben die europäischen Mitgliedstaaten der NATO zusammen 484 Milliarden Dollar für das Militär aus, rund 2 Prozent ihres BIP. 2035 kommen wir bei 5 Prozent nominal auf etwa 1.560 Milliarden Dollar. Für den Vergleich mit Russland benötigen wir kaufkraftbereinigte Werte. Für die europäischen NATO-Staaten sind das für 2035 2.330 Milliarden Dollar. Russlands Militärausgaben lagen letztes Jahr kaufkraftbereinigt bei 462 Milliarden Dollar. Würden die europäischen NATO-Staaten die Aufrüstung durchziehen und Russland sie einfrieren, wären die europäischen Ausgaben fünfmal so hoch wie die russischen. Russland würde sich gezwungen sehen, seine Ausgaben ebenfalls zu steigern, um sich der Erpressbarkeit durch die europäischen NATO-Staaten zu entziehen. Der Verdacht drängt sich auf, dass Russland analog zum Kalten Krieg in ein ruinöses Wettrüsten gezwungen werden soll, an dessen Ende womöglich sein wirtschaftlicher Zusammenbruch stünde. Die westliche Hoffnung dahinter: Aufstände in Russland würden eine neue, westlich orientierte Regierung hervorbringen. Die europäischen NATO-Staaten könnten sich solche Militärausgaben viel eher leisten als Russland, denn die geballte Kraft ihrer Ökonomien ist etwa sieben Mal höher als die Russlands.
Stärker als Russland
Als Begründung für den Hochrüstungskurs wird systematisch Angst vor einem Angriff Russlands auf NATO-Gebiet geschürt. Unterstellt wird, dass nach dem Ende des Ukraine-Kriegs Russland unverändert weiter rüsten würde. Da es diese neuen Waffen dann nicht im Krieg verbrauche, könnte es beispielsweise Staaten im Baltikum angreifen. Davon müsse Russland durch Aufrüstung abgeschreckt werden. Diese Abschreckung müsse Europa allein gestalten, weil auf die US-Regierung unter Trump kaum Verlass sei. Deutschland müsse 2029 „kriegstüchtig“ sein, fordern Boris Pistorius und sein Generalinspekteur Carsten Breuer, also in vier Jahren. Andere meinen, ein Angriff wäre auch schon in zwei Jahren möglich.
Dieses NATO-Narrativ ist ohne Beleg und gründet auf einseitigen Interpretationen. Gegen einen Angriff Russlands auf NATO-Gebiet sprechen die Atomkriegsgefahr und das Faktum, dass alleine die europäischen NATO-Staaten heute schon über mehr Soldaten und Militärgerät verfügen als Russland. Selbst die „Neue Zürcher Zeitung“ kommt nicht umhin, zu bestätigen: „Der militärische Vergleich zu Russland fällt schon unter den heutigen Umständen zugunsten Europas aus. Die mobilisierbaren Kräfte sind dreieinhalbmal so groß wie die Russlands. Die Truppenstärke ist schon jetzt höher. Mit Ausnahme von Atomwaffen hat Europa gegenwärtig ein Übergewicht an Militärgerät: zweifach bei den Flugzeugen, dreifach bei Panzern, um nur zwei Beispiele zu nennen. (…) Für einen konventionellen Angriff wird geschätzt, dass der Angreifer mindestens ein dreifaches Übergewicht haben muss, über das Russland nicht verfügt. Ein militärischer Überfall auf die NATO wäre für Russland schon jetzt Selbstmord.“ Diese Kräfteverhältnisse bestätigte Greenpeace im November 2024 in einer Studie.
Bedrohungslüge
Damit sich diese naheliegende Erkenntnis nicht ausbreitet, versucht Generalinspekteur Breuer seit über einem Jahr, der Bevölkerung mit immer derselben Behauptung die Gefährlichkeit Russlands nahezubringen. Er behauptet, Russland stelle angeblich 1.500 Kampfpanzer pro Jahr her. Die fünf größten NATO-Länder Europas verfügten lediglich über 750 Kampfpanzer. Das belege die russische Bedrohung.
Es bleibt Breuers Geheimnis, weshalb sich nur fünf europäische NATO-Staaten einem Angriff Russlands entgegenstellen würden. Europas 30 NATO-Staaten verfügen zusammen über 6.748 Kampfpanzer. Nach der zitierten Dreifachregel müsste Russland dreimal so viele aufbieten. Das wären 20.200. Russland hat zurzeit 5.800, müsste also 14.400 Panzer produzieren. Schafft es pro Jahr, wie Breuer behauptet, 1.500, bräuchte es dafür zehn Jahre, nicht vier.

Niemand weiß, ob die Zahl 1.500 tatsächlich stimmt. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron geht von einer viel niedrigeren Produktionszahl Russlands aus. In seiner Rede an die Nation am 5. März sagte Macron, Russland plane bis 2030 Folgendes: „Statt der aktuell 4.000 Panzer will der Kreml (…) dann 7.000 einsatzbereit haben.“ Das heißt in fünf Jahren ein Plus von 3.000 Panzern – ein jährlicher Zuwachs um 600. Nicht um 1.500 wie bei Breuer. Das sind nur 40 Prozent des Produktionstempos, das Breuer den Russen unterstellt. Wer hat also recht, der Präsident Frankreichs oder der führende deutsche Militär? Wäre es Macron, würde sich die angenommene russische Produktionszeit von mehr als 10 Jahren auf 24 Jahre verlängern. Dieser Wirrwarr zeigt, dass der NATO offenbar überhaupt keine fundierte Analyse über die angebliche Bedrohung durch Russland vorliegt. Eines ist bei diesen widersprüchlichen Zahlen gewiss: In vier Jahren steht „der Russe“ nicht in unserem Vorgarten. Es stellt sich ohnehin die Grundfrage: Welches Interesse sollte Russland haben, die NATO anzugreifen?
Dieser Wirrwarr wird noch getoppt durch einen Bericht, der Mitte Oktober bei „t-online“ erschien: „Russland erhöht Panzerproduktion massiv: Neue Strategie bis 2036. Zuwachs von 80 Prozent.“ Droht uns in Europa doch ein Angriff Russlands durch hohe Panzerproduktion? Der Text referiert eine Untersuchung angeblich geleakter Originaldokumente aus Russlands größter Panzerfabrik Uralwagonsawod aus dem Sommer dieses Jahres. Ergebnis: Von 2027 bis 2036 wird Russland 2.646 neue Kampfpanzer herstellen. Das heißt pro Jahr durchschnittlich 265 – nicht 1.500. Die „Plus 80 Prozent“ aus der Überschrift beziehen sich auf die Produktionszahlen von 240 im Jahr 2024 im Vergleich zu 428 im Jahr 2028, dem höchsten Produktionswert in den kommenden zehn Jahren. Danach liegen die Zahlen bei knapp über 100 pro Jahr. Die „t-online“-Überschrift sendet ein bedrohliches Signal. In Wirklichkeit bleibt die Produktion auf dem Niveau von 2024. Das nennt man Irreführung der Öffentlichkeit!
In einer Analyse der Oktober-Ausgabe der Militärzeitschrift „Europäische Sicherheit und Technik“ prognostiziert der Autor, dass die russischen Depotbestände an Panzern und gepanzerten Gefechtsfahrzeugen Anfang nächsten Jahres aufgebraucht sein werden. Folglich müssten künftig Panzer neu hergestellt werden. Er schreibt: „Mit dem Aufbrauchen der alten Sowjetbestände an Großgerät werden auch die jährlichen Produktionsraten sinken. Schätzungen zufolge auf nur noch 200 Kampfpanzer jährlich.“ Das bestätigt die Analyse von eben markant.
Eine russische Aufrüstung lässt sich aus alldem wahrlich nicht ableiten. Schon gar nicht, wenn man die von Russland für das nächste Jahr geplanten Militärausgaben berücksichtigt: Sie sinken um 6,7 Prozent! Die Behauptung, Russland würde uns angreifen wollen, hat keine materielle Grundlage.
Kaltstartfähigkeit
Die Bundeswehr strafft und vereinheitlicht ihre Führungs- und Kommandostruktur und schafft mit dem „Cyber- und Informationsraum“ (CIR) eine vierte Teilstreitkraft neben Heer, Luftwaffe und Marine. Sie beabsichtigt zudem die Militarisierung des Weltraums. Ziel der Maßnahmen ist es, die Bundeswehr in all ihren Komponenten auf eine so genannte Kaltstartfähigkeit hochzurüsten. Die von Deutschland mitgetragenen NATO-Vorgaben bedeuten für das Heer eine Verfünffachung der Kampfkraft von 2018 bis 2035.
Bis 2031 soll die Zahl der aktiven Soldaten von derzeit 183.000 auf 260.000 wachsen, die der Reservisten von 55.000 auf 200.000. Pistorius und Breuer wollen die Truppe also mehr als verdoppeln – auf 460.000 Mann. Die zusätzlich benötigten 77.000 aktiven Soldaten und 145.000 Reservisten sollen durch ein neues Wehrdienstmodell gewonnen werden.
Die NATO hat in ihrem „New Force Model“ zeitliche Wegmarken für die Aufrüstung gesetzt. Ihre Schnelle Eingreiftruppe wächst noch dieses Jahr von 30.000 auf 100.000 Soldaten. Für 2027 haben die Mitgliedsstaaten zugesagt, 500.000 Soldaten bereitzustellen, die binnen 10 bis 30 Tagen kampfbereit sein sollen. Bis 2029 soll die Eingreiftruppe gar auf 800.000 Soldaten aufgestockt werden. Die Bundeswehr rüstet entsprechend diesem NATO-Plan auf, um in diesem Jahr mit der 10. Panzerdivision aus Veitshöchheim, in zwei Jahren mit der 1. Panzerdivision aus Oldenburg und 2029 mit der Division Schnelle Kräfte aus Stadtallendorf Gewehr bei Fuß zu stehen.
Im Bundeshaushalt 2026 sind so genannte Verpflichtungsermächtigungen von 2027 bis 2041 aufgeführt. Stimmt das Parlament Jahr für Jahr den Verpflichtungsermächtigungen zu, wird das Verteidigungsministerium jeweils ermächtigt, diese Ausgaben zu tätigen. Sie sind erforderlich, wenn Bestellungen von Kriegswaffen und Rüstungsgütern erst später geliefert werden. Beispielsweise gibt es mit Rheinmetall Rahmenverträge über Munition, die auf zehn Jahre abgeschlossen wurden. Die Verpflichtungsermächtigungen allein dafür addieren sich von 2027 bis 2041auf 56 Milliarden Euro.
Heer
Die Verpflichtungsermächtigungen für das Heer summieren sich auf 159 Milliarden Euro. Darin sind 700 neue Schützenpanzer „Puma“ enthalten. Sie kommen zu den vorhandenen 400 hinzu. Noch nicht darin enthalten sind 1.000 neue Kampfpanzer „Leopard 2“ und 2.500 gepanzerte Transportfahrzeuge „Boxer“, die bis 2035 gekauft werden sollen. Das würde deren Bestände im Vergleich zu heute in etwa verdrei- beziehungsweise versiebenfachen und 67 Milliarden Euro zusätzlich kosten. Hinzu kommen 561 Luftabwehrsysteme „Skyranger“ für 9 Milliarden Euro.
Es gibt noch kostspieligere Heeresvorhaben, wie das deutsch-französische Mega-Projekt „Main Ground Battle System“, ein High-Tech-System, mit dem jede Panzerschlacht gewonnen werden soll. Sache des Heeres ist auch die Nutzung von Kampf- und Kamikazedrohnen. KI-gesteuert sind sie kaum abfangbar. Pistorius kündigte an: „In den kommenden Jahren wird Deutschland (…) zehn Milliarden (Euro) für Drohnen aller Art, aller Höhen – Angriffs- und Verteidigungsdrohnen – investieren.“ Die Bundesregierung legt es darauf an, Russland weit im Hinterland mit Präzisionswaffen treffen zu können. „Deep Precision Strike“ heißt das im Militärjargon.
Enthauptungsschlag
Bundeskanzler Scholz verabredete am 10. Juli 2024 mit dem damaligen US-Präsidenten Joseph Biden, ab 2026 drei verschiedene US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland zu stationieren. Das ist ein sehr bedrohlicher Umstand, der in der öffentlichen Wahrnehmung völlig unterbelichtet ist. Die gefährlichste Waffe ist die Hyperschallrakete „Dark Eagle“, die 3.700 Kilometer weit fliegt. Sie ist von weitreichenden russischen Frühwarnradaren und Satelliten nicht zu orten, sondern kann erst zwei bis drei Minuten vor dem präzisen Einschlag vom russischen Bodenradar erfasst werden – wenn überhaupt. Sie abzufangen ist aufgrund der geringen Vorwarnzeit quasi unmöglich. Die Flugzeit von Süddeutschland, wo die Raketen stationiert werden sollen, nach Moskau beträgt etwa zehn Minuten. Eine „Dark Eagle“ kostet 41 Millionen Dollar.
Für die USA ist die „Dark Eagle“ eine strategische Angriffswaffe, die direkt ihrem Strategischen Kommando unterstellt ist. Das gegenüber dem US-Kongress angegebene Ziel, damit auch so genannte zeitkritische Hochwertziele angreifen zu können, interpretieren Russland und China folgerichtig so: Sowohl der russische als auch der chinesische Präsident sehen in „Dark Eagle“ eine Enthauptungsschlagwaffe. Putin hat drei Tage vor dem Angriff auf die Ukraine öffentlich deutlich gemacht, welche Gefahren Russland bei einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine drohen würden. Die Flugzeit einer Hyperschallrakete von Charkow nach Moskau beträgt vier bis fünf Minuten, das bedeute „das Messer am Hals“. Die US-Mittelstreckenwaffen bedrohen in Russland zentrale strategische Ziele – von Deutschland aus. Ziel ist, in Russland und China so genannte Prioritätendilemmata zu erzeugen und sie militärisch ständig zu überfordern, sie ständig in Alarmzustand zu versetzen. Das ist extrem gefährlich, weil Stress Fehlwahrnehmungen und Fehlverhalten fördert.
Die Aufstellung dieser US-Mittelstreckenwaffensysteme in Deutschland, die nur deshalb wieder aufgestellt werden dürfen, weil Trump 2019 den INF-Vertrag verließ, schafft für Russland existenzielle Probleme: Wenn es einen Enthauptungsschlag befürchten muss oder zentrale Elemente seiner nuklearen Zweitschlagskapazität und seiner Frühwarnsensorik bedroht sind, und das bei massiv verkürzten Vorwarnzeiten, könnte es insbesondere bei zunehmenden Spannungen für Russland eine Lösung sein, vorbeugend Deutschland anzugreifen. Stuttgart und Wiesbaden wären vorrangige Ziele. Der Angriff Russlands auf eine Rüstungsfabrik im ukrainischen Dnipro im November 2024 mit „Oreschnik“ – einer neuartigen, nicht abfangbaren hyperschallschnellen Rakete mit Mehrfachsprengköpfen – demonstrierte seine Möglichkeiten.
Der aktuelle Zeitplan sieht die Stationierung und die Einsatzbereitschaft in Deutschland im Zeitraum vom 1. Juli bis 30. September 2026 vor. Die Zeit ist knapp. Deshalb ist der Berliner Appell nach wie vor dringend.
Gleichzeitig mit der Absicht, hier US-Mittelstreckenwaffen zu stationieren, verkündete Deutschland zusammen mit inzwischen fünf weiteren europäischen NATO-Staaten, selbst in die Entwicklung von Mittelstreckenwaffen einsteigen zu wollen. Im Gespräch sind Hyperschallraketen, ballistische Raketen und Marschflugkörper mit Reichweiten von über 2.000 Kilometern.
Luftwaffe
Bis 2030 soll die Hälfte der Luftwaffe erneuert sein. Zusätzlich wurden 20 Eurofighter für 4 Milliarden Euro bestellt und 60 schwere Transporthubschrauber für 7,8 Milliarden Euro. 5 Milliarden Euro sind für ein neues Luftverteidigungssystem namens „ESSI“ vorgesehen. Zur Aufrechterhaltung der „nuklearen Teilhabe“ wurden 35 US-Atombomber des Typs „F-35“ bestellt, die ab 2027 ausgeliefert werden und 2029 einsatzfähig sein sollen. Sie kosten 11 Milliarden Euro. Vor Kurzem wurde bekannt, dass Pistorius zusätzlich 15 „F-35“ für 2,5 Milliarden Euro bestellen will. 15 „Eurofighter“ werden als Begleitflugzeuge für die US-Atombomber zur Unterdrückung der russischen Flugabwehr angeschafft. Sie werden ab 2029 erwartet.
Die Ausgaben für die Luftwaffe summieren sich laut Verpflichtungsermächtigungen von 2027 bis 2041 auf 19 Milliarden Euro. Die 600 vorhandenen „Taurus“-Marschflugkörper, Reichweite 700 bis 800 Kilometer, werden modernisiert und bis 2045 einsatzbereit gehalten. Bis Jahresende sollen 600 weitere „Taurus Neo“ für 2,37 Milliarden Euro bestellt werden.
Bis Jahresende soll die Entscheidung fallen, ob das deutsch-französische Mega-Projekt „FCAS“ aus der Zeit von Merkel und Macron fortgeführt wird. Das „Future Combat Air System“ soll ab 2040 als KI-unterstütztes Luftwaffensystem mit Kampfflugzeugen und Kampfdrohnen im Verbund mit Heeres- und Marineverbänden sowie Satelliten für weltweite europäische Luftüberlegenheit sorgen. Die Flugzeuge sind als Träger von Atombomben konzipiert. Seit geraumer Zeit wird von interessierter Seite die Debatte um eine europäische Atombombe forciert, an der auch Deutschland beteiligt sein soll. FCAS wird einzigartig teuer. Greenpeace errechnete die Gesamtkosten auf 1.100 bis 2.000 Milliarden Euro. Davon sind bisher nur 2 Milliarden in Verpflichtungsermächtigungen aufgeführt.
Marine
Die Zahl der Fregatten – der größten deutschen Kampfschiffe – soll von zurzeit elf bis 2035 auf 21 verdoppelt, ihre Tonnage verdreifacht werden. Sie sind weltweit einsetzbar und erhalten die Fähigkeit des Schlags ins Landesinnere. Die Marine plant, dafür 400 Marschflugkörper „Tomahawk“ zu kaufen. Damit ließe sich Moskau vom Rostocker Hafen aus beschießen.
Für 10 Milliarden Euro für sechs Fregatten der Klasse „F 126“ wurde eine Haushaltssperre verhängt. Ihre Zukunft ist ungewiss. Für „Alternative Plattformen“ in unbekannter Anzahl sind 7,8 Milliarden Euro mit Sperrvermerk eingestellt. Sie bedürfen also noch der Freigabe durch den Haushaltsaussschuss des Bundestags. Der Preis für die darauffolgenden acht Fregatten des Typs „F 127“ geht absolut durch die Decke: 26,183 Milliarden Euro. Eines dieser Kriegsschiffe kostet demnach fast 3,3 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Das größte Kreuzfahrtschiff der Welt, die 365 Meter lange „Icon of the Seas“, kostete 1,86 Milliarden Euro.
Die Ausgaben für die Aufrüstung der Marine mit Verpflichtungsermächtigungen bis 2041 summieren sich auf 37 Milliarden Euro. Die deutsche Marine ist schon jetzt die größte aller NATO-Anrainer der Ostsee. Die NATO-Überlegenheit gegenüber der russischen Marine ist dort groß: bei hochseegängigen Kriegsschiffen 18 zu 8, bei U-Booten 11 zu 1. Deutschlands Aufrüstung zur See verdreifacht ab 2035 insgesamt die Zahl der Überwasserkampfschiffe, und die Zahl der U-Boote wird auf mindestens das Zweieinhalbfache anwachsen.
Der Weltraum tauchte als Kampffeld der Bundeswehr Mitte letzten Jahres erstmals in den Mainstream-Medien auf. Der Kommandeur der Führungsakademie der Bundeswehr sagte: „Ohne Unterstützung aus dem Weltraum stünden wir auf verlorenem Posten.“ Zugleich sei der „Weltraum eine Art ‚Nervenzentrale‘ für Multi-Domain-Operations (MDO), also für die vernetzte Kriegsführung über alle Bereiche hinweg.“ Pistorius will in den nächsten fünf Jahren 35 Milliarden Euro für die Militarisierung des Weltraums ausgeben.
Gigantomanie
Die Beschaffungsausgaben für neue Waffen und Ausrüstungen addieren sich 2026 auf 43,8 Milliarden Euro. Ab 2027 summieren sich die Verpflichtungsermächtigungen bis 2041 auf 300 Milliarden Euro, inklusive Ausgaben für Fernmeldetechnik, Satelliten, Digitalisierung, Logistik und so weiter in Höhe von 28 Milliarden Euro. Zu erwartende Preissteigerungen durch Inflation sind nicht inbegriffen. Und das ist erst die Untergrenze! Allein damit kommen wir im Durchschnitt auf 20 Milliarden Euro pro Jahr. 2014 waren es 4,5 Milliarden.
Wir sehen uns einer allumfassenden Aufrüstung und Militarisierung der Gesellschaft ausgesetzt. Sie basiert auf der zentralen Lüge, Russland bedrohe uns mit Krieg. Tatsächlich ist es genau andersherum: Ein militärisch immer stärkeres Europa baut eine bedrohliche Übermacht gegenüber Russland auf. Es fordert die Atommacht Russland existenziell heraus. Das setzt eine Eskalationsspirale in Gang, die Russland zu Gegenmaßnahmen provoziert. Die Kriegsgefahr in Europa steigt.
Dem kann nur durch Verhandlungen begegnet werden, sonst rasseln wir in einen Atomkrieg hinein. Gespräche über die Zukunft der Ukraine müssen mit Abrüstungsverhandlungen in Europa verknüpft werden. Mit einem Waffenstillstand ist es nicht getan: Der muss mit Abrüstungsverhandlungen einhergehen – Abrüstungsverhandlungen, die nicht nur die Ukraine und Russland betreffen, sondern auch die NATO. Ich halte eine solche Übereinkunft für lebenswichtig.

Berliner Appell – Jetzt unterschreiben!
Im kommenden Jahr sollen neue US-Raketen in Deutschland stationiert werden. Bei den Hyperschallraketen handelt es sich um Erstschlagswaffen, die sich gegen Russland richten. Diese Raketen machen Deutschland zum Angriffsziel. Sie müssen verhindert werden.
Gegen die Stationierung der US-Raketen richtet sich der Berliner Appell, den bereits mehr als 90.000 Menschen unterzeichnet haben. Wir veröffentlichen im Folgenden den Wortlaut:
Gegen neue Mittelstreckenwaffen und für eine friedliche Welt
Wir leben im gefährlichsten Jahrzehnt seit Ende des Zweiten Weltkriegs. Die Gefahr, in einen atomaren Abgrund zu taumeln oder durch einen konventionellen Krieg umzukommen, ist real. An dieser Weggabelung stehen wir für eine friedliche und solidarische Welt der Gemeinsamen Sicherheit, Solidarität und Nachhaltigkeit für alle Menschen.
Wir sagen Nein zur Aufstellung neuer US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland!
Die geplanten Hyperschallraketen Dark Eagle steigern die Spannungen und sind insbesondere für Deutschland eine Gefahr, zum Ziel eines Präventivangriffs zu werden. Überdies fördern die geringen Vorwarnzeiten das Risiko von Fehlreaktionen.
Die Stationierung wurde ohne jede öffentliche und parlamentarische Diskussion entschieden. Abrüstungsverhandlungen sind nicht vorgesehen. Wir bleiben dabei, Konflikte und Rivalitäten nicht militärisch zu lösen, sondern alles zu tun, Kriege zu vermeiden oder zu beenden. Dieser Aufgabe darf sich niemand entziehen.
Unterschriftenlisten für den Berliner Appell und Infomaterialien können unter nie-wieder-krieg.org heruntergeladen werden. Helft, den Berliner Appell bekannt zu machen, und sammelt in eurem Freundeskreis Unterschriften. Der Berliner Appell kann auch online unterzeichnet werden.



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