Erfahrungen eines DDR-Betriebsdirektors

Gegen die Niederlage gestemmt

Als ich das Buch zum ersten Mal in der Hand hielt, war ich verwundert. Warum erscheinen die autobiografischen Aufzeichnungen eines Betriebsdirektors im Großformat? Beim Durchblättern wird die Intention von Autor und Verlag deutlich: Wolfgang Beck unterfüttert seine Erinnerungen „Alles hat ein Ende – auch die Marktwirtschaft“ mit einer riesigen Anzahl von Dokumenten. Es eröffnet sich ein erstaunlicher Einblick in den Alltag der DDR.

Beck war gerade einmal 34, als er im Frühjahr 1984 ein Angebot bekam, das er weder ausschlagen konnte noch wollte. So wurde er der jüngste Betriebsdirektor der DDR – in einem wichtigen und erfolgreichen Betrieb: Das Elektromotorenwerk (ELMO) in Wernigerode produzierte elektrische Antriebe, die nicht nur in den sozialistischen Ländern begehrt waren. Die Produkte aus dem Harz trieben auch Etliches im kapitalistischen Ausland an, so auch in der BRD.

Als Betriebsdirektor war Beck nicht nur für die Produktion von 1.500 Motoren täglich zuständig. Neben der Planerfüllung, der Verbesserung seiner Produkte und deren Vertrieb oblag ihm das soziale Zusammenleben im Betrieb und teilweise auch in der Kommune. Die Volkseigenen Betriebe der DDR unterhielten verschiedene soziale Einrichtungen – von der betrieblichen Gesundheitsversorgung über Sportanlagen bis zur Ferienbetreuung. Zusätzlich oblag ihnen die Mitwirkung bei der Gestaltung zahlreicher Feiertage. Per Gesetz waren sie zum Engagement in der Kommune verpflichtet – von der Karnevalsfeier bis zur Finanzierung von Spielplätzen.

1910 02 - Gegen die Niederlage gestemmt - Alles hat ein Ende - auch die Marktwirtschaft, DDR, THK-Verlag, Wolfgang Beck - Theorie & Geschichte

Sehr anschaulich beschreibt Beck den Versuch der Wirtschaftsplanung in der DDR. Sein Fazit ist, dass sie „die Verflechtungen in der Wirtschaft rechentechnisch nicht beherrschen“ konnte. Mangel an Rohstoffen und Vorprodukten war alltäglich, wurde im Plan aber nicht berücksichtigt. Stattdessen wurden bürokratische Auflagen geschaffen, die mittels Statistik Möglichkeiten zur Produktivitätssteigerung vortäuschten, aber nicht umsetzbar waren. Hinzu kam das komplexe Geflecht aus Wirtschaftssanktion und ständigem Druck durch den Imperialismus und ausufernder Kontrolle und Bürokratie. An einem Beispiel beschreibt Beck auch den politischen Voluntarismus, der Ende der 1980er Jahre Einzug gehalten hatte: Das ELMO kooperierte mit der Haftanstalt Brandenburg, wo von 400 Strafgefangenen Motoren gewickelt wurden. Im Vorfeld des Besuchs Erich Honeckers in der BRD wurde dann im Sommer 1987 kurzfristig eine allgemeine Amnestie verkündet. Von jetzt auf gleich brach die Produktion ein – nicht nur im ELMO, sondern auch in anderen Industriebetrieben. Zahlreiche Lösungsversuche wurden unternommen, bis Vertragsarbeiter aus Vietnam die Aufgabe übernahmen. Dafür musste nicht nur eine neue Werkshalle gebaut werden: Für die Unterbringung der Vietnamesen wurde zudem ein modernes Haus mit kleiner Sporthalle errichtet – allerdings am Plan vorbei. Nach persönlichen Absprachen lieferte das ELMO Motoren an einen Kranhersteller, der dafür dem für den Bau von Halle und Wohnungen zuständigen Betrieb einen Kran zur Verfügung stellte – Naturalwirtschaft im Sozialismus.

Dass es so nicht weitergehen konnte, war klar. „Das Politbüro und der Ministerrat hatten im Februar 1987 Regelungen zur umfassenden Anwendung des Prinzips der Eigenerwirtschaftung der Mittel für ausgewählte Kombinate beschlossen.“ Für Beck der Versuch einer „Marktwirtschaft sozialistischer Prägung“. Doch nach und nach verlor die SED ihre Sprache – in einer Situation, in der der Imperialismus seine ideologischen Angriffe verstärkte und mit den steilen Thesen von Michail Gorbatschow aus Moskau die Herrschaft der Arbeiterklasse verloren ging. Die Unzufriedenheit breitete sich aus. Aus dem Wunsch, die DDR zu reformieren, erwuchs – vom Westen befeuert – die Konterrevolution, die mit der Annexion der DDR durch die BRD endete.

Beck versuchte die Arbeitsplätze des ELMO zu erhalten. Der Betrieb war hochrentabel und stellte sich schnell auf die neuen Bedingungen um. Dann erlebte Beck die Treuhand und deren endgültige Umstellung auf Ausverkauf der DDR nach der Ermordung Detlev Rohwedders. Er musste feststellen, dass das deutsche Monopolkapital kein Interesse an einer Vereinigung hatte: Es wollte vielmehr die unliebsame Konkurrenz loswerden – produzierte das ELMO doch täglich mehr Motoren als alle entsprechenden Betriebe der BRD zusammen.


Wolfgang Beck
Alles hat ein Ende – auch die Marktwirtschaft
Rohnstock Biografien (Hrsg.)
THK-Verlag, Arnstadt 2023, 268 Seiten, 22,90 Euro
Erhältlich im UZ-Shop


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Über den Autor

Björn Blach, geboren 1976, ist als freier Mitarbeiter seit 2019 für die Rubrik Theorie und Geschichte zuständig. Er gehörte 1997 zu den Absolventen der ersten, zwei-wöchigen Grundlagenschulung der DKP nach der Konterrevolution. In der Bundesgeschäftsführung der SDAJ leitete er die Bildungsarbeit. 2015 wurde er zum Bezirksvorsitzenden der DKP in Baden-Württemberg gewählt.

Hauptberuflich arbeitet er als Sozialpädagoge in der stationären Jugendhilfe.

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"Gegen die Niederlage gestemmt", UZ vom 10. Mai 2024



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