Zu Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie

Gewohnheitstäter

Seit dem Januar 2021 gilt in der Fleisch­industrie das Arbeitsschutzkontrollgesetz. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie ließen die Arbeits- und Lebensbedingungen der für Tönnies und andere Schuftenden nicht mehr verbergen. Guido Zeitler, Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), bezeichnete das Gesetz zu Recht als einen Meilenstein und wichtigen Schritt zur Neuordnung der Branche. Zehntausende Beschäftigten, die mit Werkverträgen und in Leiharbeit in der Branche beschäftigt waren, sind nun fest in die Unternehmen integriert. Und das, obwohl das Gesetz massiv entschärft worden ist, generell bleibt beim Einsatz von Leiharbeitern in bei der Fleischverarbeitung alles beim Alten.
Doch die Branche will mit einer Verfassungsbeschwerde das Gesetz komplett kippen: Vier Leiharbeitsfirmen klagen, unterstützt werden sie von anderen Verbänden der Branche. Die Regelung sei unverhältnismäßig und damit auch verfassungswidrig.

Sollte das Gesetz Bestand haben, müssten die Betriebe zukünftig mit mehr Kontrollen rechnen, 5 Prozent der Betriebe eines Bundeslandes sollten dann jährlich kontrolliert werden. Und diese Kontrollen scheut die Fleischbranche als Gewohnheitstäter mit Recht: Die Finanzkontrolle Schwarzarbeit hat im Jahr 2019 bei mehr als einem Drittel der kontrollierten Betriebe Ermittlungen aufgrund des Verdachts auf Veruntreuung und Vorenthaltung von Arbeitsentgelt oder Mindestlohnverstößen eingeleitet. Bei Arbeitsschutzkontrollen in NRW wurden 2019 30 große Schlachthöfe kontrolliert, bei 26 davon wurden teils gravierende Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften festgestellt.

Nach wie vor verweigern in der aktuellen Tarifrunde die Schlachtbarone einen Mindestlohn von 12,50 Euro pro Stunde für alle Beschäftigten, die Erhöhung des Mindestlohns auf 14 Euro pro Stunde nach einer kurzen Einarbeitungszeit und einen Mindestlohn von 17 Euro pro Stunde für Facharbeiter.

Die Verarbeitung von Schweinefleisch ist eine Erfolgsgeschichte des deutschen Kapitalismus: Vor 25 Jahren wurde etwa 1.100.000 Tonnen Schweinefleisch importiert und nur 240.000 Tonnen exportiert. Das Verhältnis ist heute ein völlig anderes. 2019 stand einer Einfuhr von 1.120.000 Tonnen ein Export von fast 2.400.000 Tonnen gegenüber – da hat die deutsche Politik die Voraussetzung für eine funktionierende Exportwalze geschaffen. Die nennt man im Kapitalismus Wettbewerbsvorteile.

Darum geht es ja schließlich in unserem Wirtschaftssystem. Kampf um Marktanteile, national oder international. Kampf um den billigsten Hamburger, den billigsten Spargel, den billigsten Briefzusteller, den billigsten Platz im Altenheim und das billigste Auto – oder Untergang. Alles keine Frage der Moral, sondern der Preis der freien Konkurrenz in der noch freieren Marktwirtschaft.

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"Gewohnheitstäter", UZ vom 21. Mai 2021



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