Graue Schafe

Ein Kommentar von Günter Pohl

Drei Fünftel der griechischen Wählerschaft haben sich am vergangenen Sonntag an einem Referendum beteiligt, in dem es um eine hundert- oder um eine neunzigprozentige Zustimmung zu den erpresserischen EU-Vorgaben für Griechenland ging. Von den anderen zwei Fünfteln der Wahlberechtigten waren die einen desinteressiert oder desillusioniert; oder sie hatten schlicht kein Geld zu dem Ort zu fahren, an dem sie ins Wahlregister eingetragen sind.

Unter denen, die sich beteiligten, haben fast 58 Prozent für das „Nein“ zur Juncker-Planung gestimmt, nur 36,5 Prozent für das „Ja“, und knapp 6 Prozent gaben ungültige Stimmen ab, wozu die KP Griechenlands aufgerufen hatte – ihr Vorschlag die Möglichkeit zu eröffnen, beim Referendum offiziell ein Votum für ein „doppeltes Nein“ abgeben zu können, war von der Regierungsmehrheit abgelehnt worden. Auch die EU hätte sich über diese Möglichkeit kaum gefreut, weil sie an einer dokumentierten Ablehnung ihrer Existenz kein Interesse hat.

Damit hat die Syriza/ANEL-Koalition den erhofften Sieg bekommen. Sie wird das „Nein“ zur EU-Vorgabe (nicht etwa zur EU und dem System der Einbindung der griechischen und anderer Volkswirtschaften in die Interessen vor allem der Exportwalze Deutschland) als eine Zustimmung zu ihren Plänen interpretieren, die sich – ausgehend von den Vorschlägen von Alexis Tsipras vom 30. Juni – von der Troika-Politik nur noch graduell unterscheiden und mit den Wahlversprechen des Januar de facto nichts mehr gemein haben. Damit fällt Syriza hinter die eigenen Ansprüche zurück, wird aber der Mehrheit der griechischen Bevölkerung gerecht, die derzeit eine Abkehr vom Euro ablehnt und dafür die Mitgliedschaft in der EU, der sie ihre Verelendung verdankt, in Kauf nimmt.

Interpretiert die Regierung das Ergebnis nicht in dieser Weise und stellt stattdessen neue Forderungen auf, dann gibt sie durch zu hohes Pokern möglicherweise den einzigen Trumpf, den sie hat, aus der Hand: Nämlich die Tatsache, dass die EU vor nichts mehr Angst hat, als ein Schäfchen zu verlieren, selbst wenn es nicht so weiß ist wie der Rest der Herde.

Schwarze Schafe kämen dagegen gleich auf die Schlachtbank. Diesen, da wo sie existieren, muss unsere grundsätzliche Solidarität gelten, während wir gleichzeitig auch reformistische Positionen dann unterstützen, wenn sie geeignet sind, den Charakter den Systems erkennbar zu machen, auf dass es mittelfristig nicht bei bloßem Ablehnen seiner Auswirkungen bleibt. Diese Bewusstseinsbildung scheint bei der griechischen Regierung nicht wirklich im Mittelpunkt zu sein, sondern der Erhalt von Euro, EU und vor allem der NATO-Mitgliedschaft, die aufgrund des Konflikts mit der Türkei noch weniger zur Disposition steht.

Dass die Revolution nicht auf der Tagesordnung ist, ist klar. Auch nicht der Zusammenbruch der EU, der eher aus ihren eigenen Widersprüchen entstehen würde und weniger durch austeritätskritische Regierungen in Griechenland oder Spanien, wenn auch deren Existenz die Kräfteverhältnisse verändert und dadurch die Kampfbedingungen verbessern kann. Denn das würde bei diesen eine konsequente Haltung gegen ein System bedingen, dessen innerer Zusammenhalt unter anderem auf Billigexporten, Quotenprotektionismus und auf vorsätzlich unterlassener Hilfeleistung für Flüchtlinge mit massenhafter Todesfolge basiert.

Auf der Tagesordnung darf aber auch nicht die Fortführung der Verschuldungspolitik stehen, die mit jedem Jahr einer weiteren ganzen Generation von Griechinnen und Griechen die Zukunft raubt. Dagegen sollten wir Widerstand leisten.

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"Graue Schafe", UZ vom 10. Juli 2015



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