Minijobs werden ausgeweitet – eine Kritik

Gut für Unternehmer – schlecht für Beschäftigte

Thomas Ewald-Wehner

Der „Minijob“ in der heutigen Form ist ein Geschöpf der SPD-Grünen Regierungs-Ära unter Gerhard Schröder (SPD) und wurde im Rahmen der „Hartz-II“-Gesetze ab dem 1. Januar 2003 geschaffen. Er zementiert und begünstigt seit langer Zeit Niedriglöhne. Die ab dem 1. Oktober 2022 gültige Erhöhung der Obergrenze für Minijobs auf monatlich 520 Euro subventioniert die Flucht der Unternehmen aus der sozialversicherungspflichtigen Regelbeschäftigung weiterhin und baut sie sogar aus. Daran ändert auch der neue, ab dem 1. Oktober 2022 erhöhte Mindeststundenlohn von 12 Euro nichts.

Unternehmer meiden eine sozialversicherungspflichtige Regelbeschäftigung und wählen den „Minijob“ aus mehreren Gründen. Erstens erfolgt eine Bezahlung in der Regel nur bei tatsächlicher Anwesenheit und mit niedrigeren Löhnen als in der Regulärbeschäftigung. Zweitens gibt es trotz einer bestehenden Umlage (U1-Versicherung) im Minijob häufig keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, obwohl ein Rechtsanspruch besteht. Die Höhe der Umlage U1 (Arbeitgeberaufwendungen bei Krankheit, wenn das Unternehmen bis zu 30 Beschäftigte hat) für geringfügig Beschäftigte beträgt 0,9 Prozent des ausgezahlten Monatslohnes. Der Erstattungssatz für den Unternehmer beträgt immerhin 80 Prozent des fortgezahlten Lohnes. Drittens gibt es nur in seltenen Fällen bezahlten Urlaub, obwohl ein Rechtsanspruch darauf besteht. Der gesetzliche Mindesturlaub beträgt 24 Werktage/20 Arbeitstage pro Jahr. Im Ergebnis kommen so viele unbezahlte Arbeitstage im Jahr zusammen – bei einer weitestgehend fehlenden sozialen Grundsicherung der Beschäftigten im Minijob.

Der Staat subventioniert den Minijob auf zweifache Weise mit Milliarden von Euro jedes Jahr: Liegen die Sozialversicherungsbeiträge in einem Normalbeschäftigungsverhältnis bei circa 40 Prozent, so sind es im Minijob lediglich 30 Prozent. Einen persönlichen Vorteil für einen Minijobber gibt es nur dann, wenn er in der Rentenversicherung pflichtversichert bleibt. Das ist verbunden mit einem Zusatzbeitrag, den der „Arbeitnehmer“ selbst zahlen muss und der vom Lohn abgezogen und einbehalten wird.

Sensationell ist die Lohn-Besteuerung des Minijobs, die lediglich 2 Prozent beträgt. Bezogen auf den monatlichen Minijob-Lohn von 520 Euro sind das 10,40 Euro Lohnsteuer.

Den Kassen der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung fehlen dadurch jährlich mehrere Milliarden Euro Sozialversicherungsbeträge. Auch das jährliche Lohnsteueraufkommen wird durch die „Alibi-Lohnbesteuerung“ von lediglich 2 Prozent in Milliardenhöhe geschädigt.

Die Vorteile der Unternehmer sind die Nachteile der Arbeitnehmer: Im Minijob sind in den Jahren 2003 bis 2020 jährlich bis zu knapp 8 Millionen Lohnabhängige beschäftigt. Damit sind circa 20 Prozent der Beschäftigten in Deutschland „unsicher“ in einem Minijob angestellt. Auch in der Corona-Zeit bestand kein Anspruch auf Kurzarbeitergeld, genauso wie auf andere Lohnersatzleistungen (ALG I). Obwohl arbeitsrechtliche Ansprüche wie bei regulär Beschäftigten bestehen, sind diese häufig bei Minijobbern „suspendiert“ (wie zum Beispiel die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, der bezahlte Urlaub oder der Kündigungsschutz). Niedriglohn und andere Nachteile bedeuten im Vergleich zum Normalarbeitsverhältnis insgesamt geringere Personalkosten für die Unternehmer. Die Flucht der Unternehmer aus dem Normalarbeitsverhältnis führt für die so Beschäftigten zu geringeren Einnahmen und schlechterer Sozialab­sicherung.

Weil es sich „Minijobber“ häufig nicht leisten können, bleiben sie nicht in der Pflichtversicherung der Rentenversicherung. Der pauschale Rentenversicherungssatz im Minijob beträgt 15 Prozent der Vergütung, der pauschale Krankenversicherungssatz 13 Prozent. Beim Verbleib in der Rentenversicherung zahlt der Arbeitnehmer die Differenz zwischen 15 Prozent zum regulären Satz von 18,6 Prozent. Das macht bei 3,6 Prozent von maximal 520 Euro einen Betrag von 18,72 Euro als eigene Rentenzahlung in Form eines Abzugs vom Lohn – dann hat man die „vollen“ Rentenansprüche. An die Beibehaltung der Rentenversicherungspflicht sind aber Vorteile gebunden, so zum Beispiel die Begründung oder Aufrechterhaltung des Anspruches auf Erwerbsminderungsrente, ein Anspruch auf Rehabilitationsleistungen und der Erwerb von Pflichtbeitragszeiten. Der Anspruch auf eine Altersrente fällt höher aus. Die Rentenzeiten gelten als volle Beitragsmonate für eine abschlagsfreie frühere Verrentung bei Langzeitbeschäftigten.

Ein weiterer Aspekt des Minijobs ist, dass der Frauenanteil im Minijob bei über 60 Prozent liegt, also gerade Frauen massive Nachteile in der Rente haben und damit häufiger von Altersarmut betroffen sind. Häufig sind alleinerziehende Mütter im Minijob anzutreffen. Klar ist, dass von einem Einkommen aus einem Minijob kein Mensch leben kann. So ist der Minijob häufig ein notwendiger Hinzuverdienst (der Zweitjob), um überhaupt monatlich über die Runden zu kommen. Die Altersarmut treibt Rentnerinnen und Rentner wiederum vermehrt in die Minijobs. Derzeit sind über 700.000 im Minijob beschäftigte Rentnerinnen und Rentner – Tendenz steigend.

Dazu kommt, dass, obwohl in der Beschäftigungsart Minijob viele Rechtsverstöße anzutreffen sind und die Unternehmer diese Variante zur „Flucht“ aus dem kostenintensiveren Normalarbeitsverhältnis nutzen, die knapp 8 Millionen „Minijobber“ meist nicht gewerkschaftlich organisiert sind.

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"Gut für Unternehmer – schlecht für Beschäftigte", UZ vom 18. Februar 2022



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