Ich will wissen, um was es eigentlich geht

Lucas Zeise, Finanzjournalist, Buchautor und ehemaliger Chefredakteur der UZ, ist in diesem Jahr 75 geworden. In der Reihe Basiswissen ist 2019 zudem sein Buch „Finanzkapital“ bei PapyRossa erschienen.
UZ sprach mit Zeise über seinen Beruf, vermeintlich objektive Zwänge und die Aufgaben der Zeitung der DKP.

UZ: Du hast dich in deinem Berufsleben immer mit Fragen der Ökonomie befasst, hast unter anderem für das japanische Wirtschaftsministerium, die deutsche Aluminiumindustrie und bei der „Financial Times Deutschland“ gearbeitet. Wann hast du angefangen, dich mit Ökonomie zu befassen?

Lucas Zeise: Das war im Wahlkampf 1969 zwischen der SPD und der CDU – die FDP hatte sich ja schon für die SPD entschieden. Der Wahlkampf hatte die Frage zum Thema, ob die D-Mark aufgewertet werden soll oder nicht, wie Albrecht Müller, der die „Nachdenkseiten“ macht, letztens noch erwähnt hat. Ein super exotisches Wahlkampfthema, das war sehr rätselhaft. „Wie kann darüber der Wahlkampf geführt werden?“, habe ich mich gefragt.

Aber es wurde richtig heftigst diskutiert über diese Frage. Und die SPD war dafür und die CDU dagegen, aufzuwerten. Und ich konnte das überhaupt nicht beurteilen. Ganz konkret habe ich mir gedacht, dass ich, um überhaupt politisch tätig werden zu können, das doch wissen muss, um was es da eigentlich geht.

Das war einer der Gründe. Marx kannte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ich war bloß generell auf der linken Seite – Antifaschist, sozusagen vom Elternhaus her, und Friedensfreund.

UZ: Dann hast du also die Ökonomie studiert, um politisch handlungsfähig zu werden.

Lucas Zeise: Ja, unter anderem. Ich wollte die Politik verstehen. Ich war an Politik interessiert, das ist der Punkt. Wer da welches Geschäft betreibt und warum, das wollte ich begreifen. Das ist eigentlich immer noch so.

UZ: Und im Studium der Volkswirtschaft bist du auf Marx gestoßen?

Lucas Zeise: Im Sommersemester 1970 bin ich an die Uni Regensburg gekommen und habe mich für Volkswirtschaft eingeschrieben und spaßeshalber auch bei der Philosophie. Regensburg war eine Reform-Uni, die war ’68 gegründet worden. Professor Winfried Vogt hat eine Einführung in die Volkswirtschaftslehre gegeben, die war einfach klug, richtig gut angelegt. Da habe ich dann gelernt, dass eine Volkswirtschaft mit Kapitaleigentümern, die so ihr eigenes Ding drehen, viel zu kompliziert ist. Einfacher, natürlicher wäre es, das gemeinsam, also staatlich-sozialistisch zu organisieren – das andere schafft eigentlich bloß Probleme. So ungefähr hat er argumentiert. Das hat mir sehr eingeleuchtet. Das Studium ist dann natürlich nicht so verlaufen, das war eine Ausnahme.

Dann gab es an der Uni viele Sektierer, die sich immerhin vor allem erstmals Marx angeeignet haben. Und da war ich mit dabei. Im Unterricht konnte man das nicht lernen, da wurde halt das gelernt, wo man nichts lernt. Aber das Umfeld war so günstig, dass ich tatsächlich mit marxistischer Politik in Berührung kam. Ich habe auch durch Marx das ein oder andere verstanden. Das war ein glücklicher Zufall, der heutzutage, glaube ich, sehr selten ist.

UZ: Du bist ein auch bei Bürgerlichen bekannter Finanzjournalist, hast unter anderem bei der „Börsen-Zeitung“ dein Geld verdient und warst 1999 Teil des Gründungsteams der „Financial Times Deutschland“. Wie war das für dich, als du noch nicht offen auftreten konntest? Was war für dich eine Grenze, wo du wusstest, das kann ich nicht machen, weil ich bei einer bürgerlichen Zeitung arbeite?

Lucas Zeise: Das war sehr unterschiedlich. Ich habe damals auch Artikel geschrieben, die mir bis heute im Magen liegen. Aber es waren nicht viele.

UZ: Das heißt, du musstest letztendlich etwas schreiben, was du nicht vertrittst?

Lucas Zeise: Genau. Das habe ich zwei oder drei Mal, glaube ich, gemacht.

Bei der „Börsen-Zeitung“ war das so selten der Fall, weil es da nicht um Politik ging, sondern um Details. Eigentlich mehr um Interpretationen dessen, was die oberen Kapitalisten in diesem Land planen und was sie machen, um Analyse. Das konnte ich ja gut machen.

Die „Börsen-Zeitung“ schreibt halt Klartext. Der Chefredakteur sagte: „Leute, es kommt auf den Profit an, da müssen Sie“ – er hat uns alle gesiezt – „die Betonung drauf legen.“

Dieser schlichte Analyseansatz ist sehr fruchtbar und richtig, ich musste mich dann selten verbiegen.

UZ: Und hat da nicht mal ein Kollege gesagt: Hör mal, bist du Marxist? Von dem, was du geschrieben hast, zumindest bei der „Financial Times Deutschland“, hätten sie ja auch auf den Gedanken kommen können, zu fragen: Was hast du eigentlich für eine Einstellung?

Lucas Zeise: Das stimmt, ja. Die „Financial Times Deutschland“ hat sich dadurch ausgezeichnet, dass sie von Ausländern gegründet worden ist. Und die wollten gegen das „Handelsblatt“, die einzige Wirtschaftszeitung damals und heute wieder, anstänkern.

Das „Handelsblatt“ zeichnet sich in seiner Blattlinie dadurch aus, dass das, was unsere deutschen Kapitalisten machen, grundsätzlich das Richtige ist. Es gilt bloß, das aufzuschreiben. Andrew Gowers von der „Financial Times“ vertrat das Prinzip, dass wir in jeder Ausgabe zumindest ein paar Artikel haben müssen, über die sich jemand richtig ärgert. Etwas, wo jemand sich darüber aufregt, dass das überhaupt in der Zeitung steht. Die Leser (die Banker und Manager etc.) sollten provoziert werden. Und kritisch sollte es sein. Deswegen war die Zeitung auch besser als das „Handelsblatt“, weil wir einige kritische Leute dabei hatten. Auch deswegen haben die mich damals eingekauft.

UZ: Es gibt ein paar nette Berichte bei bürgerlichen Medien über dich, zum Beispiel beim Wirtschaftsmagazin „brand eins“, wo du in einem Porträt als „großer Finanzjournalist“ bezeichnet wirst, der „einer kleinen, bedeutungslos gewordenen kommunistischen Partei“ die Treue hält. Ich gebe die Frage mal anders wieder: Warum hältst du an unserer kleinen, feinen, aber nicht sehr schlagkräftigen DKP fest?

Lucas Zeise: Weil ja keine bessere da ist. Ich meine, wenn ich eine schöne fette starke Partei finden würde, die auch dafür ist, den Sozialismus einzuführen, dann wäre ich bestimmt übergelaufen. Und eine, die theoretisch besser auf Draht ist, die alles Mögliche besser kann. Aber das ist ja leider nicht der Fall.

UZ: Im Jahr 2016 hast du den Posten als UZ-Chefredakteur übernommen. Welche Bedeutung hatte die Zeitung der DKP für dich, auch in den Jahren, als du zur DKP gekommen bist?

Lucas Zeise: Eine Erinnerung an die UZ ist, dass sie 1973 Tageszeitung wurde, kurz nachdem der Putsch in Chile stattfand. Zu Chile gab es dann eine wirklich knallige Tagesüberschrift. Die UZ hat damals schon eine wichtige Rolle für uns gespielt. Aber das heißt ja nicht, dass man mit der Zeitung auch zufrieden ist. Als ich in Rente gegangen bin und gefragt wurde, ob ich den Posten des Chefredakteurs übernehmen würde, da habe ich schon erst einmal gedacht: „Das tust du dir nicht an.“ Aber ich fand schon, dass sie dringend verbesserungswürdig und -fähig ist. Dazu wollte ich einen Beitrag leisten.

UZ: Was ist für dich eine gute Zeitung? Was muss ein interessanter Artikel bieten?

Lucas Zeise: Na, zum Beispiel wenn der Christoph Hein in der „FAZ“ über Papua-Neuguinea schreibt und das aufs Tapet hebt, dass die VR China die gesamten Schulden übernimmt. Das ist ein interessantes Thema und darüber habe ich in der deutschen Presse halt in der „FAZ“ gelesen. Und den Vorgang hat er dann richtig schön lang erklärt, auch gegeifert natürlich – das Geifern muss ja nicht sein, darauf kann ich verzichten. Dass so etwas in der „FAZ“ steht, macht sie zu einer guten Zeitung.

UZ: Aber das Geifern führt neben der Darstellung dessen, was passiert, dazu, dass man merkt: Das ist interessant, da ist ein Aufreger …

Lucas Zeise: Nein, das merke ich auch so, da brauche ich nicht zu geifern. Ich finde, das ist etwas, was die „Financial Times“ besser macht als die „FAZ“, sie geifert halt nicht so viel. Die machen andere Fehler, aber Geifern, darauf kommt es mir nicht an.

In der UZ standen ja viele richtig schöne Sachen, wenn es ums Geifern ging. Aber die UZ ist eine Zeitung, verdammt nochmal, da will ich informiert werden. Und das ist schlecht. Gerade was ökonomische Tatbestände betrifft, war die UZ immer schon richtig schlecht. Klar ist es blöd, immer wieder zu berichten, wie der Scholz jetzt einen Haushalt aufstellt oder so. Aber das ist verdammt nochmal das Wichtigste, was diese Regierung macht. Gibt sie Geld aus oder nicht? Und wofür?

Und wenn ThyssenKrupp jetzt den Bach runtergeht, dann muss der Vorgang schon geschildert werden, was passiert. Das ist nicht allein deswegen interessant, weil die Menschen bei ThyssenKrupp ihren Job verlieren und betroffen sind.

UZ: Du schreibst gleich am Anfang deines aktuellen Buchs „Finanzkapital“, dass uns Marxisten gerne der „Gegner aus dem Blick“ gerate. Nehmen wir einmal eine Tarifauseinandersetzung als Beispiel …

Lucas Zeise: Zuerst einmal müssen wir klarstellen, was die Kapitalseite und ihre Manager so machen. Die Kapitalseite stellt ihre Position in der Regel als objektiven Zwang dar. Dabei ist es nichts weiter als eine Vorgabe der Kapitalseite. Wenn du das als Gewerkschaft oder als Parteizeitung nicht darstellst, dann bist du hoffnungslos verloren in deinen Verhandlungen. Und deswegen musst du genau klar machen, was eigentlich Sache ist. Und das hat mit Verteilungsspielraum und so etwas zunächst einmal gar nichts zu tun.

Eine Vorgabe des Kapitals muss auch als solche bezeichnet werden. Das ist doch das Blöde. Die stellen irgendwelche Renditeziele in den Raum und die werden als objektive Ziele dargestellt.

UZ: Was erwartest du noch von einer Zeitung der DKP?

Lucas Zeise: Ich glaube, das Wichtigste, das der Partei fehlt, ist eine Strategie. Die Leute sind sehr unzufrieden mit den Verhältnissen, aber sie sehen keinen Ausweg. Die Leute haben auch keine Strategie, natürlich nicht. Aber sie erwarten von Kommunisten, dass sie eine Strategie haben. Und ich erwarte es von Kommunisten auch.

Die Zeitung kann ein Instrument sein, um eine Strategie zu entwickeln. Einerseits dadurch, dass sie beiträgt zur Darstellung und Analyse des aktuellen Imperialismus. Andererseits durch die Organisierung der Diskussion über Strategien und vor allem das strategische Ziel unserer Bemühungen. Und ich meine, wenn wir angeben könnten, wie der Sozialismus gestaltet werden sollte und wie wir da hinkommen.

Dann hätten wir vielleicht ein Argument, womit man sagen könnte, ok, so und so, das müssen wir machen.

UZ: Wie schätzt du die derzeitige Lage ein? Im August hast du in deiner UZ-Kolumne über die derzeitige Rezession und von einem „ersehnten Crash“geschrieben.

Die aktuelle Finanzkrise schleppt sich nun bereits seit zwölf Jahren dahin und große Auswirkungen sind in den kapitalistischen Zentren weitgehend ausgeblieben.

Sehnst du diesen Crash herbei? Hätte dieser nicht ganz furchtbare Auswirkungen?

Lucas Zeise: Ich habe mich wahrscheinlich schlecht ausgedrückt. Ich meinte nicht, dass ich den Crash herbeisehne, sondern dass die Spekulanten, diejenigen, die an der Börse Geld verdienen, diese Sehnsucht verspüren. Warum? Weil auch sie sehen, dass die Preise für Aktien, Immobilien, Kredite usw. nicht weiter steigen können. Der Finanzmarkt braucht eine Entwertung. Schon damit die Sause danach wieder richtig losgehen kann.

Im Übrigen muss ein hübscher Finanzcrash in der realen, Wert und Mehrwert produzierenden Ökonomie nicht unbedingt schlimme Auswirkungen haben. In der derzeit mehrfach verschleppten Überproduktionskrise vermutlich allerdings schon.

Das Interview führte Lars Mörking

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Über den Autor

Lars Mörking (Jahrgang 1977) ist Politikwissenschaftler. Er arbeitete nach seinem Studium in Peking und war dort Mitarbeiter der Zeitschrift „China heute“.

Mörking arbeitet seit 2011 bei der UZ, zunächst als Redakteur für „Wirtschaft & Soziales“, anschließend als Verantwortlicher für „Internationale Politik“ und zuletzt – bis Anfang 2020 – als Chefredakteur.

 

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"Ich will wissen, um was es eigentlich geht", UZ vom 20. Dezember 2019



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