Über das Einsatzkontingent Corona-Hilfe der Bundeswehr

Inlandseinsatz der Superlative

Das Jahr 2020, in dem sich die Verbreitung des neuen Coronavirus zu einer globalen Pandemie ausgewachsen hat, kann in vielen Belangen als ein Jahr der Superlative beschrieben werden. So auch mit Blick auf die Inlandseinsätze der Bundeswehr. Aktuell befinden sich rund 10.000 Soldatinnen und Soldaten in Gesundheitsämtern, Teststationen und Impfzentren sowie in Krankenhäusern, Alten- und Pflegeheimen im Einsatz. Weitere 10.000 Soldatinnen und Soldaten stehen, im Rahmen des im Dezember auf 20.000 aufgestockten Einsatzkontingents „Hilfeleistung-Corona“, in Bereitschaft.

Nicht in das Kontingent einbezogen sind die Angehörigen des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr, aus dessen Reihen zudem einige tausend Soldatinnen und Soldaten und zivile Bundeswehrangehörige mehr oder weniger direkt in die Eindämmung der Pandemie und die Versorgung von Erkrankten eingebunden sind. Darunter 7.000 Bedienstete der fünf Bundeswehrkrankenhäuser, die zu 80 Prozent zivile Patientinnen und Patienten versorgen. Je nach Rechnung kann damit von 20.000 bis 30.000 Bundeswehrangehörigen ausgegangen werden, die in die Pandemiebekämpfung eingebunden sind.

Eine größere Anzahl an Soldatinnen und Soldaten wurde im Inland bisher nur 2002 im Rahmen der sogenannten Jahrhundertflut in Ostdeutschland mobilisiert. Während es sich bei Inlandseinsätzen im Rahmen von Hochwasser, Waldbränden und extremen Schneefällen allerdings um räumlich klar begrenzte Ereignisse handelt, findet der aktuelle Corona-Einsatz bundesweit statt. So waren Soldatinnen und Soldaten bereits in 322 der insgesamt 412 Landkreise in Deutschland aktiv.

Zudem ist ein zeitliches Ende des Einsatzes noch immer nicht absehbar. Der bisher längste Inlandseinsatz mit einer Dauer von rund einem Jahr fand im Zuge der Unterbringung von Geflüchteten und der Unterstützung überforderter Behörden von Sommer 2015 bis Sommer 2016 statt. Mit dem formalen Beginn des Einsatzkontingents „Hilfeleistung-Corona“ im April 2020 und der vorsichtigen Schätzung, dass die Bundeswehr noch mindestens bis Herbst 2021 in Impfzentren und Gesundheitsämtern aktiv sein wird, ist absehbar, dass dieser Rekord eingestellt werden wird.

Bereits gebrochen hat das Jahr 2020 einen absoluten Rekord. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr deutlich über 2.500 Anträge auf Amtshilfe von zivilen Behörden, Verwaltungen und Ministerien an die Bundeswehr gestellt – weit über 90 Prozent davon mit direktem Corona-Bezug. Vergleicht man diese Zahl mit den 249 Amtshilfeanträgen im Laufe des eher durchschnittlichen Jahres 2019, handelt es sich um eine Verzehnfachung. Setzt man als Vergleichsgröße das Jahr 2015 mit 866 Amtshilfeanträgen an, zeigt sich eine Verdreifachung des bisherigen Spitzenwertes.

Aktuell planen alle 16 Bundesländer, Soldatinnen und Soldaten im Rahmen der Impfkampagne in Impfzentren oder mobilen Impfteams einzusetzen. Zusätzlich zu den bereits jetzt aktiven 750 Soldatinnen und Soldaten in diesem Bereich stehen weitere 2.200 in den Startlöchern, um mit der Arbeit zu beginnen, sobald genügend Impfstoff vorhanden ist und die Impfzentren flächendeckend ihren Dienst aufnehmen. Zudem wird die Bundeswehr ab dem Moment des Eintreffens der ersten Impfdosen der Firma Moderna in Deutschland an Logistik und Verteilung beteiligt sein.

Einsatzschwerpunkt der Bundeswehr bleibt auf absehbare Zeit allerdings die Unterstützung der zivilen Gesundheitsämter. Von den zwischenzeitlich rund 7.000 dort eingesetzten Soldatinnen und Soldaten sind weiterhin 5.500 in 310 der bundesweit 375 Gesundheitsämter aktiv.

Abgesehen von den schieren Dimensionen des Corona-Einsatzes dringt die Bundeswehr im Zuge der Pandemiebekämpfung weit in das zivile Gesundheitswesen vor und erschließt sich damit, abseits der bereits üblichen Wege der Kooperation mit Katastrophenschutz, Feuerwehren und Polizeikräften, weitere Kontakte in der Gesellschaft.

Darüber hinaus scheinen die PR-Abteilungen der Streitkräfte keinen Pressetermin mit Corona-Bezug auszulassen, um Soldatinnen und Soldaten in Flecktarn als allzeit bereite Hilfskräfte zu präsentieren. Die damit einhergehende Akzeptanzbeschaffung in der Bevölkerung könnte schon bei der nächsten Haushaltsrunde, wenn die Sparpakete geschnürt werden, von enormem Nutzen für die Bundeswehr sein. Ob aus der Pandemie gelernt wurde und Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Katastrophenschutz dann Vorrang vor Rüstungsprojekten bekommen, darf bezweifelt werden.

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"Inlandseinsatz der Superlative", UZ vom 15. Januar 2021



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