Österreichs Sozialdemokraten: Für die Bevölkerung nicht glaubwürdig,
für das Kapital nicht unsozial genug

Kanzlertausch

Von Anne Rieger

Eine soziale Politik für die Menschen wird es mit den noch amtierenden Kreisen der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) auch weiterhin nicht geben. Der nun in Szene gesetzte neue SPÖ-Vorsitzende und Bundeskanzler Christian Kern war sechs Jahre lang Vorstandsvorsitzender des Bahnkonzerns ÖBB. Er wird den von der Wirtschaft gewünschten neoliberalen Sozialabbau verschärft vorantreiben – möglicherweise intelligenter kommuniziert –, wenn kein Protest und Widerstand auf der Straße und in den Betrieben organisiert wird.

Arbeitslosigkeit zu verringern ist sein Ding nicht. In seiner Vorstandszeit bei der ÖBB sind 2 500 der rund 40 000 Arbeitsplätze abgebaut worden. Eben dort wurde auch der erste Tarifvertrag vereinbart, nach dem die Beschäftigten ihre Arbeitszeit verkürzen können, wenn sie dafür auf die Löhnerhöhung verzichten, sie also selber bezahlen.

Am 9. Mai war der bisherige Bundeskanzler und SPÖ-Vorsitzende Werner Faymann zurückgetreten. Sein Rücktritt ist ein Ausdruck dessen, dass die SPÖ-Führung zunehmend an Vertrauen verloren hat. Die arbeitenden Menschen, Arbeitslosen und RentnerInnen sehen ihre Interessen bei der SPÖ nicht mehr vertreten. Seit Jahren steigt die Arbeitslosigkeit, prekäre Jobs insbesondere für jüngere – auch gut ausgebildete – Menschen nehmen ebenso zu wie die häufig ungewollte Teilzeit für Frauen. Permanent steigen die Wohnkosten, die Einkommen dagegen stagnieren. Das Renteneintrittsalter wird erhöht, die zu erwartenden Renten sinken, in der Gesundheitsversorgung und Pflege herrscht faktisch ein Zweiklassensystem.

Die Verbitterung der Menschen und ihr berechtigtes Misstrauen gegenüber den regierenden, neoliberal agierenden Parteien hatten sich bereits 2015 in den Wahlergebnissen der Bundesländer gezeigt. Die SPÖ verlor, die rechtsextreme FPÖ gewann enorm an Stimmen. In Oberösterreich und im Burgenland holten ÖVP bzw. SPÖ sie in die Landesregierungen. Umfragen zeigten das gleiche Bild. Höhepunkt war dann das schlechteste Abschneiden des SPÖ-Kandidaten bei der Wahl zum Bundespräsidenten Mitte April. Der Kandidat der Sozialdemokraten, Rudolf Hundstorfer, ehemaliger ÖGB-Präsident und Sozialminister, erhielt gerade mal elf Prozent der abgegebenen Stimmen. Die Kandidaten der rot-schwarzen Regierungskoalition erreichten zusammen 22 Prozent. 35 Prozent, und damit die meisten Stimmen, erhielt der FPÖ-Kandidat Norbert Hofer. Somit stehen er und der Grüne Alexander Van der Bellen (21 Prozent) in der Stichwahl, die am 22. Mai stattfinden wird.

Für die SPÖ-Führung war dieses Misstrauensvotum kein Grund, um über eine sozialere Politik nachzudenken. Auf ihrer Diskussions-Agenda standen stattdessen Offenheit gegenüber Koalitionen mit der FPÖ, weitere Einmauerung Österreichs gegenüber den flüchtenden Menschen, besonders aber die Personaldiskussion. Auf der 1.-Mai-Kundgebung der SPÖ in Wien, zu der traditionell die Parteien getrennt aufrufen und nicht der ÖGB, wurde der Bundeskanzler von großen Teilen seiner Partei lautstark ausgebuht. Der Druck aus der Partei auf Fay­mann wuchs.

Zugleich ist der erzwungene Rücktritt aus den eigenen Reihen Ausdruck davon, dass führenden Kräften der Wirtschaft die schon lange geforderten neoliberalen Reformen durch die SPÖ-geführte große Koalition viel zu langsam voran gehen. Seit Monaten trommelten Industriellenverband und Wirtschaftskammer für die Senkung der Lohnnebenkosten, ihrer Steuern, der Mindestsicherung usw. Schon Tage vor dem von ihnen gewünschten Politikwechsel hatten sie in den Medien schreiben lassen, dass der CEO der staatlichen ÖBB (Österreichische Bundesbahnen), Christian Kern, der bessere sozialdemokratische Kanzler einer großen Koalition sei. ­VoestAlpine-Chef Wolfgang Eder (48000 Beschäftigte weltweit) ist zuversichtlich, dass eine neue Welle neoliberaler „Reformen“ durchgesetzt werden kann: „Wir erleben das Ende eines Systems, an das sich die Menschen viel zu lange geklammert haben.“

„Die SPÖ ist längst von neoliberaler Ideologie durchdrungen und hat keine glaubwürdigen Antworten auf die Probleme der Bevölkerung“, schätzte Claudia Klimt-Weithaler, die Fraktionsvorsitzende der KPÖ im Steiermärkischen Landtag, nach Faymanns Rücktritt ein. Aber das Misstrauen der Menschen gegen die SPÖ konnten die Wirtschaftsbosse für ihre eigenen Zwecke ausnutzen. Mehr Angst als vor den „Gstopften“, die die erstrittenen und erkämpften sozialen Rechte schleifen wollen, bekamen große Teile der Bevölkerung vor den zu uns geflohenen Menschen. Die gewollte oder tatsächliche Unfähigkeit der Regierung, schnell Wohnraum und Schulen zu organisieren, Lehrer, Ärzte und Integrationspersonal einzustellen, verbunden mit einer hysterischen Berichterstattung, erhöhte die bereits jahrelang existierenden Sorgen der Menschen noch weiter. In der Tat ist es so, dass die Geflohenen – ungewollt – als Lohndrücker, Wohnungs- und Arbeitsplatzkonkurrenten von den Herrschenden missbraucht werden. Statt sich gemeinsam mit den Geflohenen organisiert selbstbewusst zur Wehr zu setzen, glauben viele WählerInnen in Österreich dem sanften Gesicht des deutschnationalen Burschenschaftlers Hofer. Der FPÖler kann sich als Aufräumer inszenieren, der etwas ändern und es denen da oben schon mal zeigen werde.

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"Kanzlertausch", UZ vom 20. Mai 2016



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