Freiheit, Demokratie, demokratischer Kampf heute

Kein Wechsel kann die Macht erschüttern

Arnold Schölzel referierte auf der Februar-Sitzung des Parteivorstands der DKP zu den Begriffen Freiheit und Demokratie. Die UZ dokumentiert das Referat in gekürzter Fassung.

Freiheit und Demokratie sind zentrale Begriffe im weltweiten Kampf des Imperialismus zur demagogischen Rechtfertigung seiner Ordnung und seiner globalen Kriege. Im Kampf gegen die Sowjetunion und die sozialistischen Länder war er damit erfolgreich und versucht gegenwärtig, diesen Erfolg zu wiederholen im Kampf gegen sogenannte autoritäre Staaten. Die Behauptung, allein in den parlamentarischen Republiken des Westens herrsche überhaupt Demokratie, ist zu einem festen Bestandteil der Alltagsideologie auch vieler Unterdrückter und Ausgebeuteter geworden. Zugleich wird in den gegenwärtigen Krisen und angesichts der vom Imperialismus geschürten Kriegsgefahr vielen Menschen immer wieder bewusst, dass sie weder auf lokaler Ebene noch bei allgemeinen oder weltweiten Problemen etwas am Gang der Dinge ändern können. Die Kluft zwischen dem Anspruch der westlichen Länder, Synonym für Demokratie zu sein, und der Realität, der Einschränkung von Freiheit und Demokratie, ist im Kapitalismus der Gegenwart größer geworden. Wir sollten uns überlegen, ob es nicht an der Zeit ist, wieder mit Lenins „Entwicklung der Demokratie bis zu Ende“ an die Öffentlichkeit zu gehen, also über sozialistische Demokratie als wirkliche Alternative zu sprechen.

Angelegt ist diese Kluft im bürgerlichen Begriff von Demokratie, das heißt im Parlamentarismus: Der Proklamation nach gewährt er allen gleiche Mitbestimmungsrechte, in Wirklichkeit ist er in den Händen von Wirtschafts- und Parteienkartellen. Die bürgerliche Demokratie gilt nie für alle – von Sklaven und Frauen in der sogenannten ältesten Demokratie der Neuzeit, den USA, angefangen bis zu Arbeiterklassemigranten heute. Die herrschende Klasse behält sich zudem stets vor, die parlamentarische Republik zu beseitigen, wenn die Interessen der Mehrheit sich auch in parlamentarischen Mehrheiten niederschlagen. Wir erleben in den USA, in der Bundesrepublik und anderswo gegenwärtig Versuche der herrschenden Klasse, sich für den Kampf gegen den Parlamentarismus eine Massenbasis zu schaffen.

Zum anderen sind Freiheit und Demokratie programmatische Orientierungen aller fortschrittlichen Kräfte, insbesondere von Kommunisten und Sozialisten. Beide Begriffe sind an konkrete Gesellschaftsformationen gebunden, das heißt, sie werden von den herrschenden Eigentumsverhältnissen bestimmt. Eine sozialistische Gesellschaft verkörpert einen höheren Typ von Freiheit und Demokratie als die bürgerliche Gesellschaft. Erst im Sozialismus-Kommunismus ist wirkliche Selbstbestimmung der Menschen möglich.

Unter Marxisten gibt es aber seit jeher Kontroversen darüber, in welchem Verhältnis die Demokratie in der sozialistisch-kommunistischen Gesellschaftsformation – als Erscheinungsform der Diktatur des Proletariats – zur Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaftsformation steht als Erscheinungsform der Diktatur der Bourgeoisie.

Karl Marx vertrat im „18. Brumaire“ die Ansicht, dass die vom revolutionären Bürgertum formulierten Menschenrechte über dessen Gesellschaft hinausweisen und „sozialistisch“ werden müssen: „Die Bourgeoisie hatte die richtige Einsicht, dass alle Waffen, die sie gegen den Feudalismus geschmiedet, ihre Spitze gegen sie selbst kehrten, dass alle Bildungsmittel, die sie erzeugt, gegen ihre eigne Zivilisation rebellierten, dass alle Götter, die sie geschaffen, von ihr abgefallen waren. Sie begriff, dass alle sogenannten bürgerlichen Freiheiten und Fortschrittsorgane ihrer Klassenherrschaft zugleich an der gesellschaftlichen Grundlage und an der politischen Spitze angriffen und bedrohten, also ‚sozialistisch‘ geworden waren.“ Das schließt ein, dass alle fortschrittlichen Rechte von der Arbeiterbewegung gegen Beschränkung oder Beseitigung verteidigt werden müssen.

Marxistischer Freiheitsbegriff

Den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus betrachteten die Denker des vorrevolutionären Bürgertums als Herstellung eines Reiches der Vernunft. Vor ihr sollten sich alle Autoritäten rechtfertigen – staatliche, religiöse, geistige. Hegel hat als Anhänger der Großen Französischen Revolution von 1789 diese Vorstellung in die Worte gefasst, Geschichte sei „Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit“ – nicht als Fortschritt realer Freiheit, „sondern dass es im Laufe der Geschichte fortschreitend zu Bewusstsein komme, dass alles Recht aus der Freiheit hervorgeht“. Und umgekehrt: Freiheit kann nach dem Grundgedanken seiner „Rechtsphilosophie” nur dort herrschen, wo es Recht gibt – und zwar gesetztes, schriftliches Recht. Denn wo kein Recht ist, so sein Argument, herrscht Willkür. Freiheit schließt für ihn Leibeigenschaft und Sklaverei aus. Freiheit gab es aus seiner Sicht weder in der Antike noch in seiner Gegenwart unter bürgerlichen Demokratien wie in England, den Vereinigten Staaten oder Frankreich nach der Revolution von 1789.

Marx und Engels knüpften daran unmittelbar an: Nach Engels hat Hegel als Erster das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit, von Freiheit und dem Zwang, eine Not zu wenden, „richtig dargestellt”. Freiheit sei begriffene Notwendigkeit und insbesondere Freiheit des Willens bestehe in der „Fähigkeit, mit Sachkenntnis entscheiden zu können”. Das ist, bezogen auf den Einzelnen, der Kern des marxistischen Freiheitsbegriffs.

Wirkliche Freiheit, so Marx im „Kapital“ mit Bezug auf die jeweilige Gesellschaftsformation, besteht darin, „dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden“. Das „wahre Reich der Freiheit” liegt dann allerdings jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion, blüht auf dieser als dem „Reich der Notwendigkeit” auf. „Die Verkürzung des Arbeitstages ist die Grundbedingung.”

Das schließt ein, die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass alle Angehörigen einer Gesellschaft in die Lage versetzt werden, Sachkenntnis zu erwerben und auf dieser Grundlage mitzuentscheiden. Freiheit ist die auf Einsicht in die objektiven Gesetzmäßigkeiten von Natur und Gesellschaft gegründete gemeinschaftliche Herrschaft von Menschen über Natur und Gesellschaft. Geistige Freiheit ist die Fähigkeit, diese Gesetzmäßigkeiten so genau wie möglich widerzuspiegeln. Verzichtet eine marxistisch-leninistische Partei darauf, diese Gesetzmäßigkeiten zu erfassen, führt das zu subjektivistischen Entscheidungen. Die bürgerliche Gesellschaft ist stets auf Illusionen über Gesellschaft und damit über Freiheit und Demokratie angewiesen, auf die „heroischen“ ihrer revolutionären Phase, auf irrationale nach der bürgerlichen Revolution.

Bürgerlicher Freiheitsbegriff

Der einflussreichste Antipode des marxistischen Freiheitsbegriffs war John Stuart Mill, den Marx und Engels selbstverständlich kannten. Alle Freiheitsbegriffe des Liberalismus leiten sich mehr oder weniger von Mill her, etwa die von Karl Raimund Popper ersonnene „offene Gesellschaft“, die von Hannah Arendt gegen den Sozialismus gerichtete Erfindung der „totalen Herrschaft“ oder die Auflösung aller sozialen Gegensätze, insbesondere des Klassenkampfes, in „Kommunikationsverhältnissen“ durch Jürgen Habermas.

Nach Mill ist Freiheit kein philosophischer Begriff, sondern eine teils angeborene, teils erworbene menschliche Verhaltenseigenschaft. Damit die eigenen Antriebe ausgebildet werden können, ist „gesellschaftliche Freiheit” erforderlich, das heißt, die Freiheitsfrage reduziert sich auf die „Grenzen der Gewalt, die füglich die Gesellschaft über den einzelnen ausüben sollte”. Darin ist unschwer ein Reflex der Reduktion von Freiheit auf Gewerbefreiheit zu erkennen. Mill unterscheidet zwischen einer kontinentalen, demokratischen Freiheitsidee, aufgrund derer für bestimmte Maßnahmen die Zustimmung der Gesamtheit oder einer Mehrheit notwendig ist, und der liberalen Idee einer Beschränkung der politischen Macht, gegen die bei Übertretung Widerstand gerechtfertigt ist. Diese Konstruktion, die Freiheit auf die Sphäre der Politik als Gegensatz zu individuellen Rechten reduziert, ist bis heute erfolgreich – man sehe sich die Freiheitsvorstellungen von CDU/CSU, FDP, Teilen der Grünen oder die zentralen Probleme solcher Bewegungen wie der „Querdenker” an.

Die liberale Freiheitsdefinition, die letztlich identisch ist mit der des Anarchismus im Sinne von Herrschaftslosigkeit, hatte stets Ausbeutung und Unterdrückung zur stillschweigenden Voraussetzung. Sie schlägt seit mehr als 150 Jahren im Imperialismus sehr rasch um in Sozialdarwinismus – Freiheit ist das Recht des Stärkeren – und vor allem: Sie schloss seit ihren Anfängen im 17. Jahrhundert Sklaverei und koloniale Ausrottung mit ein. Die extremsten Varianten wurden in den Vereinigten Staaten seit deren Unabhängigkeit entwickelt. Die Ideologie der „White Supremacy“ war Vorbild für den deutschen Faschismus: Freiheit ist demnach allein der siegreiche Wille zur Macht, der auf Sklaverei und Menschenvernichtung beruht. Das war Friedrich Nietzsches Botschaft, es ist der Grundstein imperialistischer Ideologie bis hin zum Faschismus. Erste Voraussetzung bürgerlichen Freiheitsversprechens ist nicht nur das Verschweigen sozialer Ungleichheit, sondern von Anfang an der Einsatz brutalster Gewaltmittel nach innen gegen die Arbeiterklasse und nach außen gegen die kolonialisierten Völker. Ungleichheit muss erhalten bleiben, das ist die wirkliche Devise dieses Freiheitsbegriffs.

Freiheit im Kapitalismus und Imperialismus

Im Sinne des marxistischen Freiheitsbegriffs sind soziale Ungleichheit und Unterdrückung sowie die daraus folgenden Bildungsschranken, Bildungsprivilegien und die Abwesenheit von Mitbestimmung das Gegenteil von Freiheit. Jahrhundertelang hat der Kapitalismus der Arbeiterklasse Bildung vorenthalten. Es sei nur daran erinnert: Die Geschichte der Kindheit im Europa der Neuzeit ist eine Geschichte des millionenfachen Schuftens von klein auf für die Industrie. Kinder und Frauen waren in der Industriegeschichte die weißen Sklaven Europas. UNICEF schätzt, dass heute weltweit etwa 160 Millionen Kinder regelmäßiger ausbeuterischer Arbeit nachgehen. In der BRD war die Bildungsfrage stets eine Klassenfrage. Weil die DDR die Bildungsprivilegien abgeschafft hatte, gab man sich bis 1990 reformfreudig im Bildungswesen. Seitdem geht es auch dort um Privatisierung und damit Bildung als Privileg. Also erreichen seit Jahren 15 bis 25 Prozent aller Schüler laut den nationalen Bildungsberichten nicht die Grundkompetenzen in Lesen, Schreiben und Rechnen. Deutschland ist laut den OECD-Pisa-Berichten das Land unter den Industriestaaten, in denen die soziale Herkunft am stärksten über die Bildung entscheidet. Das alles bedeutet Unfreiheit.

071202 - Kein Wechsel kann die Macht erschüttern - bürgerliche Demokratie, Demokratie, Freiheit - Hintergrund
Verteilung der nordamerikanischen Indianerstämme vor der Ankunft der Briten. Der Großteil der Ureinwohner wurde vernichtet, Sklaven aus Afrika sorgten für den ökonomischen Aufstieg und die Herausbildung des Kapitalismus in den USA. Die europäischen Einwanderer gründeten den ersten Rassestaat der Welt und verklären das bis heute als Gottes eigenes Land. Die Vernichtung und Versklavung waren das Vorbild für die faschistische Lebensraumpolitik. (Foto: Velvet Film)

Hinzu kommt: Im Imperialismus erreicht die Manipulation von Meinungen und Überzeugungen im Vergleich zum Kapitalismus der freien Konkurrenz eine neue Dimension. Seit etwa 1890 bilden sich mit jeder neuen Stufe der Technologie Presse- und Medienmonopole, die heute eine globale Stufe der Beherrschung von Denken und Emotionen erreicht haben. Sie setzen systematisch an die Stelle von Wissen, Bildung und Kultur Nebensächliches, politisch Spaltendes und falsche Informationen. Imperialismus heißt im Zeitalter von GAFA – also Google, Apple, Facebook und Amazon – faktische Unterdrückung der Meinungsfreiheit durch Verhinderung, sich eine begründete Meinung überhaupt bilden zu können. Rudolf Hilferding definierte Imperialismus richtig mit der Aussage, das Monopol strebe nicht nach Freiheit, sondern nach Herrschaft.

Die Vergesellschaftung der Medienkonzerne ist ein erstes Erfordernis des Kampfes um Meinungsfreiheit.

Zum Wesen des Imperialismus gehören soziale und politische Demagogie zur Spaltung und Lähmung der Arbeiterklasse. Dabei werden immer wieder progressive Begriffe aufgegriffen und mit einem reaktionären Inhalt versehen. Das gilt insbesondere für Krisen- und Kriegszeiten. Beispiele sind die „Vaterlandsverteidigung”, mit der die SPD 1914 den Ersten Weltkrieg rechtfertigte, aber auch die Behauptung der deutschen Faschisten 1933, sie seien die Träger einer „nationalen Revolution”. Die Erfindung „humanitärer Missionen” im Jugoslawienkrieg war ein weiterer Musterfall solcher Demagogie.

Die heutige Kriegsvorbereitung stellt wie im Kalten Krieg die Welt als aufgeteilt zwischen friedlichen Demokratien und aggressiven Autokratien dar, ein Bild, das mit der Realität nichts zu tun hat.

Was ist Demokratie?

Demokratie ist eine Herrschaftsform und zugleich Triebkraft einer politischen Herrschaft von unten, der Volkssouveränität. Die bürgerliche Demokratie ist – wie das Recht – ein Kampfplatz der Klassen, sozialistische Demokratie die Herrschaft des Volkes unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer Partei.

Für Marx war die parlamentarische Demokratie diejenige Form der Bourgeoisherrschaft, worunter die verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie „gemeinsam herrschen konnten“. Sie ist, so Marx, als Herrschaftsform geeignet, „ihre Herrschaft als den Willen des Volkes erscheinen zu lassen”. Sie hat die reale politische Wirkung, den „Gegensatz“ von „Kapital und Lohnarbeit“ nicht etwa „aufzuheben“, aber doch „abzuschwächen und in Harmonie zu verwandeln“. Die Bourgeoisie zwängt ihre Herrschaft mit der verfassungsrechtlich „proklamierten Demokratie“ in „demokratische Bedingungen, die jeden Augenblick den feindlichen Klassen zum Siege verhelfen und die Grundlagen der bürgerlichen Gesellschaft selbst in Frage stellen“. Geschieht dies tatsächlich, so gilt: Die Bourgeoisieherrschaft als „Ausfluss und Resultat des allgemeinen Volkswillens“ ist vorbei. Nunmehr wird die „Diktatur“ der Bourgeoisie „befestigt, (…) wider den Volkswillen“.

Anders gesagt: Marx und Engels sahen die bürgerliche Demokratie bei allen Beschränkungen als eine Errungenschaft, allerdings als stets gefährdet durch die Bourgeoisie. Lenin formulierte in „Staat und Revolution“ unter Bezug auf Engels: „In der demokratischen Republik (…) ‚übt der Reichtum seine Macht indirekt, aber um so sicherer aus‘, und zwar erstens durch seine ‚direkte Beamtenkorruption‘ (Amerika) und zweitens durch die ‚Allianz von Regierung und Börse‘ (Frankreich und Amerika)“. Lenin fährt dann fort: „Heute haben Imperialismus und Herrschaft der Banken diese beiden Methoden, die Allmacht des Reichtums in jeder beliebigen demokratischen Republik zu behaupten und auszuüben, zu einer außergewöhnlichen Kunst ‚entwickelt‘.“ Und weiter: „Die Allmacht des ‚Reichtums‘ ist in der demokratischen Republik deshalb sicherer, weil sie nicht von einzelnen Mängeln des politischen Mechanismus, von einer schlechten politischen Hülle des Kapitalismus abhängig ist.“ Kein Wechsel, „weder der Personen noch der Institutionen noch der Parteien“, könne diese Macht erschüttern.

Kommunisten und bürgerliche Demokratie

Die Auffassungen des Marxismus über das Verhältnis der Arbeiterklasse zur bürgerlichen Demokratie erhielten im Imperialismus, durch den Kampf gegen den Weltkrieg und gegen den Faschismus neue Akzente. Lenin wandte sich – ähnlich wie Rosa Luxemburg – insbesondere gegen die These Eduard Bernsteins, es gebe einen ständigen Prozess der Demokratisierung im Kapitalismus, der schließlich in den Sozialismus führe. Bernsteins Idee wird heute vor allem von der Partei „Die Linke“ weitergetragen, die von einer Demokratisierung des Kapitalismus träumt. Wer Regierungsbeteiligung mit Veränderung der Machtverhältnisse verwechselt, landet allerdings zwangsläufig im klassischen Revisionismus.

Lenin wies der Demokratie beziehungsweise einer Demokratisierungsstrategie, die sich auch auf die Wirtschaft erstreckt, einen entscheidenden Platz im Kampf um eine andere Gesellschaft zu: „Entwicklung der Demokratie bis zu Ende, Auffinden der Formen einer solchen Befreiung, ihre Erprobung in der Praxis (…) Einfluss auch auf die Ökonomik.“ Und er ließ dabei keinen Zweifel an der Notwendigkeit eines politischen Bruchs mit dem Kapitalismus.

Die Konterrevolution 1918/19 in Deutschland und der Sieg des Faschismus in Italien 1922 bildeten den Hintergrund für Antonio Gramscis Begriffe von Herrschaft als „mit Zwang gepanzerte Hegemonie“ und vom Staat, der ein „vorgeschobener Schützengraben“ sei, „hinter dem eine robuste Kette von Befestigungswerken und Kasematten“ liege. In diesem Staat, wie er in Westeuropa existiere, werde ein „Stellungskrieg“ der Klassen um Einfluss und Macht geführt.

Kommunisten und bürgerliche Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg

Für Kommunisten war die bürgerliche Demokratie nach dem Sieg über den Faschismus in fast allen kapitalistischen Industriestaaten ein Kampfplatz, um die Macht der Arbeiterbewegung zu erhalten und auszubauen. Das ist in den wenigsten entwickelten kapitalistischen Ländern gelungen, vielmehr wurden fast überall die kommunistischen und linkssozialistischen Parteien marginalisiert. Die bürgerliche Demokratie wurde zur relativ konstanten „konservativen Lebensform” (Marx) kapitalistischer Gesellschaften. Die antifaschistischen Errungenschaften der ersten Nachkriegszeit wurden schrittweise beseitigt.

Auf der 3. Tagung des Parteivorstands der DKP hat Patrik Köbele mehrere Phasen in diesem Prozess für die Bundesrepublik genannt. Ich fasse kurz zusammen:

Zunächst ging es von 1945 bis 1949/50 für das deutsche Monopolkapital in den Westzonen darum, gegen das verbreitete antimonopolistische Bewusstsein in der Bevölkerung die Restauration der Eigentums- und Machtverhältnisse durchzusetzen. Ein Beleg dafür ist das gerade 75 Jahre alt gewordene Ahlener Programm der CDU. Im beginnenden Kalten Krieg richteten sich die Attacken weniger gegen den Sozialismus als gegen die Sowjetunion, die als „totalitär“, das heißt als Variante des Faschismus, bezeichnet wurde.

In der zweiten Phase, nach der erfolgten Wiedererrichtung der deutschen Monopolherrschaft und der Integration in den Westen, richteten sich die Angriffe gegen FDJ und KPD, sollten die DDR isoliert und das innere konterrevolutionäre Potenzial vom Westen aus zu gewaltsamen Aufständen wie am 17. Juni 1953 in der DDR oder 1956 in Polen und Ungarn aktiviert werden.

Die dritte Phase setzte in den 60er-Jahren ein, als sich nach der Grenzschließung vom 13. August 1961 die Verhältnisse in der DDR rasch stabilisierten und vor allem international die antikolonialen Bewegungen an Stärke gewannen. Gegenüber den sozialistischen Ländern ging man von der militärischen zur politisch-ideologischen Umarmungsstrategie über, im Innern wurden kosmetische Reformen vorgenommen – Stichwort: „Mehr Demokratie wagen“ von 1969.

Der Pinochet-Putsch 1973 in Chile markierte den Beginn der vierten Phase, die oft „neoliberal“ genannt wird, in der Bundesrepublik mit der Kanzlerschaft Helmut Kohls 1982 sich voll durchsetzte und schließlich in die Konterrevolutionen in den sozialistischen Ländern Europas mündete. Damit entfiel ein wichtiger politischer und sozialer Faktor, der auf die Politik gegenüber der Arbeiterklasse Einfluss gehabt hatte. Nun konnten die Samthandschuhe ausgezogen werden. Eine Zeitlang konnte die Linkspartei Protest und Widerstand kanalisieren, diese Funktion erfüllt sie nicht mehr. Die vielfältigen Widersprüche und offenen Krisen der Gesellschaft führen nun „zu Protesten und Aufbegehren, die aber heute oftmals in irrationale oder gar nationalistische oder rassistische Richtungen gehen“.

Das ist ein Resultat der Monopolherrschaft der vergangenen 40 Jahre, in der sich der deutsche Imperialismus zur Führungsmacht in der EU entwickelt hat und fester Bestandteil des Versuchs ist, die imperialistische Vorherrschaft in der Welt in Konkurrenz und Kooperation mit den USA, Frankreich und Britannien zu erhalten. Es handelt sich nicht um einen Übergang zum Faschismus – der bleibt aber immer eine Option der herrschenden Klasse –, sondern um das, was wir „Reaktionärer Staatsumbau“ genannt haben. Die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung haben nicht nur die Katastrophe im Gesundheitswesen offenbart, die vor 20 Jahren mit den Privatisierungen durch SPD und Grüne begann. Die Proteste dagegen sind eine ausgezeichnete Gelegenheit für den staatlichen Überwachungs- und Repressionsapparat, den Notstand zu proben und exakt zu erfassen, welche Teile der Bevölkerung sich in einer solchen Krisenlage staatstreu verhalten und welche sich als Fußtruppe für reaktionäre Umwandlungen im Staat eignen.

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"Kein Wechsel kann die Macht erschüttern", UZ vom 18. Februar 2022



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