Zukunft der Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne unklar, CDU-Kreistagsfraktion verweigert Mittel

Keine Brosamen für Stukenbrock

Entsetzen selbst in der eigenen Partei: Die CDU-Fraktion des Gütersloher Kreistags hatte am 25. September überraschend zusammen mit den Fraktionen der Freien Wählergemeinschaft/Unabhängigen Wählergemeinschaft und der AfD eine Betriebskostenbeteiligung des Landkreises Gütersloh an der Gedenkstätte Stalag 326 (VI K) Senne in Stukenbrock abgelehnt (siehe UZ vom 6. Oktober). Es ging um 460.000 Euro für den Betrieb der Gedenkstätte, die eigentlich bis 2031 für insgesamt 60 Millionen Euro zu einem Gedenkort von „nationaler und internationaler Bedeutung“ ausgebaut werden soll.

Die Gedenkstätte erinnert an den grauenhaften Umgang der Wehrmacht mit den mehr als 310.000 sowjetischen Kriegsgefangenen, die dort zwischen 1941 und 1945 interniert waren. Das Lager war das möglicherweise größte seiner Art in Deutschland.

Seit der Abstimmung im Kreistag ist die überwiegend ehrenamtlich betriebene Gedenkstätte geschlossen. Ob sie erhalten werden kann, ist unklar. Der Ausbau ist ohnehin unwahrscheinlich geworden: Die dafür von Bund und Land Nordrhein-Westfalen zugesagten Mittel sind daran geknüpft, dass sich der Gütersloher Kreistag an den Betriebskosten beteiligt.

Die Entscheidung der CDU-Fraktion „hat uns zutiefst getroffen und schockiert“, heißt es in einer ersten Erklärung des Fördervereins der Gedenkstätte. Sämtliche politischen Entscheidungsträger seien in den Prozess der Neugestaltung einbezogen gewesen, auch im Gütersloher Kreistag habe es breite Zustimmung dafür gegeben.

Ein wichtiger Akteur hatte das Konzept für den Ausbau der Gedenkstätte von Anfang an kritisiert: der Arbeitskreis Blumen für Stukenbrock. Er geht auf eine Initiative von Persönlichkeiten der Kirchlichen Bruderschaft Lippe mit Kommunisten und jungen Sozialdemokraten aus Ostwestfalen in den 1960er Jahren zurück, die die Verbrechen der Wehrmacht in Stukenbrock nicht in Vergessenheit geraten lassen wollten. Dass die Gedenkstätte gepflegt und genutzt wird, ist wesentlich diesem Arbeitskreis zu verdanken – und einem Bündnis ostwestfälischer Jugendverbände inklusive der SDAJ, nach deren Unterschriftenaktion „Rettet Stukenbrock“ Anfang der 1980er Jahre das Denkmal auf dem Sowjetischen Soldatenfriedhof restauriert wurde. In einem Papier vom 1. März 2021 kritisierte Werner Höner, Mitbegründer und einst langjähriger Vorsitzender des Arbeitskreises, dass der „aus offenbar politischen Gründen“ von der Mitarbeit an der Konzeption der Neugestaltung ausgeschlossen worden sei. Das Konzept für den Ausbau berücksichtige den Sowjetischen Soldatenfriedhof nicht ausreichend als integralen Bestandteil der Gedenkstätte. Dabei müsse es zuerst um das Schicksal der Kriegsgefangenen gehen, die in Stukenbrock ums Leben kamen oder überlebten. „Es müssen natürlich auch die Verantwortlichen, die Täter und ihre Auftraggeber genannt und der Umgang mit ihnen in der Nachkriegszeit geklärt werden.“ Dazu gehöre auch der Umgang der Bundeswehr mit jungen Soldaten, die mit Arrest bestraft wurden, nachdem sie sich bei Gedenkveranstaltungen in Uniform vor den toten Sowjetsoldaten verneigt hatten. Der Arbeitskreis diskutiert Ende nächster Woche über seine nächsten Schritte.

In der „Konzeption für die Weiterentwicklung der Gedenkstätte Stalag 326 in Stukenbrock-Senne“ vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe vom März 2021 heißt es, die Neugestaltung der Gedenkstätte solle „den baulichen Wandel im Kontext des gesellschaftlichen Wandels der Bundesrepublik“ betonen. Das Lager habe nach 1945 als britisches Internierungslager für bekannte NS-Verbrecher fungiert, dann als „Sozialwerk für Flüchtlinge und Vertriebene bzw. DDR-Aussiedler“, später als Ausbildungsstätte der Polizei, zuletzt als Aufnahmelager für Geflüchtete. Mitglieder des Arbeitskreises, lokaler Friedensinitiativen und Historiker der Universität Bielefeld befürchten, Besucher einer derart umgestalteten Gedenkstätte könnten zu dem Schluss kommen, der Terror, den die sowjetischen Gefangenen dort einst erfuhren, sei durch die spätere Aufnahme Geflüchteter quasi entschuldigt.

Die DKP Ruhr-Westfalen unterstützt eine Erklärung des Arbeitskreises, die die CDU-Kreistagsfraktion auffordert, „ihre Haltung zu überdenken und ihre ablehnende Haltung zu korrigieren“. „Diese Entscheidung reiht sich ein in die voranschreitende Rechtsentwicklung, die sich auch in den Wahlerfolgen rechter Kräfte wie AfD und CDU zuletzt in Bayern und Hessen zeigt“, sagte ein Vertreter der SDAJ gegenüber UZ. Man müsse sich auf weitere Angriffe zur Umdeutung der Geschichte und der Verharmlosung des Faschismus gefasst machen. Die Botschaft der Russischen Föderation in Berlin drückt ihr Bedauern über die Entscheidung des Kreistags in einer Pressemitteilung aus und hofft, „dass die deutsche Seite Möglichkeiten für die Umsetzung dieses wichtigen Gedenkprojekts finden kann“.

Eine Petition für die Sicherung der Zukunft der Stukenbrocker Gedenkstätte kann unter kurzelinks.de/stukenbrocksichern unterschrieben werden.

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"Keine Brosamen für Stukenbrock", UZ vom 13. Oktober 2023



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