Spaniens Sozialdemokraten stürzen die Volkspartei

Keine Sorgen in Berlin und Paris

Von Günter Pohl

Spanien hat eine neue Regierung unter der Führung des Sozialdemokraten Pedro Sánchez. Da sie keine Mehrheit im Parlament besitzt (84 von 350 Sitzen), sind Neuwahlen vor Ablauf der Legislatur wahrscheinlich. Die Ära der korrupten Rechtsregierung mit ihrem in jeder Hinsicht halsstarrigen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy ist vorerst zu Ende.

Die Volkspartei (Partido Popular – PP) stolperte am 1. Juni über eine verlorene Vertrauensabstimmung; ein Mechanismus, der erstmals seit der Rückkehr zur „Demokratie“ vor vierzig Jahren erfolgreich war. Die Kommunistische Partei Spaniens (PCE) bezeichnet in einer Erklärung des Parteivorstands die PP-Regierung als „strukturell korrupt“. Besonders der Fall „Gürtel“ –  in der spanischen Innenpolitik seit 2009 so benannt, weil die Polizei ihre Ermittlungen mit dieser deutschen Übersetzung des Nachnamens des Unternehmers Francisco Correa führte –   zeigte das Ausmaß der Korruption der PP. Sie ließ sich von Correa Schmiergelder zahlen, aber auch illegale Partei­spenden flossen. Nach der Verurteilung einiger Verantwortlicher wegen Veruntreuung vor wenigen Wochen geriet die PP immer mehr unter Druck. Am Ende verlor die ohnehin wacklige Mehrheit von Rajoy die Unterstützung einiger baskischer Regionalabgeordneter.

Auch die Katalonienfrage, in der Mariano Rajoy Spaniens Nationalbourgeoisie gegen die nationalen (und auch wirtschaftlichen) Interessen dieser autonomen Region derart verbissen bekämpfte, dass ein Bürgerkrieg nicht mehr völlig ausgeschlossen schien, hat zum Sturz der Rechtsregierung beigetragen. Wenigstens ein Teil der Bourgeoisien beider Kontrahenten dürfte den Daumen gesenkt haben.

Grund für Ängste besteht bei der spanischen Oberschicht und in der EU-Hauptstadt Berlin eher nicht. Schließlich ist auf die sozialdemokratische PSOE immer Verlass gewesen, wenn es um die Einbindung in die EU und die NATO ging, und auch „Unidos Podemos“ (in etwa: „Vereint geht’s“), eine linksbürgerliche Demokratiebewegung, die diese Werte ebenfalls verteidigt und sich mit der Dezimierung der ehemals sehr stark kommunistisch dominierten „Vereinten Linken“ beim Establishment zudem nicht eben Feinde gemacht hat, wird den Staat nicht stürzen. Sondern ihn machen wollen.

Die PCE sieht die PSOE-Minderheitsregierung, der elf Frauen und sechs Männer angehören („die weiblichste Regierung der Welt“, wie das spanische Fernsehen feststellte), neben der Korruptionsbekämpfung in der Pflicht, die bürgerlichen und politischen Rechte wiederherzustellen, die Arbeitsrechts- und die Erziehungsreform zurückzunehmen, das Wohnungsproblem und die Arbeitslosigkeit anzugehen sowie die Katalonienfrage über einen Dialog und zu Gunsten eines republikanischen Bundesstaats zu lösen. Die PCE verlangt nach den anstehenden Kommunal- und Regionalwahlen baldige Neuwahlen des Parlaments. Nicht unwahrscheinlich wäre ein Sieg der PSOE mit dem nun im Rampenlicht stehenden, mit 46 Jahren noch jungen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez.

Einen PSOE-Sieg und die Patenschaft von „Unidos Podemos“ vorausgesetzt, könnte Sánchez’ Regierung sich dann mit einigem Geschick als Macron-Klon erweisen: Gegen Frau Merkel auch mal große Worte, die natürlich mehr nach innen gerichtet sind; Forderung nach Erneuerung von diesem und jenem in der EU und zu Hause, wahlweise zum Bekämpfen oder Einbinden der Gewerkschaften; Modernisierung allenthalben, da in den Sozialsystemen ja alles so fürchterlich marode und unfinanzierbar ist – und dabei bloß keine EU-Kriegseinsätze abschlagen.

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"Keine Sorgen in Berlin und Paris", UZ vom 15. Juni 2018



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