Bundesregierung verabschiedet „ Weißbuch für Aufrüstung und Krieg“

Keine Zurückhaltung

Von Nina Hager

Am 13. Juli hat die Bundesregierung das neue Bundeswehr-Weißbuch beschlossen. Das Weißbuch und der NATO-Gipfel in Warschau vor zwei Wochen zeigen: Die Bundesregierung ist nicht nur NATO-Partner, sondern will eine eigenständige führende Rolle in Europa und der Welt spielen.

Auf dem Weg zum „Impulsgeber“

Das neue „Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr“ ist, so die Bundesregierung, „das oberste sicherheitspolitische Grundlagendokument Deutschlands“. Kurz nach dem NATO-Gipfel betont sie darin ihre „große Übereinstimmung“ mit den USA und den anderen NATO-Partnern.

Im Weißbuch heißt es: „Nur gemeinsam mit den USA kann sich Europa wirkungsvoll gegen die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts verteidigen“. „Bündnissolidarität“ sei deshalb „Teil deutscher Staatsräson“. „Wahrnehmung deutscher Interessen“ bedeute entsprechend „immer auch Berücksichtigung der Interessen unserer Verbündeten“.

Zuvor wird aber auch betont: „Deutschland ist ein in hohem Maße global vernetztes Land, das aufgrund seiner wirtschaftlichen, politischen und militärischen Bedeutung, aber auch angesichts seiner Verwundbarkeiten in der Verantwortung steht, die globale Ordnung aktiv mitzugestalten. Deutschland wird zunehmend als zentraler Akteur in Europa wahrgenommen“. Und später: „Deutschland ist bereit, sich früh, entschieden und substanziell als Impulsgeber in die internationale Debatte einzubringen, Verantwortung zu leben und Führung zu übernehmen. Dazu gehört auch die Bereitschaft, zur Bewältigung heutiger und zukünftiger sicherheitspolitischer sowie humanitärer Herausforderungen beizutragen.“

In wessen Interesse?

Als zentrale sicherheitspolitische Herausforderungen benennt das Weißbuch nicht die Hochrüstungspolitik der NATO oder die deutschen Rüstungsexporte. Es fordert, die eigenen Rüstungsexporte auszubauen. Das Weißbuch listet die angeblichen Bedrohungen auf, vor denen Deutschland stehe: „Weltweite Aufrüstung“ sowie „zwischenstaatliche Konflikte“, „transnationaler Terrorismus“ und „fragile Staatlichkeit“, ebenso die „Gefährdung … der Rohstoff- und Energieversorgung“ sowie „Herausforderungen aus dem Cyber- und Informationsraum“.

Zu den Bedrohungen, denen Deutschland zur Zeit ausgesetzt sei, zählt das neue Weißbuch auch „unkontrollierte und irreguläre Migration“. Eindeutig geht es um die Interessen des Kapitals: Die deutsche Wirtschaft sei „auf gesicherte Rohstoffzufuhr und sichere internationale Transportwege angewiesen“. Hinzu komme, dass inzwischen auch „funktionierende Informations- und Kommunikationswege“ unverzichtbar seien: „Deutschland muss sich daher für die ungehinderte Nutzung der Land-, Luft- und Seeverbindungen ebenso wie des Cyber-, Informations- und Weltraums einsetzen.“

Außen und innen

Auffällig häufig ist von „äußerer und innerer Sicherheit“ die Rede. Diese seien „nicht mehr trennscharf voneinander abzugrenzen“. An anderer Stelle ist von einem „zunehmenden Ineinandergreifen von innerer und äußerer Sicherheit“ die Rede, was die „gemeinsame Ausbildung und Übung von staatlichen und zivilen Akteuren für das Handeln im gesamten Krisenzyklus“ erfordere. Die Streitkräfte könnten bereits unter den jetzigen Rahmenbedingungen „zur Unterstützung der Polizeikräfte … auch hoheitliche Aufgaben unter Inanspruchnahme von Eingriffs- und Zwangsbefugnissen wahrnehmen“ (siehe auch UZ vom 3.6.2016).

Was spiegelt das Weißbuch?

Am 8. Juli konnte man in der „FAZ“ lesen: „Deutschland präsentiert sich auf dem Nato-Gipfel in Warschau mit neuem Selbstverständnis. Vergessen sind Jahrzehnte der politischen und militärischen Zurückhaltung.“

In Warschau beschlossen die NATO-Staaten, ihre Rüstungs- und „Modernisierungs“-anstrengungen weiter zu forcieren. Kanzlerin Angela Merkel hatte schon vor dem Gipfel betont, Deutschland unterstütze „nachdrücklich“ das Ziel der NATO, dass alle Mitglieder der Allianz zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben zur Verfügung stellen und werde die eigenen Rüstungsausgaben steigern. Das neue „Weißbuch“ begründet das mit der wachsenden Bedrohung und den steigenden neuen Anforderungen an die Bundeswehr und ihre Einsätze weltweit.

Die NATO setzt ihre Politik der Konfrontation und Drohung gegenüber Russland fort. Der Gipfel legte verbindlich fest, vier Bataillone dauerhaft in Polen, Litauen, Estland und Lettland zu stationieren. Deutschland wird das Kontingent in Litauen anführen. Die NATO will weitere Manöver im Baltikum und in Polen durchführen. Der lang angekündigte Raketenschild, der sich „natürlich nicht“ gegen Russland richte, ist mittlerweile einsatzbereit. Die Kommandozentrale des „Raketenschilds“ befindet sich in Ramstein. Die Gefahr eines – auch zufällig ausgelösten – kriegerischen Konfliktes wächst.

Mit dem Entscheid des Gipfels zum AWACS-Einsatz ist das Bündnis nun auch offiziell am Krieg in Syrien und im Irak beteiligt. Auch dabei werden deutsche Soldaten eingesetzt. Den Rückzug aus Afghanistan hat die NATO auf unbestimmte Zeit verschoben.

NATO und EU werden künftig beim Vorgehen gegen Flüchtlinge vor der libyschen Küste und in der Ägäis zusammenarbeiten.

Das Kriegsbündnis will enger mit der EU zusammenarbeiten: „Die NATO erkennt die Bedeutung einer stärkeren und fähigeren europäischen Verteidigung an, die zu einer stärkeren NATO führen und die Sicherheit aller Verbündeten fördern wird“, heißt es in der Gipfelerklärung. Gerade Deutschland macht sich für eine gemeinsame Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion stark – auch im „Weißbuch“.

Die NATO beklagt die angeblich aggressive Politik Russlands. Im „Weißbuch“ heißt es entsprechend: „Russland wendet sich … von einer engen Partnerschaft mit dem Westen ab und betont strategische Rivalität.“ Russland stelle die europäische Friedensordnung offen in Frage. Dazu meinen drei Abgeordnete der Linkspartei: „Alles liest sich wie ein Spiegelbild der Aktivitäten des Westens.“ Diese Analogie, die Christine Buchholz, Katrin Kunert, Alexander Neu von der AG Sicherheitspolitik der Bundestagsfraktion der Linksparte in einer Stellungnahme zum „Weißbuch“ ziehen, ist wohl doch nicht ganz zutreffend. Die „FAZ“ kommentierte am 8. Juli aus ihrer Perspektive genauer: „Jetzt geht es Berlin um die aktive Mitgestaltung der globalen Ordnung.“ Und da geht es vor allem auch um eigene Interessen.

Recht aber haben Buchholz, Kunert und Neu mit ihrer abschließenden Bewertung des „Weißbuches“: „Das Weißbuch ist nichts anderes als die zu Papier gebrachte Forderung nach mehr Geld für mehr Soldaten, mehr Militär­einsätze und mehr Kriegsgerät. Es ist ein Weißbuch für Aufrüstung und Krieg.“

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Keine Zurückhaltung", UZ vom 22. Juli 2016



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