„Die Welt wird eine andere sein“ jetzt fürs Heimkino

Liebe und Weltgeschichte

Wie bewahrt man ein Geheimnis, das keines mehr ist, und nimmt der Erzählung dennoch nicht die Spannung? Die Regisseurin Anne Zohra Berrached, 1982 in Erfurt geborene Tochter eines algerischen Vaters und einer deutschen Mutter und Absolventin der Filmakademie Baden-Württemberg, hat mit ihren Filmen „Zwei Mütter“ (2013) und „24 Wochen“ (2016) sich als stilsichere Filmerzählerin erwiesen und dafür viel Lob geerntet. (Als Bonusmaterial enthält die DVD den Kurzfilm „E. + U.“ als frühe Talentprobe!) Ihren Schritt von der kleinen, privaten Geschichte zur großen Weltgeschichte markiert sie nun schon im Titel, allerdings auf Kosten der Spannung. Was nun als „Die Welt wird eine andere sein“ im Kino und inzwischen auch auf DVD zu sehen ist, trägt international den Arbeitstitel „Co-Pilot“ und schrumpft somit den großen Anspruch auf das Format einer Liebesgeschichte – immerhin einer ungewöhnlichen.

Das Geheimnis ist schon halb gelüftet, bevor noch ein Bild die Leinwand erreicht hat: Aus dem Off hören wir fast nur gehaucht den letzten Gruß von Filmheld Saeed an seine trauernde Witwe Asli und mit etwas politischem Hintergrundwissen verstehen wir ihn unmittelbar als das Geständnis einer ungeheuerlichen Tat, die durch eben diese Asli hätte verhindert werden können: Die Attentate vom 11. September 2001 in den USA. Doch was wie ein versehentlicher Spoiler wirkt, ist in Wahrheit ein dramaturgischer Trick, ohne den sich dieses Drama um Liebe, Schuld und Verantwortung wohl gegen jede kinotaugliche Gestaltung gesperrt hätte. Denn Berrached und ihrer Koautorin Stefanie Misrahi geht es nicht um ein filmisches Traktat über Politik, Moral und Schuld im Allgemeinen, sondern darum, inwieweit die individuelle Liebe zweier Menschen sie aus ihrer Verantwortung in der Gesellschaft lösen kann oder darf.

Als junge Medizinstudenten begegnen sich die stille Deutschtürkin Asli und der quirlige Libanese Saeed auf dem Hamburger Dom und trotz ihrer unterschiedlichen Elternhäuser ist es Liebe auf den ersten Blick. Heimlich heiraten sie, ohne das Einverständnis ihrer Familien einzuholen – sie sind sich selbst genug. Während Asli fleißig ihr Studium betreibt, hat Saeed ganz andere Interessen als die Zahnarztkarriere, zu der ihn seine reiche Familie nach Deutschland geschickt hat. Doch davon merkt Asli zunächst nichts. Als es sich durch Saeeds dauernde Auslandsreisen nicht mehr leugnen lässt, fragt sie nicht nach und folgt ihm auch naiv zur Pilotenschule in Miami. Die Bilder der brennenden Türme sieht sie wie gelähmt im Kreise ihrer Kommilitonen. Was sie mit ihr persönlich zu tun haben, sagt ihr erst Saeeds Abschiedsbrief, den sie, von Christopher Aouns Kamera im Spiegel buchstäblich „gespalten“, im Klinik-Lift liest.

Aouns Kamera ist es auch, die das Tempo des Films bestimmt im streng gegliederten Ablauf der fünf Jahre, der den Beteiligten kaum Pausen lässt, ihr Tun kritisch zu überdenken. Mit Canan Kir als Asli und Roger Azar als Saeed hat die Regisseurin zwei Hauptdarsteller gefunden, die die ihnen gewährten Freiräume frisch und lebendig auszufüllen verstehen. Konsequent hält der Film die verliebte Perspektive Aslis durch, blendet wie diese aus, was Saeed auf seinen Reisen tut, und bewahrt ihm so bis fast zum Schluss des Publikums Sympathien – und beide Hauptfiguren davor, am Ende als weltweit verachtete Monster dazustehen. Dass sich ihr Film über Saeeds konkrete Motivation völlig ausschweigt, mögen Berrached in Zeiten allgemeiner Terrorhysterie manche übelnehmen, ist aber notwendige Konsequenz aus ihrem in Interviews geäußerten Prinzip: „Ich möchte Filme machen, die nicht mit Antworten enden, sondern den Zuschauer mit Fragen entlassen.“ Man sollte sich darauf einlassen.


Die Welt wird eine andere sein
Regie: Anne Zohra Berrached
Unter anderem mit: Canan Kir, Roger Azar, Özay Fecht, Jana Julia Roth
Auf DVD


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Über den Autor

Hans-Günther Dicks (Jahrgang 1941), Mathematiklehrer mit Berufsverbot, arbeitet seit 1968 als freier Film- und Medienkritiker für Zeitungen und Fachzeitschriften, für die UZ seit Jahrzehnten.

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"Liebe und Weltgeschichte", UZ vom 18. Februar 2022



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