Lob des Schuldenschnitts

Lucas Zeise über die großen Finanzvermögen und die Notwendigkeit, diese zu dezimieren

Lucas Zeise

Lucas Zeise

Die „Schicksalswahl“ um die Zukunft der EU ist nun bald geschafft. Es kommt, wie wir wissen, noch weniger als sonst auf das Wahlergebnis an. Die DKP kandidiert nicht deswegen zu dieser Wahl, um danach im EU-Parlament die kleine radikale Minderheit zu geben, sondern um im Wahlkampf die Ablehnung der EU ein wenig deutlicher zu machen. Das „Programm der DKP zur EU-Wahl 2019“ ist ansprechend kurz. Einschließlich der angehängten „Sofortforderungen“ ist es gerade 14 DIN-A5-Seiten stark. Auf Seite 7 findet sich der starke Satz: „Die DKP sagt: Schuldenschnitt statt Schuldenbremse.“

Ich bin mir sicher, dass von den wenigen, die dieses Wahlprogramm in die Finger bekommen haben, und von den noch wenigeren, die das Programm auch noch gelesen haben, die allerwenigsten eine genaue Vorstellung davon haben, was mit so einem „Schuldenschnitt“ gemeint sein könnte. Ein Schuldenschnitt dient in allen Gesellschaften zum Ausgleich zwischen Arm und Reich und zwischen Schuldner und Gläubiger. Laut Altem Testament wurden derartige Aktionen alle „Jubeljahre“ veranstaltet. Der alte Solon von Athen soll den Ausgleich der Klassen durch einen solchen Schuldenschnitt befördert haben. Statt „Schnitt“ ist allerdings in den Überlieferungen von Schulden-“verzicht“ oder -“erlass“ die Rede, was der Aktion den Schein der Freiwilligkeit gibt. Die katholische Kirche hat den „Schuldenerlass“ denn auch in das rechtliche Verhältnis der Menschen zu ihrem Gott formuliert. Erlass, Verzicht oder Schnitt ist eigentlich egal. Wichtig ist, dass er nicht nur einzelne Schuldner betrifft wie beim bürgerlichen Konkurs unter Kaufleuten, sondern die Masse entlastet und/oder das Gemeinwesen.

Sicher ist, dass die Zeit reif für einen wirklich großen Schuldenschnitt ist. Die Ungleichverteilung von Einkommen und Vermögen hat in den letzten Jahrzehnten rasant zugenommen und mittlerweile absurde Ausmaße erreicht: Oxfam stellte vor zwei Jahren fest, dass acht Männer so viel Vermögen ihr eigen nennen können wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Auf die Details kommt es nicht an. Das Problem ist es, den Schuldenschnitt so zu organisieren, dass er nicht an Einzelfällen hängenbleibt, sondern die Gesellschaft erfasst.

Man muss bei den größten Schuldnern ansetzen. Das sind die Staatshaushalte. Die Staatsverschuldung der reichen und erfolgreichen kapitalistischen Staaten ist in den vergangenen zwei Jahrhunderten enorm gestiegen. Während der Eurostaatsschulden-Krise seit 2010 hat das Finanzkapital die in seinen Augen kreditwürdigen Euro-Staaten (in erster Linie Deutschland) gegen die nicht kreditwürdigen (Griechenland, Italien, Spanien, Portugal, Zypern, Irland etc.) ausgespielt. Letztere erhielten für politisches Wohlverhalten von den Euroländern gesammelte Kredite, die dazu dienten, die Schulden an das Finanzkapital vorerst zu begleichen.

In den Fällen Griechenland und Zypern wurde sogar ein kleiner Schuldenschnitt ausprobiert. Er half den beiden Ländern weniger als nichts. Ein Schuldenschnitt, der etwas taugt, darf nicht nur die Schulden des und der schwächsten Schuldner zusammenstreichen, sondern muss die der größten und besten Schuldner betreffen. Elegant wäre beispielsweise ein klarer Schnitt der Staatsschulden aller Eurostaaten (oder auch nur der größten Deutschland, Italien und Frankreich von zusammen etwa 5 Billionen Euro) auf, sagen wir, die Hälfte. Das würde das aufgeblähte Finanzsystem und seine Banken nicht überleben. Das wäre der erste Gewinn. Der zweite bestünde darin, dass die Banken nun von den Staaten rekapitalisiert werden müssten und könnten, und zwar in der Weise, dass nur Gläubiger der Banken mit Einlagen unter einer bestimmten Grenze (vielleicht einer halben Million Euro) über diese noch verfügen könnten. Größere Beträge werden halbiert. Ganz große verfallen ganz.

Das Ziel, die wirklich großen Finanzvermögen zu dezimieren und zu entmachten, wäre erreicht. Nur leider werden unsere Regierungen, deren Mitglieder und Gefolge mühsam erlernt haben, immer die Interessen des Finanzkapitals zu verfolgen, dergleichen nicht tun. Aber es muss doch wenigstens laut gefordert werden – schon um zu zeigen, wie wackelig das Finanzsystem eigentlich ist.

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Über den Autor

Lucas Zeise (Jahrgang 1944) ist Finanzjournalist und ehemaliger Chefredakteur der UZ. Er arbeitete unter anderem für das japanische Wirtschaftsministerium, die Frankfurter „Börsen-Zeitung“ und die „Financial Times Deutschland“. Da er nicht offen als Kommunist auftreten konnte, schrieb er für die UZ und die Marxistischen Blättern lange unter den Pseudonymen Margit Antesberger und Manfred Szameitat.

2008 veröffentlichte er mit „Ende der Party“ eine kompakte Beschreibung der fortwährenden Krise. Sein aktuelles Buch „Finanzkapital“ ist in der Reihe Basiswissen 2019 bei PapyRossa erschienen.

Zeise veröffentlicht in der UZ monatlich eine Kolumne mit dem Schwerpunkt Wirtschaftspolitik.

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"Lob des Schuldenschnitts", UZ vom 24. Mai 2019



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