Das „Strukturstärkungsgesetz“ soll vor allem dem Wandel in den Braunkohleregionen dienen

Mehr als ein Wahlversprechen?

Von Nina Hager

Diese Wahlkampfhilfe für die CDU und die SPD in Sachsen und Brandenburg kam offenbar gar nicht gut an: Nur wenige Tage vor den Landtagswahlen am 1. September beschloss die Bundesregierung das sogenannte „Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen“ (StStG). Vor allem im Osten sind viele Bürgerinnen und Bürger skeptisch, ob es sich dabei um mehr als ein Wahlversprechen handelt. Zu bitter sind die Erinnerungen an die Jahre nach 1990, als auch in den Braunkohlegebieten wie der Lausitz – in einem „Transformationsprozess“ in den damals neuen Bundesländern – viele Zehntausende ihre Jobs verloren. Seit 1990 sind allein in der Lausitz 90 Prozent der einst 80 000 Arbeitsplätze in der Braunkohle verschwunden.

Im jetzt beschlossenen „Strukturstärkungsgesetz“ ist wieder von „Transformationsprozessen“ die Rede. Problematisch sind in diesem Zusammenhang vor allem Forderungen nach Sonderwirtschaftsgebieten, wie sie Sachsens Ministerpräsident Kretschmer (CDU) im April sowie jüngst der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Söder sowie die CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer forderten. Kritiker fürchten unter anderem einen erneuten Ausverkauf der betroffenen Regionen im Osten, Steuerdumping, Tarifflucht und abgesenkte Umweltstandards. Der vorliegende Gesetzesentwurf sieht solche Sonderwirtschaftsgebiete bislang allerdings nicht vor.

Laut Entwurf sollen die für das Ende der Kohleverstromung bis 2038 nötigen Veränderungen, so die Absichtserklärung, „nicht einseitig die kohlestromerzeugenden Regionen und Standorte belasten“. Die bevorstehenden Veränderungen sollen zu einem „Strukturwandel“ in den betroffenen Braunkohleregionen Brandenburgs, Sachsens, Sachsen-Anhalts und Nordrhein-Westfalens führen. Dazu seien „wirtschaftliche, soziale und strukturpolitische Begleit- und Unterstützungsmaßnahmen“ nötig. Zudem regelt das „Investitionsgesetz Kohleregionen“ die Hilfen für strukturschwache Standorte von Steinkohlekraftwerken und für das ehemalige Braunkohlerevier Helmstedt. Das Gesetz sieht „Förderquoten für die betroffenen Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände vor, die durch eine Obergrenze gedeckelt sind“. Aber auch bisherige Standorte von Steinkohlekraftwerken sollen Förderung erhalten. Bis 2038 sind für die Maßnahmen in den Braunkohleregionen insgesamt bis zu 40 Milliarden Euro vorgesehen. Noch müssen Bundestag und Bundesrat dem Gesetz zustimmen. Es tritt erst mit dem geplanten Gesetz zum Kohleausstieg in Kraft.

Geplant sind laut Entwurf des „Strukturstärkungsgesetzes“ der Ausbau von Autobahnen und Bahn sowie die Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden sowie der Erwerb und die „Herrichtung von Flächen für Unternehmen und die energetische Sanierung von infolge des Ausstiegs aus der Braunkohleverstromung zur Verfügung stehenden Gebäuden zur „Nachnutzung“. Vorgesehen sind Maßnahmen wie wirtschaftsbezogene Standortbedingungen, Verbesserung der Wissenschafts- und Forschungsstruktur, der Ausbau von Einrichtungen für Kinder- und Jugendliche, Investitionen in die Gesundheits- und Kultureinrichtungen und so weiter. Geld soll in die Stadt- und Regionalentwicklung, den Tourismus, den Ausbau der Internet- und Mobilfunkstruktur, den Naturschutz, den Klima- und Umweltschutz fließen. Das soll der wirtschaftlichen Entwicklung und der Schaffung sowie dem Erhalt von Arbeits- und Ausbildungsplätzen dienen. Von den geplanten Mitteln erhalten bis 2038 Brandenburg 25,8, Nordrhein-Westfalen 37, Sachsen 25,2 und Sachsen-Anhalt 12 Prozent.

Allerdings bleibt alles noch sehr vage. Wie sollen sich die Regionen tatsächlich langfristig entwickeln? Was wird aus den Beschäftigten der Kohleindustrie? Was soll konkret bei der Schaffung neuer Arbeitsplätze geschehen? Bislang ist nur von hochwertigen Industrie- und Dienstleistungsarbeitsplätzen in Wissenschaft und Forschung und der Ansiedlung von Behörden die Rede. Vage bleiben auch die konkreten Verantwortlichkeiten. Und die Länder sollen sich an Maßnahmen beteiligen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kündigte bereits an, dass die Ko-Finanzierung durch die Länder bei mindestens 10 Prozent liegen werde. Auch für die IHK in Cottbus ist das laut „Rundfunk Berlin-Brandenburg“ ein Problem. Positiv seien „die Vielzahl an Infrastrukturprojekten und die Sonderabschreibungsregel“, so Hauptgeschäftsführer Marcus Tolle. „Dennoch befürchten wir, dass das Land Brandenburg und seine Kommunen den zehnprozentigen Eigenanteil nicht leisten können.“ Das könnte wichtige Projekte in Gefahr bringen. Nicht nur deshalb wünschen sich wohl unter anderem die Ministerpräsidenten Brandenburgs und Sachsens den Abschluss von Staatsverträgen mit der Bundesregierung, in denen konkrete Aufgabenverteilungen und Verantwortlichkeiten geregelt werden. Für die betroffenen Länder sei der Gesetzesentwurf dennoch eine gute Basis für einen erfolgreichen Strukturwandel. Unzufrieden zeigen sich die Unternehmerverbände: Vor allem, weil konkrete Beschlüsse zum Kohleausstieg noch fehlen.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Mehr als ein Wahlversprechen?", UZ vom 6. September 2019



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