Soziale Situation Studierender ist katastrophal – Schlussfolgerungen aus einem Politikergespräch

Mehr Bafög nur gegen Boris!

An der Universität Kassel fand ein vom Studierendenwerk organisiertes, nichtöffentliches Gespräch zwischen Angestellten, Studierenden und dem Bundestagsabgeordneten Boris Mijatovic (Die Grünen) zum Thema Bafög statt. Parallel dazu machten Studierende unter anderem von der SDAJ und der „Gruppe Krieg und Frieden“ mit Schildern und Flyern darauf aufmerksam, dass Mijatovic Teil des Problems sei. UZ sprach mit den Studierenden Roman Hesse und Ruben de Klomp (Namen geändert).

UZ: Ihr wart beim nichtöffentlichen Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Mijatovic an der Uni Kassel dabei. Was ist euer Eindruck? Wird sich die Situation rund um die Studienfinanzierung verbessern?

Ruben de Klomp: Ungefähr 80 Prozent der Studierenden an der Uni Kassel sind armutsgefährdet. Aber im kommenden Bundeshaushalt sollen die Ausgaben für Bafög massiv gekürzt werden. Das heißt – gerade vor dem Hintergrund der steigenden Lebenshaltungskosten – dass alles noch weiter bergab gehen wird. Mijatovic sagte auch im Gespräch, dass in näherer Zukunft keine Besserungen zu erwarten sind. Er selber sprach sich sogar im Prinzip gegen bestimmte Verbesserungen aus, indem er gegen elternunabhängiges Bafög als ungerechte Sache polemisierte und es für weitgehend unproblematisch hielt, dass man ohne deutsche Staatsbürgerschaft keinen Anspruch auf Bafög hat.

UZ: Hat das Gespräch denn etwas gebracht?

Ruben de Klomp: Das hat nichts gebracht. Mijatovic sagte die ganze Zeit, dass er auch nichts machen könne, und verwies auf die Verantwortung der FDP für das Bildungsministerium. Er hörte zwar zu und sagte, er kann nur Sachen weitertragen, aber hinter unsere Forderungen wollte er sich nicht explizit stellen. Das einzig Sinnvolle, was er gesagt hat, ist, dass Studierende selbst aktiv werden müssen.

Roman Hesse: Genau, es hat halt für Boris Mijatovic was gebracht, weil er sich so darstellen konnte, als wolle sich die Politik der Problemen von Studierenden annehmen. Aber eigentlich ist er Teil des Problems. Er hat im Bundestag gegen eine Milliardärssteuer, gegen eine Energiekonzern-Übergewinnsteuer und für die 100 Milliarden Sondervermögen gestimmt.

Als ich ihn im Gespräch darauf angesprochen habe, dass es ja möglich war, die 100 Milliarden Sondervermögen über Nacht zu bewilligen, und dass entsprechend ja sehr wohl Geld für Studierende da wäre, ist er ausgewichen. Er hat gemeint, dass das ja ein Thema für eine andere Diskussionsveranstaltung wäre.

UZ: Was müsste sich denn aus eurer Sicht an der Situation der Studienfinanzierung ändern?

Roman Hesse: Es braucht ein elternunabhängiges Bafög, dass man nicht zurückzahlen muss und das über der Armutsgefährdungsgrenze liegt. Nur etwa 10 Prozent aller Studierenden bekommen Bafög. Zum einen, weil die Elternfreibeträge zu gering sind, zum anderen, weil viele Studierende Angst davor haben, gleich verschuldet in ihr Berufsleben zu starten. Bafög ist wirklich viel zu wenig und kratzt an der Grenze zu Bürgergeld. Studierende können vielleicht die ersten 10 Tage im Monat normal leben. Danach kann man Toastbrot, Haferflocken und Nudeln mit Ketchup essen. Gerade mit den steigenden Lebensmittelpreisen, Energiepreisen und Mieten wird das immer mehr. Einen ernsthaften Ausgleich der Preissteigerungen bei der Bafög-Höhe gab es ja auch nicht. Außerdem ist es ein großes Problem, dass die Studierendenwerke zu wenig Geld vom Land bekommen. Dadurch müssen dann Mensapreise oder Mieten in den Studentenwohnheimen steigen oder die Qualität der Leistungen sinkt eben.

Ruben de Klomp: Elternunabhängiges Bafög ist auch wirklich wichtig, weil man ja ein eigenständiger Mensch ist. Und mal ehrlich: Wer traut sich schon, seine Eltern zu verklagen entsprechend der eigenen Ansprüche – gerade wenn es bei denen auch selber immer knapper wird?

Ein weiteres Problem sehe ich darin, dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit für Uni und Nebenjob zusammen bei Studierenden mittlerweile bei 50 Stunden pro Woche liegt. Da ist es für einige schwer, in Regelstudienzeit zu bleiben. Wer aber nicht in Regelstudienzeit bleibt, was sowieso nur jeder Fünfte schafft, der bekommt kein Bafög mehr. Wer kein Bafög mehr bekommt, der muss noch mehr arbeiten, der hat es dann noch schwerer, mit dem Studium voranzukommen. Das ist ein Teufelskreis und macht viel Druck. Entsprechend brechen viele Leute ihr Studium auch einfach ab.

UZ: Ihr sagt, es gibt massive Missstände, aber das Gespräch hat nichts gebracht. Was kann man denn nun tun?

Roman Hesse: Es ist wichtig, dass Studierende sich zusammenschließen und solidarisch miteinander umgehen. Der ein oder andere muss auch mal das Bild ablegen, dass wir als Studierende irgendwas mit der Elite der Gesellschaft zu tun hätten. Wir führen ein Randleben, das am Existenzminimum kratzt, und machen in einigen Studiengängen auch nichts anderes als frühere Facharbeiterausbildungen. Unsere Berufsperspektive ist auch ganz normal prekär. Des Weiteren ist es wichtig, aus der Lethargie und der durch die Lockdowns während der Corona-Pandemie verstärkten Vereinzelung rauszukommen.

Ein gutes Beispiel, wie das aussehen kann, lieferten Ende letzten Jahres die Studierenden und Angestellten an der Uni in Darmstadt. Es gab eine Vollversammlung und es wurde gestreikt, damit es genug Geld vom Land gibt, so dass die Uni während des Winters aufgrund hoher Energiekosten nicht dichtgemacht werden musste. Sie hatten Erfolg und das hat den Beteiligten gezeigt, dass es sich lohnt, aktiv zu werden.

Ruben de Klomp: Ich dachte auch immer, dass man sowieso nichts machen kann. Ich bin aber zur Unterstützung des Streiks aus Kassel nach Darmstadt gefahren und bin dort auf die SDAJ aufmerksam geworden. Das und jetzt das Gespräch mit Boris Mijatovic und dass die SDAJ mit anderen dann Studierende informiert über die Ursachen der Probleme hat mich zum Umdenken gebracht. Mittlerweile glaube ich schon, dass man was ändern kann, wenn man sich organisiert. Deswegen bin ich seit ein paar Wochen Mitglied in der SDAJ.

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Kritischer Journalismus braucht allerdings Unterstützung, um dauerhaft existieren zu können. Daher freuen wir uns, wenn Sie sich für ein Abonnement der UZ (als gedruckte Wochenzeitung und/oder in digitaler Vollversion) entscheiden. Sie können die UZ vorher 6 Wochen lang kostenlos und unverbindlich testen.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Mehr Bafög nur gegen Boris!", UZ vom 8. September 2023



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Baum.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit