Meine progressive Woche

Eine Glosse von Adi Reiher

Vom 13. bis 19. Juni

Mittwoch

Die Zahl der Millionäre steigt, die Zahl der Milliardäre steigt, ihr Vermögen wächst und wächst und … Wer weiß noch, wie oft wir das unter dem Regime des Neoliberalismus schon gehört haben, zu dem es laut – zum Beispiel – Frau Merkel keine Alternative gibt. Denn nur so läuft angeblich „die Wirtschaft“.

Was wirklich läuft, verkündet die jüngste Studie über den märchenhaften Reichtum in seltener Offenheit. Statt das Vermögen ausschließlich in die höchst profitablen Aktien zu stecken, halten die Reichen und die Superreichen sich immer stärker an Bargeld. Ein Viertel ihres Gesamtvermögens laut der Beratungsfirma Capgemini und RBC Wealth Management. Und die sagt auch warum: „Vor allem, um ihren Lebensstil zu finanzieren.“

Die Neureichen (Stufe I) fressen, f …, saufen; der fortgeschrittene Reiche Stufe II) macht gern in Kultur und Reisen; die wirklich Reichen (Stufe III) kaufen zusätzlich Regierungen, gründen Stiftungen und spielen in inner circles Monopoly plus Welteroberung – „in echt“. Da riecht‘s schon mal nach Blut und es wird eklig; aber man kann ja jederzeit auf die ersten beiden Stufen herunterschalten. Das Elend der Völker besorgen dann gewiefte Manager, wofür bezahlt man die schließlich. Man will ja auch ein bisschen Spaß am Leben haben. Das hat man sich ja verdient.

Donnerstag

2014 dürften sich mehr „sensible“ Reiche der Stufe III aus dem operativen Geschäft zurückgezogen haben als sonst. Allein im verdienstvollen Krieg gegen den Terror starben im vergangenen Jahr 33 000 Menschen – wenn diese Zahlen des US-Außenministeriums denn stimmen. Dazu kommen die Hungertoten, die Kältetoten, die Hitzetoten, die Selbstmörder usw. usf.

Das hält auf Dauer keiner aus, der gerne Soirees und Festivals besucht, sich in SchauspielerInnen verliebt, die besten Weine am Geruch erkennt, Impressionisten sammelt und frei nach Oscar Wilde‘s Geschmack „einfach nur das Beste“ liebt.

Freitag

Da tut es gut, wenn der Bundestag den Reichen wie den Armen ins Gedächtnis ruft, dass sie alle nur Menschen sind – wenn sie denn Kinder haben. Dann bekommen sie alle nur das gleiche – Kindergeld. Ob Bettelmann oder Geldsack, dieses Jahr gibt’s rückwirkend vier Euro mehr, nächstes Jahr zwei Euro mehr im Monat. Und Heiligabend 2015 treffen wir uns alle bei der Mitternachtsmesse im Dom und der Geldsack legt seinen Umschlag in den Klingelbeutel, auf dass die Seele in den Himmel springt. Und nach dem Gottesdienst bedankt er sich artig beim Bischof für die erbauliche Predigt. Und auch dafür, dass diesmal gar keine Obdachlosen auf der Schwelle lagen. Das hat die Stimmung immer so getrübt.

„Aber hier sind fünfzig Euro“ (so ziemlich das zusätzliche Kindergeld), die soll der Bischof den Armen zukommen lassen, er weiß ja, wohin er sie hat vertreiben lassen.

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"Meine progressive Woche", UZ vom 26. Juni 2015



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