Anti-Repressions-Kolumne: Seit Anfang November sitzt Lina in U-Haft

Noch ein Konstrukt gegen Links

Am 5. November gab es in Leipzig mal wieder eine Razzia. Festgenommen wurde dabei die aus Kassel stammende Studentin Lina, bei zwei weiteren Personen blieb es bei der Durchsuchung. Die Ermittlungen leitet direkt die Bundesanwaltschaft (BAW), darunter machen es die Repressionsbehörden nicht. Die Presseerklärung der BAW liest sich wie eine Vorverurteilung:

380503 henning - Noch ein Konstrukt gegen Links - Repression - Politik
Henning von Stoltzenberg

Die angeblich „kriminelle Vereinigung“ nach Paragraf 129 StGB, denen die drei zugerechnet werden, soll eine stadtbekannte Nazi-Kneipe in Eisenach angegriffen haben, wobei mehrere Nazis verletzt wurden und das Inventar in Mitleidenschaft gezogen wurde. Einige Zeit später soll es einen weiteren Angriff auf die braunen Kneipenbesitzer gegeben haben. In beiden Fällen soll Lina „Kommandoführerin“ und „Rädelsführerin“ gewesen sein.

Recht schnell nach der Festnahme hetzen die bürgerlichen Medien gegen Lina und ihr Umfeld. Das Ende der Republik ist wieder einmal nahe, der gefühlte Linksextremismus seit Jahrzehnten sträflich vernachlässigt. Auf einmal ist es schon klandestin, in Kassel zu studieren, aber für eine Zeit in Leipzig zu wohnen. Auch das Thema ihrer Bachelor-Arbeit, in der es darum geht, wie unglaublich dämlich die „akzeptierende Jugendarbeit“ mit rechten Jugendlichen Anfang der neunziger Jahre war, ist da verdächtig. Gegenstand der Arbeit ist zum Beispiel, dass sich die drei Mitglieder des späteren NSU in einem Jugendclub kennenlernten.

Ehemalige Lehrer und Mitschüler wundern sich, Lina sei doch immer freundlich und eher „eine graue Maus“ gewesen. Überhaupt scheint es für die Boulevardpresse besonders interessant zu sein, dass Lina eine junge Frau ist. Völlig sinnfrei berichten sie, was die Antifaschistin für Kleidung trägt und ob ihre Nägel lackiert waren, als schwer bewaffnete Polizisten sie mit dem Hubschrauber nach Karlsruhe verfrachteten.

Schon wenige Tage nach der Festnahme wird klar, wohin die Reise gehen soll: Es wird mal wieder ein Konstrukt gegen Links herbeibeschworen, um umfassend ermitteln zu können. Der Paragraf 129 StGB ermöglicht es den Ermittlungsbehörden, nahezu jeden Lebensbereich auszuspionieren.

Jedoch sind bisherige Paragraf-129-Ermittlungen für die Behörden besonders in Sachsen immer peinlich ausgegangen: Vor gut zehn Jahren wurde das Bündnis „Dresden Nazifrei“ nach einer erfolgreichen Sitzblockade kriminalisiert. Die Ermittlungen mussten nach 16 Monaten eingestellt werden. Nach einer „antifaschistischen Sportgruppe“ fahndeten die Behörden ganze vier Jahre ergebnislos.

Mit der Verhaftung von Lina gehen die Behörden jetzt in die nächste Runde. Sie hoffen wohl, die linken Strukturen aufmischen zu können und durch Ermittlungen politisch Aktive sich entsolidarisieren, einschüchtern und entmutigen zu lassen. Das hat in der Vergangenheit nicht geklappt. Im Gegenteil: Öffentlichkeitsarbeit und Proteste waren so stark, dass sich die Verfahren nicht mehr richtig rechtfertigen ließen und eingestellt wurden. Auch im Fall von Lina wird nichts von den Vorwürfen übrig bleiben.

Bis dahin ist es allerdings noch ein ganzes Stück Arbeit. Die politische Linke muss sich klarer, eindeutiger und lauter äußern, als es bisher der Fall ist. Lina muss raus aus dem Knast, das Verfahren gehört eingestellt und die Gesinnungsparagrafen 129ff. abgeschafft.

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"Noch ein Konstrukt gegen Links", UZ vom 24. Dezember 2020



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