Drei große Demonstrationen am 22. April

Proteste gegen die AfD

Von Klaus Stein

Auf ihrem Parteitag im Kölner Maritim-Hotel greift die AfD wieder Flüchtlinge und ihre Rechte an. Sie präzisiert ihre reaktionäre Programmatik. Die AfD will die Erbschaftssteuer abschaffen („Die Übergabe von Vermögen – auch und gerade in Unternehmen gebundenes – ist Privatangelegenheit und darf nicht dem Staatszugriff ausgesetzt werden“) und die Reaktivierung der Vermögenssteuer verhindern. Überhaupt soll die ohnehin sinkende Staatsquote (von 47,6 Prozent in 2009 auf 44 Prozent in 2015) einschließlich der Sozialversicherungen auf 40 Prozent gedrückt werden. Es häufen sich empörende menschenfeindliche wie faschistische Äußerungen.

Folglich sind in Köln Protestaktionen fällig.

Daran beteiligen sich christliche Gemeinden unter dem schönen Motto „Unser Kreuz hat keine Haken“. Sie organisieren Mahnwachen und ein Politisches Nachtgebet in der Tradition von Dorothee Sölle in der Friedenskirche just neben dem Maritim-Hotel. Sie rufen auf zur Teilnahme an Kundgebung und Demonstration des Bündnisses „Köln stellt sich quer – kein Rassismus bei uns in Köln“. SPD, Grüne, Linkspartei, VVN, CSD, DGB und Einzelgewerkschaften, insgesamt 82 Organisationen, mobilisieren 15 000 Menschen. Sie ziehen ab 14 Uhr nach ihrer Kundgebung auf dem Heumarkt,u. a. mit OB Henriette Reker und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, über die Ringe.

„Kein Kölsch für Nazis“ steht auf Hunderttausenden von Bierdeckeln. Wirte hunderter Kneipen, Clubs, Bars lassen ihre Kampagne von 2008 wiederaufleben. Sie rufen auf zu den Aktionen von „Köln gegen Rechts“.

Das Festkomitee Kölner Karneval hat zu einer Kundgebung für Toleranz und Vielfalt geladen. Am Ende werden 15 000 Teilnehmer gezählt, sie stehen auf einer Wiese unweit des Aachener Weihers. Alle singen mit, als der Bläck-Fööss-Klassiker „Unsere Stammbaum“ angestimmt wird: „Ich wor ne stolze Römer, kom met Caesar‘s Legion, un ich ben ne Franzus, kom mem Napoleon.“ (Refrain: „Su simmer all he hinjekumme, mir sprechen hück all dieselve Sproch. Mir han dodurch su vill jewonne. Mir sin wie mer sin, mir Jecke am Rhing. Dat es jet, wo mer stolz drop sin.“) Offiziell begrüßt werden Karnevalsdelegationen aus Düsseldorf, Bonn und Aachen. Peter Brings, Sänger der Kölner Band Brings: „Das Festkomitee ist mit der Veranstaltung ein großes Wagnis eingegangen. Ich finde das sehr mutig.“

Aber auch das Maritim-Hotel geht Risiken ein. Denn die enge Zusammenarbeit von Hotelkette und AfD fällt auf. Die erste Riege der Kölner Karnevalisten will dort nicht mehr auftreten. Abiturienten sagen ihre Abschlussfeiern ab. Es kommt zu Mahnwachen vor den Häusern der Hotelkette. Überall in der Republik wird zum Boykott aufgerufen. Aber der Vertrag mit der AfD wackelt nicht. Immerhin erhält Björn Höcke Hausverbot.

Auf dem Heumarkt, in unmittelbarer Nachbarschaft des Maritim, planten „Köln stellt sich quer“ sowie „Köln gegen Rechts“, ein Bündnis von 50 Antifagruppen, darunter VVN, DKP, SDAJ und Linksjugend, jeweils nacheinander eigene Kundgebungen und Demonstrationen. Auf Wink der SPD indes scheinen die Absprachen plötzlich hinfällig.

Polizeipräsident Jürgen Mathies will „Köln gegen Rechts“ einen Kilometer weiter auf den Neumarkt verbannen. Begründung: „Köln stellt sich quer“ habe 30 000 angemeldet, „Köln gegen Rechts“ nur 15 000 Teilnehmer.

Unter Berufung auf den Kölner SPD-Vorsitzenden Jochen Ott teilt die Kölnische Rundschau unter dem Titel „Streit unter den AfD-Gegnern“ mit: „Wie aus dem Präsidium zu erfahren war, wird auch eine Anreise von Linksautonomen aus anderen deutschen Städten befürchtet. Weil ‚Köln gegen Rechts‘ diese zuletzt immer wieder bei Protesten zu integrieren versucht habe, sei ‚Köln stellt sich quer‘ laut Ott nun auf Distanz gegangen“.

Der tatsächliche Grund: Ministerpräsidentin Hannelore Kraft will ungestört auf dem Heumarkt reden. Immerhin wird drei Wochen später der Landtag von NRW gewählt. Linkspartei und VVN warnen in einer gemeinsamen Erklärung: Eine Aufspaltung der DemonstrantInnen in friedliche und gewaltsame, „bürgerliche“ und „autonome“ sei lediglich Wasser auf die Mühlen des gemeinsamen Gegners, der rechts steht.

„Köln gegen Rechts“ zieht vor Gericht. Am 19. April gibt das Verwaltungsgericht Köln dem Eilantrag gegen die Polizeiverfügung statt. „Köln gegen Rechts“ kann die angemeldete Kundgebung auf dem Heumarkt abhalten. Auch als Startpunkt für die bundesweite Demo ist der Heumarkt genehmigt.

Unverzüglich nutzt der Polizeipräsident herbeigeredete linke Gewaltneigung, um seine Gewaltbereitschaft auszuleben. Anlass dazu ist die Ankündigung von Sitzblockaden. Die gesamte Innenstadt wird zum Schaden des Einzelhandels für den Verkehr gesperrt. 4 800 Polizisten belagern die Stadt.

Trotzdem kann der Beginn des Parteitags verzögert werden. Einige Delegierte werden behelligt. Die Demonstration von „Köln gegen Rechts“ und „Solidarität statt Hetze“ zieht um 11 Uhr vom Heumarkt. Auch hier 15 000 Teilnehmer. Jan Sperling, Pressesprecher des Bündnisses erklärt im Anschluss u. a.: „Ich freue mich über die breite Beteiligung an den Blockaden. Dass die AfD mit Problemen zu kämpfen hat, ist eine gute Nachricht für alle, die von Rassismus, Sexismus und Homophobie betroffen sind, wie sie von der gesellschaftlichen Rechten vorangetrieben werden. Wir setzen mit unseren Blockaden ein unmissverständliches Zeichen für eine freie, solidarische Gesellschaft, in der völkischer Rassismus und Antisemitismus kein akzeptabler Teil der Debatte sind.“

Zusammen demonstrieren 45 000 Menschen an diesem Tag in Köln gegen gegen die neoliberale Wirtschafts- und Sozialpolitik der AfD, gegen Nationalismus und Rassismus.

Die Sortierung der Proteste in gut und böse ist gescheitert. Polizeipräsident Mathies muss sich unterdessen rechtfertigen und meint, die Polizeipräsenz habe die Gewaltbereitschaft gedämpft. Aber angesichts der politischen Entschiedenheit der Proteste erscheint sein Bürgerkriegsszenario als abwegig und geschäftsschädigend.

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"Proteste gegen die AfD", UZ vom 28. April 2017



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