Was der Deutsche Museumsbund für die Sammlungen vorschlägt

Raubkunst möglichst behalten

Der Druck auf die Museen, die archäologische und ethnologische Sammlungen unter ihren Dächern zeigen, wird immer größer. Denn vieles von dem, was stolz gezeigt wird oder in den Depots lagert, kann mit Fug und Recht Raubkunst genannt werden. Die Räubereien der deutschen Faschisten in den besetzten Ländern Europas oder aus den Wohnungen der jüdischen Bevölkerung im eigenen Land waren nur die letzte in einer Reihe von Schandtaten, die ihre Vorläufer besonders im 18. und 19. Jahrhundert hatten.

Nun legt der Deutsche Museumsbund eine neue, erweiterte Fassung des „Leitfadens zum Umgang mit Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ vor. Im Vorwort räumt man ein, dass Handlungsbedarf besteht und viele Museumsleitungen Hilfe brauchen, um mit Vorwürfen und Forderungen umgehen zu können. Das deutsche Kolonialreich existiert nicht mehr, aber die kolonial geprägten Menschen- und Weltbilder sind weiterhin Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Nicht nur Namen von Straßen und Plätzen, nicht nur Bezeichnungen von Gegenständen und Verhaltensweisen zeigen das Andauern und die Gegenwärtigkeit der kolonialen Erfahrung. Die deutsche Kolonialvergangenheit ist im öffentlichen Bewusstsein kaum präsent, sie bekommt nur manchmal eine kurzfristige mediale Aufmerksamkeit. Üblich ist die beschwichtigende Rede, dass die deutsche Kolonialherrschaft nur von 1884 bis 1919 dauerte, mit den Kolonialreichen anderer europäischer Staaten verglichen viel zu kurz gewesen sei, um nachhaltige Spuren hinterlassen zu haben. Diese gerade für Museen hilfreiche Argumentation blendet aus, dass bereits weit vor 1884 Handelsbeziehungen mit den Völkern des globalen Südens bestanden. Man denke an die Hanse, die großen Handels- und Kaufmannshäuser, die Rolle deutscher Jesuiten in Ostasien, und sie ignoriert zum anderen, dass diese wiederum das Ende der deutschen Kolonialherrschaft überdauerten. Auch wird gerne die Frage nach der Herkunft und den Bedingungen, wie und durch wen Einzelstücke und ganze Sammlungen nach Deutschland gelangten, reduziert auf die knappe Zeitspanne, und die seit vielen Jahrzehnten stattgefundene Praxis der Räuberei wird dabei ausgeblendet.

Im „Leitfaden“ selbst heißt es, dass „Herkunftsgesellschaften und Herkunftsstaaten wissen möchten, wo sich zentrale Bestandteile ihres kulturellen Erbes befinden, und möchten dieses Erbe für sich erschließen … Dies kann nur gelingen, wenn die Museen in der Lage sind, ihren grundlegenden Aufgaben nachzukommen, zu denen die Forschung als zentraler Baustein immer gehört.“ Damit wird schon deutlich, dass die Museen sich bei ihrer Provenienzforschung nicht vordringlich darum bemühen sollen, Modalitäten und Formen der Rückgabe zu finden, sondern im stillen Kämmerlein unbehelligt „forschen“ können und mit allen möglichen Weiterungen nicht belästigt werden. Dass die Erwerbung in all diesen Jahrzehnten mit Gewalt, aus Abhängigkeitsverhältnissen und unter bewusster Irreführung der Menschen vor Ort stattfand, nennt der Leitfaden beschönigend ein „kulturell sensibles Sammlungsgut“. Und dies schränkt er dann auch noch ein und spricht nur von menschlichen Überresten, Grabbeigaben und zeremoniellen Stücken, die auch, weil im Herkunftsland Beschränkungen aus rituellen und/oder religiösen Gründen bestanden, wohl besser in den Museen verbleiben sollten. Dieses Denken pflegt die weiße, europäische „Überlegenheitskultur“ weiterhin, nur weil „uns“! solche atavistischen, naturreligiösen Formen der Selbstverständigung fremd seien, scheint es richtig zu sein, die Völker und Stämme Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und Ozeaniens vor ihrer eigenen Geschichte und möglicherweise Gegenwart zu „schützen“.

Immerhin ist der Deutsche Museumsbund in seinem Leitfaden bereit, Forderungen nach der Rückgabe von Sammlungsgut zu akzeptieren, macht aber sofort eine Einschränkung: „Rückgaben sollten aber nicht Selbstzweck sein. Vielmehr sind sie ein (wichtiger) Baustein, wenn es darum geht, zusammen mit den Menschen aus ehemals kolonisierten Ländern die gemeinsame Geschichte zu bearbeiten, Wiedergutmachung für geschehenes Unrecht zu leisten und Wege zur Überwindung der bis heute fortwirkenden Folgen des Kolonialismus zu suchen.“ Man ist der Meinung, der Königsweg sei nicht unbedingt die „Rückgabe“, sondern dass den Herkunftsländern ein „längerfristiger Zugang zu dem Sammlungsgut“ ermöglicht werden soll, oder dass doch digitalisierte Aufbereitungen für diese Länder ein guter, ausreichender Weg seien. Man wehrt sich also mit Händen und Füßen gegen die berechtigten Forderungen nach Rückgabe, auch wird zugestanden, dass „weitergehende Wünsche unterschiedlicher Art (zum Beispiel Entschädigungszahlungen) geäußert werden können, deren Erfüllung anstatt oder in Ergänzung zur Rückgabe gefordert wird“. Die anmaßende Haltung, die sich in diesem Leitfaden findet, ist beschämend, nicht nur die Unterstellung, viele Herkunftsländer wollten nichts zurückhaben, voller Gnade erlaubt man, dass Forderungen „geäußert“ werden können. Und ganz zuletzt holt der Leitfaden die Keule der „derzeit geltenden Rechtsordnung“ heraus und behauptet, es gebe „keine geeigneten Instrumente zur Klärung von Eigentumsfragen rund um Erwerbungen aus kolonialen Kontexten.“. Dass dies nicht stimmt, dafür genügt ein Blick in die Dokumente der UNESCO und des Europarates, dort liest man sehr eindeutige Bestimmungen.

Wenn der politische Wille vorhanden wäre, nicht nur die Raubzüge auch so zu benennen, den Herkunftsländern dabei zu helfen, adäquate Museen zu errichten und zu betreiben, um das zurückgegebene Sammlungsgut zu zeigen, wäre das nicht nur ein „Zeichen guten Willens“, sondern ein qualitativer Sprung aus der weißen, christlich-abendländischen Vorherrschaft heraus in die Gleichberechtigung aller Völker und Nationen. Dass dann die deutschen Museen viel Platz hätten, leere Räume neu bestücken müssten, dafür wäre dann Kreativität und Phantasie gefordert. Ganz nebenbei: Das unsägliche „Humboldt-Forum“ in Berlin hätte überhaupt nicht gebaut werden müssen.

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"Raubkunst möglichst behalten", UZ vom 5. März 2021



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