Stefan Bednarek zum Regelbetrieb an Berliner Schulen

Rot-rot-grüner Unrechtsstaat

Am Donnerstag vergangener Woche standen in Berlin alle drei „Corona-Ampeln“ auf Grün. Das bedeutet: Alles in Ordnung. Am selben Tag gelangte der Berliner Bezirk Mitte auf den zweiten Platz der deutschen Landkreise bei der Anzahl der Corona-Infektionen. Der Senat hatte drei Tage zuvor eine beispiellose Infektionsentwicklung in Kauf genommen. An 800 Berliner Schulen mussten Schülerinnen und Schüler ihre Schulpflicht erfüllen, ohne sich auf Corona testen lassen zu können. Eine Maskenpflicht im Unterricht war ebenso wenig vorgesehen wie auf dem Schulhof. In überfüllten Mensen oder, wo nicht vorhanden, in Klassenräumen mussten Mittagessen gereicht werden. Der Mindestabstand war außer Kraft gesetzt, 300.000 Kinder und Jugendliche drängten sich in den Schulzimmern.

Die Zahl der Ansteckungen war zuvor in Berlin 15 Tage lang etwa linear angestiegen. Die Bildungsgewerkschaft GEW hatte immer wieder vergeblich Tests und Mindestabstände gefordert – wofür kleinere Lerngruppen und mehr Lehrerinnen und Lehrer erforderlich sind. Was im Park oder sonstwo von Polizisten gestoppt wird, geschah an den Schulen auf Anweisung des Staates. Er ließ das Infektionsschutzgesetz überall, nur in den Schulen nicht mehr gelten. Derselbe Staat hatte mitten in der Pandemie die Grenzen geöffnet, damit die Reise- und Hotelindustrie sowie die Mineralölkonzerne Kasse machen. Gleichzeitig verweigerte er zurückkehrenden Bus-, Bahn- und Einzelreisenden kostenlose Tests. Sie waren Fluggästen vorbehalten.

In der ersten Schulwoche waren an 20 Berliner Schulen Corona-Fälle bekannt geworden. Es dürften schon viel mehr gewesen sein, da fünf der zwölf Bezirke ihre Daten nicht öffentlich machten. Auch aus Berlin-Mitte, dem Hotspot der Hauptstadt, keine Informationen. Die „Corona-Ampeln“ des Senats immer noch grün: Kein Handlungsbedarf.

Eltern müssen in Berlin bis zu 2.500 Euro Bußgeld zahlen, wenn ein Kind die Schulpflicht missachtet. Doch das Vertrauen des Staates in die Wirksamkeit seiner Zwangsmittel schwindet. Dies belegt nicht nur die Geheimhaltung von Daten, sondern auch eine neue Rhetorik. „Der Kontext Schule wird völlig überbewertet“, zitierte die „B.Z.“ den Amtsarzt des Bezirks Reinickendorf, Patrick Larscheid. Der Mann ist kein Corona-Leugner. Er leugnet das Recht der Kinder und Jugendlichen darauf, jeden Tag eine Schule besuchen zu dürfen, die nicht krank macht. Das tut er von Amts wegen, weil er einen Staat vertritt, der die Profitgier der Konzerne vor das Recht auf Gesundheitsschutz stellt. Wirklichkeit kann dieses Recht so lange nicht werden, wie dieser Staat besteht.

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"Rot-rot-grüner Unrechtsstaat", UZ vom 21. August 2020



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