Demonstranten in Hongkong ignorieren koloniale Vergangenheit

Rückwärtsgewandte Symbolik

Von Ian Goodrum, People‘s World

Unser Autor lebt in Peking und arbeitet für „China Daily“.

Aus dem Englischen von Melina Deymann

Dass es in letzter Zeit einige Kontroversen über Flaggen gab, sollte nicht verwundern – sie sind schließlich dafür gedacht, Symbole zu sein.

Aber der jüngste Umgang mit Flaggen bei Protesten in Hongkong zeigt ein eklatant falsches Verständnis der Vergangenheit der Stadt. Viele der Demonstranten wedeln mit der Kolonialflagge, die für das Territorium genutzt wurde, bevor es 1997 zu China zurückkehrte, manche gehen sogar einen Schritt weiter und stellen Britanniens aktuellen Union Jack oder die Flagge der USA zur Schau, um ihrem Verlangen nach einer Regierung im westlichen Stil oder sogar nach Interventionen durch diese Länder Ausdruck zu verleihen.

Militante haben durch die Zerstörung der Flagge der Volksrepublik China und ihr Staatswappen ihre Unzufriedenheit mit einer vorgeschlagenen Änderung des Auslieferungsgesetzes gezeigt und die Spannungen in einer Stadt, die bereits ihren Siedepunkt erreicht haben, weiter erhöht. Egal, dass die Gesetzesänderung vor Wochen ausgesetzt wurde; wer braucht Zusammenhänge, wenn es etwas zu zerstören gibt? Dies ist nicht nur ein destruktiver, kontraproduktiver Ansatz, sondern auch eine Haltung, die jeden, der die Geschichte dieser Nationen kennt, um den Verstand bringt.

Nach der Tötung Tausender in den Opiumkriegen überschwemmte Britannien das Land mit der Droge und tötete so unzählige weitere Menschen. Während mehrere Länder China seiner Ressourcen beraubten, ließ der verabscheuungswürdige Drogenhandel riesige Teile seiner Bevölkerung fügsam und opiumabhängig zurück. Ungleiche Verträge, die in rascher Folge von den Imperialisten erpresst wurden, stahlen Teile des chinesischen Territoriums für ausländische Nutzung.

Erst mit der Machtübernahme der Kommunistischen Partei Chinas im Jahr 1949 begann sich das Land von diesem nationalen Trauma zu erholen, Rehabilitationsprogramme und eine intensive Anti-Opium-Kampagne vernichteten die letzten Spuren des westlichen Narko-Imperialismus.

Überall – außer in Hongkong. Für die meiste Zeit der britischen Herrschaft über Hongkong wurden Chinesen – wenn sie Glück hatten – als Bürger zweiter Klasse behandelt. Eine Eliteklasse kolonialer Verwalter herrschte mit Privileg und Reichtum über ihre Untertanen und vielen Chinesen wurden Anstellungen in allen außer den niedersten Jobs verweigert. Englisch war bis 1974 die einzige Amtssprache und das Auspeitschen blieb bis 1989 gesetzliche Strafform.

Die Briten betrieben das, was man nur als Apartheid bezeichnen kann, bis zum letzten Moment. All dies ist der Kontext der gegenwärtigen Situation.

In der späteren Zeit der kolonialen Besetzung wechselten die Briten die Taktik und entschieden sich häufiger für Zuckerbrot als für die Peitsche. Obwohl es nach dem Zweiten Weltkrieg in der Verwaltung eine weichere Linie gab, ging Britannien nie so weit, seine eigene Position zu riskieren. Da hat man sich dann doch immer auf den Knüppel verlassen; die Unzufriedenheit in den 1950er und 60er Jahren wurde mit einer Brutalität erstickt, die sich die heutigen Demonstranten nicht vorstellen können. Mit wenigen symbolischen Zugeständnissen – von denen keines im Vergleich zu den Rechten der heutigen Bevölkerung steht – wurden bestimmte Segmente für die Idee des kolonialen Lebens gewonnen.

Sich eine Zeit zurückzuwünschen, die von Gewalt und Vorurteilen geprägt war – egal, wie weichgespült die Dinge kurz vor der Rückkehr Hongkongs waren – spielt in die Hände derer, die einen Zerfall Chinas sehen wollen. Das Beschönigen der Verbrechen der Kolonialmächte, ganz zu schweigen von dem Schwenken ihrer Flagge, zeigt eine tiefe Unkenntnis der Geschichte.

Hier muss der Kontrast zwischen den Flaggen betont werden. Die blinde Anbetung eines nationalen Symbols ist gefährlich, aber die chinesische Flagge steht für ganz andere Prinzipien als die britische oder US-amerikanische. Die Flagge der Volksrepublik China steht für Befreiung und ein Ende der Ausbeutung und wurde erst nach Jahren des Blutvergießens und des revolutionären Kampfes erhoben. Dieser Erfolg war der Höhepunkt eines Jahrhunderts des Widerstands gegen Imperialismus, Feudalismus und Kolonialismus.

Mir dreht sich der Magen um, wenn ich sehe, wie die US-Flagge neben den Aufrufen zur „Befreiung“ Hongkongs im Wind flattert. Wollen sie die „Befreiung“ nach Art des Irak, Afghanistans, Libyens, Honduras‘ und Haitis?

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"Rückwärtsgewandte Symbolik", UZ vom 23. August 2019



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