Vor 100 Jahren beendete die junge Sowjetmacht die ausländische Intervention (Teil 2)

Russland trotzt der Entente

Im Frühjahr 1919 organisierten die Ententemächte den ersten Feldzug gegen die Sowjetrepublik an verschiedenen Fronten. Von Osten griffen die weißgardistischen Verbände des Admirals Alexander Koltschak an, aus dem Süden – vom Nordkaukasus – die Truppen des Generals Anton Denikin. Die rechte Flankenarmee Denikins – im Kaukasus – rückte in Richtung Saratow vor, um sich dort mit der Armee Koltschaks zu vereinigen und danach gemeinsam gegen Moskau vorzustoßen. Im Norden – im Raum Archangelsk-Murmansk – operierten gemischte angloamerikanische und französische Truppen und weißgardistische Einheiten. Im Nordwesten wurde mit Unterstützung der Alliierten von den lettischen Weißgardisten und deutschen Soldaten der Krieg gegen die baltischen Republiken geführt.

Den Ententemächten gelang es Mitte 1919, die Sowjetmacht in Lettland zu stürzen und bedeutende Teile Litauens und Lettlands zu besetzen. Truppen des weißen Generals Nikolai Judenitsch, die durch britische Schiffe von der Ostsee her und durch Einheiten der finnischen und estnischen Konterrevolution unterstützt wurden, bedrohten Petrograd. Die größte Bedrohung für die Sowjetmacht stellte die Armee Koltschaks dar. Gleichzeitig griffen polnische Truppen, zusammen mit Gefolgsleuten des „Atamans“ Symon Petljura – verantwortlich für antisemitische Pogrome in der Ukraine und gleichwohl dort heute hochverehrt – und russischen weißgardistischen Verbänden, von Westen her an.

Im Kampf gegen die Interventen und die Kräfte der inneren Konterrevolution erhoben sich alle Völker Russlands, alle Sowjetrepubliken. Jedoch zeigte die im Kampf gegen den Feind gesammelte Erfahrung, dass die einzelnen Republiken allein dem militärischen Angriff nicht standhalten konnten. Wollten sie ihre Verteidigung wirksam organisieren, so mussten sie ihre Kräfte zusammenfassen. Das ZK der KPR(B) beschloss im Mai 1919 eine „Direktive über die militärische Einheit“. Darin wurde betont, dass „ein einheitlicher Oberbefehl für alle Truppenteile der Roten Armee und die strikteste Zentralisierung der Verfügungsgewalt über alle Kräfte und Hilfsquellen der sozialistischen Republiken“ für eine erfolgreiche militärische Verteidigung unerlässlich seien.

Am 1. Juni 1919 fasste die Regierung der RSFSR zusammen mit Vertretern der Ukraine, Belorusslands, Litauens, Lettlands und anderer Republiken den Beschluss über die Schaffung eines einheitlichen militärischen Kommandos und die Vereinigung der Volkswirtschaftsräte sowie der Organe der Eisenbahnverwaltungen, der Finanzen und der Arbeit. So entstand das militärisch-politische Bündnis, das für den Sieg über die Interventen und die innere Konterrevolution erforderlich war. Im Kampf entwickelten sich Bedingungen, die schließlich die Bildung der Sowjetunion auf der Grundlage der Gemeinsamkeit der Interessen förderten.

Angesichts dieser Entwicklungen sahen sich die Westmächte gezwungen, ihre Taktik gegenüber Sowjetrussland zu ändern. So wurde die Handelsblockade aufgehoben, aber es gab keine prinzipielle Änderung in der Interventionspolitik. Die Entente versuchte zunächst, einen Block der baltischen Staaten und Polens zu bilden. Nach dem Scheitern dieses Versuchs ging sie dazu über, sich des bürgerlich-gutsherrlichen polnischen Staates und des Barons Pjotr Wrangel zu bedienen, der auf der Krim die Reste der Denikin-Truppen gesammelt hatte.

Die Sowjetregierung machte zahlreiche Vorschläge zur Herstellung friedlicher und gutnachbarlicher Beziehungen zu Polen, doch die Pilsudski-Regierung lehnte sie alle ab. Von der Entente gebilligt, ließ sie am 25. April 1920 die polnische Armee ohne vorherige Kriegserklärung in die Sowjet-Ukraine einmarschieren, um diejenigen Gebiete zu erobern, die rechts des Dnjepr lagen. Nach Eroberung Sowjet-Belorusslands sollten die Grenzen des polnischen Staates „von Meer zu Meer“ – von Danzig an der Ostsee bis Odessa am Schwarzen Meer – ausgedehnt werden.

Damit begann der dritte Feldzug der Entente gegen Sowjetrussland. Das von Warschau anvisierte Ziel wurde zwar nicht erreicht, aber die reaktionären Kreise Polens setzten mit Unterstützung der Entente durch, dass die Westgebiete der Sowjet-Ukraine und Sowjet-Belorusslands abgetrennt wurden und beide Seiten die Unabhängigkeit der Ukraine und Belorusslands anerkannten.

Nach dem Friedensschluss mit Polen ging die Sowjetregierung zur konzentrierten Bekämpfung der weißgardistischen Truppen von General Wrangel über. Sein Vorstoß erfolgte von der Krim aus und wurde von Britannien und Frankreich unterstützt. Am 12. November 1920 wurde aber Simferopol und am 15. November Sewastopol befreit. Wrangel floh mit dem Rest seiner Truppen ins Ausland. Damit war der dritte Feldzug der Entente völlig zusammengebrochen.

Einen großen Beitrag zum Sieg leisteten die Aktionen der revolutionären Bewegung in den kapitalistischen Hauptmächten wie Deutschland und Frankreich und selbst in Polen. Unter der Losung „Hände weg von Sowjetrussland“ erreichten die Aktionen Ausmaße, die zur Gefahr für die Stabilität der Macht des Kapitals wurden.

Die Periode des Bürgerkriegs und der ausländischen militärischen Intervention endete für alle antibolschewistischen Parteien in Russland mit dem völligen Zusammenbruch. Die in der Revolution geschlagenen Sozialrevolutionäre und Menschewiki, die Anarchisten und Nationalisten entlarvten sich – indem sie auf die Seite der Interventen und Weißgardisten übergingen – als Konterrevolutionäre.

Die Periode des Kampfes gegen Interventen und Weißgardisten fand ihr vorläufiges Ende am 25. Oktober 1922 durch die Befreiung Wladiwostoks von der japanischen Besetzung. Die Sowjetrepublik zeigte ihre Stärke und Lebenskraft. Es entstand ein neues, freundschaftliches Verhältnis zwischen den Völkern, auf dessen Grundlage es zur Vereinigung der Sowjetrepubliken zu einem einheitlichen Bundesstaat kommen konnte und musste.

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"Russland trotzt der Entente", UZ vom 28. Oktober 2022



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