Aufklärung der NSU-Verbrechen unerwünscht

Schlussstrichmentalität

Von Markus Bernhardt

Die Generalbundesanwaltschaft hat in dieser Woche ihr Plädoyer im Münchner NSU-Prozess fortgesetzt. Damit neigt sich das Mammutverfahren langsam dem Ende entgegen. Dass die genauen Hintergründe der Morde, Anschläge und Überfälle, die dem neofaschistischen Terrornetzwerk zugerechnet werden, tatsächlich noch lückenlos aufgeklärt werden, ist jedoch mehr als fraglich. So haben die Anklagevertreter diverse Erkenntnisse über das NSU-Netzwerk, die von Journalisten, Untersuchungsausschüssen und anderen Fachleuten aufgearbeitet worden waren, bewusst ignoriert und ausgeklammert. Noch immer hält die Bundesanwaltschaft beispielsweise an der These fest, dass es sich beim NSU einzig um eine dreiköpfige Terrororganisation gehandelt habe, was gemeinhin als unrealistisch eingeschätzt und selbst vom ehemaligen Polizeibeamten und CDU-Bundestagsabgeordneten Clemens Binninger (Leiter des Bundestagsausschusses zum NSU) infrage gestellt wird.

„Die Anklagebehörde hatte sich über den gesamten Prozessverlauf gegen ihre berechtigten Aufklärungsbemühungen gestellt. Akteneinsicht in wesentliche Verfahrensteile wird abgelehnt, Informationen wurden und werden zurück gehalten. Die drängenden Fragen, wie die Opfer konkret ausgewählt wurden, wie groß das Netzwerk des NSU war, wer bei den Morden und Anschlägen geholfen hat und welche Behörden die Taten trotz Möglichkeiten nicht verhindert haben, werden vom Generalbundesanwalt als nicht verfahrensrelevant eingestuft“, kritisieren auch  Nebenklagevertreter und Rechtsanwälte der Angehörigen der Opfer. Sie monieren zudem, dass die Anklagebehörde behaupte, dass die  Aufgabe des Strafprozesses nicht gewesen sei, weitere Tatbeteiligte zu ermitteln oder politische Verantwortlichkeiten zu klären.  

 „Der Generalbundesanwalt hält die Angeklagten für schuldig im Sinne der Anklage. Gleichzeitig versucht er aber jegliche staatliche Mitverantwortung aus dem Verfahren herauszuhalten und den NSU als Einzelphänomen darzustellen“, kritisierte vor wenigen Tagen Rechtsanwalt Sebastian Scharmer. Damit breche der Generalbundesanwalt „mit dem Aufklärungsversprechen, welches insbesondere die Bundeskanzlerin persönlich gegeben hatte“. Das Problem des Rechtsterrorismus insgesamt werde verharmlost, Verfassungsschutzämter und letztlich auch die eigene Behörde aus der Kritik genommen, strukturell rassistische Ermittlungen im Nachhinein letztlich als gerechtfertigt dargestellt, monierte der Jurist.  

Besonders perfide war unterdessen eine Attacke von  Oberstaatsanwältin Greger, die in ihrem Pladoyer jüngst ausgerechnet die Nebenklagevertreter angriff.  „Eine Existenz von rechten Hintermännern an den Tatorten, die einige Rechtsanwälte ihren Mandanten offensichtlich versprochen hatten, hat sich bislang weder in den seit sechs Jahren laufenden Ermittlungen und der Hinweisbearbeitung, noch in der 360-tägigen Beweisaufnahme, wo wieder jedem Hinweise darauf nachgegangen wurde, (…) noch in den breit angelegten Beweiserhebungen der zahlreichen Untersuchungsausschüssen bewahrheitet“, behauptete sie.

Scharmer wies derlei umgehend zurück. „Es ist eine Frechheit, zu unterstellen, dass Nebenklageanwälte den Hinterbliebenen und Verletzten des NSU-Terrors ‚rechte Hintermänner‘ an den Tatorten versprochen hätten“, stellte er klar. Es sei „gerade der Verantwortung des Generalbundesanwaltes und der Verfassungsschutzbehörden“ zuzurechnen, dass diverse Hinweise auch in den letzten fast 6 Jahren nach Selbstenttarnung des NSU nicht angemessen verfolgt wurden, Informationen nicht herausgegeben worden seien und vertuscht und geschreddert werde. „Es jetzt so darzustellen, dass alles dazu ermittelt worden wäre – ohne überhaupt Einzelheiten dazu zu nennen – ist eine schlichte Verdrehung der Wahrheit, eine Diffamierung nicht nur von engagierten Nebenklageanwältinnen und -anwälten, sondern vor allem auch der Opfer des NSU-Terrors selbst“, so der Jurist weiter.

Wie immer der Prozess in München auch ausgehen wird, klar ist schon jetzt, dass das mörderische Treiben des NSU-Netzwerkes einzig möglich war, weil die zuständigen Behörden – allen voran die bundesdeutschen Inlandsgeheimdienste – die braune Szene etwa über die Auszahlung von Geldbeträgen für sogenannte V-Leute alimentiert und erst aufgebaut haben. So hatte etwa Tino Brandt, der in den 1990er Jahren V-Mann des „Verfassungsschutzes“ in Thüringen und eine der Schlüsselfiguren des NSU-Skandals ist, betont, mit den erhaltenen Honoraren den militanten „Thüringer Heimatschutz“ (THS), aus dem sich der NSU formierte, aufgebaut zu haben. Brandt soll in seiner Karriere als Nazi und staatlicher Spitzel immerhin insgesamt etwa 200 000 DM eingestrichen haben (UZ berichtete). Die Angehörigen der Opfer werden in München seitens der Generalbundesanwaltschaft hingegen kontinuierlich verhöhnt. Mindestens die politische Verantwortung für die exzessive und terroristische Nazigewalt tragen unterdessen die deutschen Geheimdienste, Polizeibehörden und geistigen Brandstifter in Politik und Amtsstuben.

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"Schlussstrichmentalität", UZ vom 4. August 2017



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