Über Zensur in Deutschland

Schweigen im Blätterwald

Der Beschluss der russischen Behörden, die Aktivitäten des deutschen Auslandssenders „Deutsche Welle“ (DW) in Russland zu begrenzen, löste bei den Vorständen der beiden größten Journalistengewerkschaften Empörung aus. Es war eine Reaktion auf das Sendeverbot von RT DE in Deutschland – eine „billige Retourkutsche“, wie der Deutsche Journalistenverband (DJV) meint. DW und RT DE seien nicht vergleichbar, da der russische Sender nur ein „Propagandakanal“ sei, die DW hingegen betreibe „unabhängigen und kritischen Journalismus“. Der DJV-Vorsitzende Frank Überall rief die Bundesregierung auf, einen „deutlichen und unüberhörbaren Protest“ gegen Moskau einzulegen. In einem Kommentar bezichtigt der DJV-Pressesprecher Hendrik Zörner Russland, im Streit „Kriegsvokabular“ gegen „freie und unabhängige Medien“ zu nutzen.

Auch ver.di, in der die Deutsche Journalistinnen- und Journalistenunion (dju) organisiert ist, protestierte scharf gegen die russische Reaktion. Olaf Scholz müsse sich bei Putin für DW einsetzen, fordert Christoph Schmitz, für Medien zuständiges Bundesvorstandsmitglied. „Kein anderes Land oder Regime“ habe bisher einen ähnlichen Schritt gegen DW gewagt. Russland isoliere sich und entferne sich von „gemeinsamen europäischen Werten“.

Zum gegen RT DE verhängten Sendeverbot schweigt hingegen die dju. Offenbar gelten diese „gemeinsamen europäischen Werte“ nicht, wenn deutsche Behörden oder russische Medien, die nicht der proeuropäisch-liberalen Opposition angehören, involviert sind. Der DJV verteidigt sogar voreilend den Beschluss der zuständigen deutschen Stellen. Das habe nämlich eine „unabhängige Medienaufsicht“ entschieden: „Mit staatlicher Zensur hat das nichts zu tun“, so der DJV. In überheblicher Manier wird über die mögliche Inkompetenz russischer Behörden gemunkelt. Diese wüssten wohl nicht, was „unabhängige Institutionen“ seien.

Das peinliche regierungsoffizielle Gebaren und die Doppelstandards der Führungen beider Journalistenorganisationen zeigen, dass sie ihre Aufgabe als gewerkschaftliche Vertretung der Journalisten in Deutschland, wenn überhaupt, nur halbherzig wahrnehmen. Offenbar geht es diesen „Kollegen“ lieber darum, offensiv die imperialistische Linie der hierzulande Herrschenden gegenüber den zum Feind auserkorenen ausländischen Staaten zu legitimieren. Diese Herren Arbeiter-aristokraten verwechseln das, was sie in ihrem Vollzeitjob als Medienkrieger des Wertewestens zu veranstalten haben, also den Aufbau einer geschlossenen Heimatfront, mit der eigentlichen gewerkschaftlichen Arbeit, die Interessen der Arbeit gegenüber dem Kapital, sei es nun privates oder staatliches, zu vertreten. Das ist einerseits Ausdruck der moralischen Degeneration in diesen Schichten – denn wir können uns sicher sein, dass die angeblichen Arbeitervertreter von den Herrschenden für ihre „Dienste“ gut honoriert werden – andererseits aber offenbart dieser Umstand auch das Ausmaß des Verlustes an einfachsten allgemeinpolitischen Prinzipien in weiten Teilen der organisierten Arbeiterbewegung. Das ist eine von den Herrschenden geförderte Entwicklung: Für sie wären kritische, kämpferische Gewerkschaften, auch angesichts der zunehmenden westlichen Aggressivität, gefährlich.

Für uns Kommunisten bedeutet das aber nicht, dass wir uns in unsere Wohlfühl-Kokons zurückziehen und den gelben Gewerkschaftern und Arbeiteraristokraten das Feld überlassen können. Entschlossener denn je muss in den Einheitsgewerkschaften durch den aktiven Einsatz eines jeden Genossen solidarisch um die richtige Linie gekämpft werden. Entschlossener denn je muss der imperialistischen Hetze der Herrschenden der Kampf um Frieden und Völkerverständigung entgegengesetzt werden.

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"Schweigen im Blätterwald", UZ vom 11. Februar 2022



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