James Connolly und die nationale Befreiung

Sie werden weiter herrschen

Von Melina Deymann

Wenn du morgen die englische Armee vertreibst und die grüne Fahne über Dublin Castle hisst, werden deine Bemühungen umsonst sein, wenn du nicht auf den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft setzt. England wird dich immer noch beherrschen. Es wird dich beherrschen durch seine Kapitalisten, durch seine Grundbesitzer, durch seine Finanziers, durch die ganze Reihe kommerzieller und industrieller Institutionen, die es in diesem Land gepflanzt und gewässert hat mit den Tränen unserer Mütter und dem Blut unserer Märtyrer.“

So beschrieb James Connolly 1897 unter dem Titel „Nationalismus und Sozialismus“ die Unmöglichkeit, allein auf Nationalismus und Tradition gestützt die Kolonialisierung Irlands zu überwinden, ohne dabei gleichzeitig an den Grundfesten des kapitalistischen Systems zu rütteln. Er erteilte damit denen unter den nationalistischen Kräften Irlands eine Absage, die hofften, durch die im „Homerule“-Gesetz vorgesehene Selbstregierung unter britischer Krone mehr (ökonomische) Freiheit zu erhalten. Britannien hatte sich immer auf seine Grundbesitzer in Irland verlassen, um die Kontrolle zu behalten. Wenn sie diese nun im Zuge der Selbstregierung der irischen Bourgeoisie überlassen würden, würde sich nichts ändern. Für die Ausgebeuteten Irlands machte es keinen Unterschied, ob der Ausbeuter einen englischen oder einen irischen Akzent hat. Der einzige Weg zur Befreiung sei eine Revolution, die die Kolonialherren aus Irland vertreibt und gleichzeitig die Kontrolle über die Produktionsmittel erlangte, eine sozialistische Revolution.

14 Jahre später, am 12. Mai 1916 wurde James Connolly, schon verletzt an einen Stuhl gefesselt, von einem Exekutionskommando erschossen.

James Connolly

James Connolly

( National Library of Ireland)

Der in Schottland geborene Connolly, der für die Freiheit Irlands sein Leben lassen sollte, war seit frühester Jugend mit den Auswirkungen von Ausbeutung und Armut konfrontiert.

Er kam am 5. Juni 1868 als Sohn irischer Auswanderer im Stadtteil Cowgate in Edinburgh zur Welt. Keine 20 Jahre nach der „Großen Hungersnot“ (oder, korrekter gesagt, dem Genozid an irischen Bauern durch den britischen Kolonialismus) und der damit verbundenen massenhaften Emigration, war Cowgate, auch als „Little Ireland“ bekannt, das ärmste Viertel Edinburghs, mehr als 14 000 Iren lebten hier in überfüllten Häusern und absoluter Armut. Connolly selbst musste im Alter von acht Jahren die Schule verlassen, um zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen, unter anderem durch Arbeit in einer Bäckerei. Mit 14 trat er mit gefälschten Papieren in die britische Armee ein und war ab 1882 im King‘s Liverpool Regiment in Irland. Er desertierte 1888 oder 1889, vermutlich weil sein Regiment nach Indien verlegt werden sollte. In Irland hatte er seine große Liebe und lebenslange Genossin, Lillie Reynolds, kennen gelernt.

Gemeinsam kehrten sie nach Schottland zurück. Im Zuge der Entwicklung der Produktivkräfte gab es in dieser Zeit einen massiven Zuzug in die Städte, Landarbeiter wurden Industriearbeiter. Die Fabriken im Norden Englands waren voll von irischen Bauern, die unter fürchterlichen Bedingungen leben und arbeiten mussten. Von 24 Millionen Menschen, die in Britannien lebten, waren in den 1870er Jahren drei Viertel Arbeiter, doch nur eine halbe Million war in Gewerkschaften organisiert. Connollys frühe politische Entwicklung war geprägt durch den Kampf um die Organisierung der Arbeiter in Gewerkschaften und die Schaffung von politischen Organisationen, die die Arbeiterklasse vertreten können. James Connolly wurde Mitglied in der „Socialist League“, gegründet von William Morris und Eleanor Marx, einer revolutionären  Abspaltung der Sozialdemokratischen Föderation. Hier lernte Connolly den Marxismus kennen und lernte autodidaktisch Französisch und Deutsch, um das „Kommunistische Manifest“ und das „Kapital“ lesen zu können, die auf Englisch nicht erhältlich waren. Neben der der Socialist League widmete Connolly sich vor allem der Arbeit im Edinburgh Trades Council, dem örtlichen Gewerkschaftsverband, und begann, sich intensiv mit den Vorgängen in Irland zu beschäftigen.

Auf Einladung des Dubliner „Socialist Club“, der Connolly eine Stelle als Sekretär anbot, kehrte Connolly 1896 mit Lillie und den drei Töchtern nach Irland zurück.

Er gründete die Irish Socialist Republican Party (ISRP) und wurde ihr Organisationsverantwortlicher. Im Manifest der ISRP heißt es, „der private Besitz an Land und der Mittel der Produktion, Distribution und des Austauschs durch eine Klasse ist die fundamentale Basis jeglicher Unterdrückung, national, politisch und sozial. Die Unterwerfung eines Landes unter ein anderes, wie die Irlands unter die Autorität der britischen Krone, ist ein Hindernis der freien politischen und ökonomischen Entwicklung des unterworfenen Landes und kann nur den Interessen der ausbeutenden Klassen beider Länder dienen“.

Dies war die erste öffentliche Darstellung von Connollys Idee, dass der nationale Befreiungskampf untrennbar ist vom Kampf um den Sozialismus. Er überführte damit das Konzept des (irischen) Republikanismus in die Ära das Imperialismus: Die Arbeiterklasse muss den Kampf um nationale Unabhängigkeit und Sozialismus führen. Zu dieser Zeit wurden die meisten Sozialisten unterdrückter Nationen innerhalb der internationalen Arbeiterbewegung für ihren „Nationalismus“ verurteilt, während Sozialisten aus den imperialistischen Ländern ihre eigenen chauvinistische, pro-imperialistische Haltung oft nicht erkannten. Die Standortlogik lässt grüßen.

Die Erkenntnis Connollys, dass die Kapitalistenklasse unterdrückter Länder zur Wahrung ihrer Profitinteressen gegen die eigene Nation mit der Kapitalistenklasse des unterdrückenden Landes zusammenarbeitet, stellte ihn in direkte Opposition zu den Teilen der irischen Unabhängigkeitsbewegung, die auf Selbstverwaltung unter der britischen Krone setzten. Die ISRP erregte aber nicht nur durch ihre Theorie Aufsehen, sondern auch durch spektakuläre Aktionen, wie zum Beispiel zum diamantenen Krönungsjubiläum Königin Victorias, das in Irland pompös begangen werden sollte. Connolly organisierte einen Trauermarsch mit Särgen und schwarzen Fahnen, auf denen Fakten zur Hungersnot standen. Die Iren hatten nicht vergessen, was ihnen unter der Herrschaft Victorias widerfahren war, hunderte reihten sich in den Marsch ein. Connolly wurde verhaftet und verbrachte die Nacht im Gefängnis.

Um 1900 hatte die ISRP zwar Zulauf, kämpfte aber darum, die Herausgabe der von Connolly gegründeten Zeitung „Worker‘s Republic“ bezahlen zu können – ein Gehalt für Connolly war nicht in Sicht.  Der Lohn von 1 Pfund pro Woche, der ihm vor seiner Rückkehr nach Irland zugesagt worden war, kam niemals zustande, so dass die Familie Connolly in Armut lebte.

1902 begab sich Connolly auf eine Vortragsreise in die USA, 1903 siedelte er dorthin über und arbeitet als Organisationsverantwortlicher für die Sozialistische Arbeiterpartei und die International Workers of the World (IWW). Lillie und die fünf Kinder folgten 1904, das Wiedersehen wurde überschattet durch den Tod der 13jährigen Tochter Mona, die am Vorabend der Abreise an schweren Verbrennungen, die sie sich in einer Wäscherei zugezogen hatte, starb.

Die Familie kehrte 1910 nach Irland zurück, wo Connolly sein Hauptwerk „Labour in Irish History“ veröffentlichte. Als Gewerkschaftssekretär in Belfast setzte er sich mit dem konfessionellen Sektierertum innerhalb der Arbeiterklasse auseinander und wurde zu einem Unterstützer der Suffragettenbewegung in Irland und Britannien. In der Broschüre „The Re-Conquest of Ireland“ schrieb er: „Der Arbeiter ist der Sklave der kapitalistischen Gesellschaft. Die Arbeiterin ist die Sklavin dieses Sklaven.“ Die Gleichberechtigung der Frau blieb lebenslang ein Anliegen Connollys, was sich auch in der Proklamation der Irischen Republik 1916 wiederfand, die Frauen die gleichen Rechte wie Männern zusicherte.

Währenddessen gab es in ganz Irland soziale Auseinandersetzungen. 1908 gab es eine Aussperrung in Cork, 1912 eine Aussperrung der Gießerei-Arbeiter in Waxford und mehrere Streiks. Connolly war zu diesem Zeitpunkt gemeinsam mit dem Gewerkschaftsführer James Larkin für die Irish Transport and General Workers Union (ITGWU) tätig, die im Zuge der Auseinandersetzungen einen großen Zulauf hatte und zehntausende ungelernte Arbeiter aus ganz Irland organisierte. Während des Arbeitskampfes in Waxford gründeten Arbeiter die „Workers‘ Police“ (Arbeiterpolizei) um sich während der Aussperrung zu verteidigen. Dies war die erste Verteidigungsorgaisation von Arbeitern in Irland. Connolly gründete 1913 die „Irish Citizen Army“, um Streikende zu schützen, Vertreibungen zu verhindern und bezahlte Schlägertrupps daran zu hindern, Gewerkschaftstreffen zu sprengen. Für die große Aussperrung von Dublin 1913 spielte die Irish Citizen Army keine große Rolle, aber sie brachte Connolly an den Tisch derer, die später den Osteraufstand planten.

Nach der verherenden Niederlage bei der Aussperrung 1913 (James Larkin musste das Land verlassen, um einer langen Haftstrafe zu entgehen.) schien die Arbeiterklassse Irlands am Boden. Die „Workers‘ Republic“ wurde verboten.

Doch Connolly sah mit dem Weltkrieg die Zeit zum Handeln gekommen. Wie Lenin, mit dem er in Korrespondenz stand, (und im Gegensatz zu Rosa Luxemburg, die die nationale Frage völlig falsch einschätzte) war er der Ansicht, dass dies die Gelegenheit war, sich in ganz Europa gegen die herrschende Klasse zu erheben und dem Sozialismus den Weg zu ebnen. 1916 sollte es soweit sein. Connolly konfrontierte die „Irish Volunteers“ (eine bürgerliche Grupper irischer Republikaner) mit zwei Möglichkeiten: Entweder sie würden sich einem Aufstand anschließen oder die Citizen Army würde allein losschlagen. Dies alamierte die „Irish Republican Brotherhood“, die die Volunteers infiltriert hatte, um auf eine spätere bewaffnete Aktion hinzuarbeiten. Connolly erreichte eine Einigung mit der Brotherhood unter Padraig Pearse und sie legten den Zeitpunkt des Aufstands auf Ostern fest.

„Last uns uns erheben!“ Connollys Geburtshaus in Edinburgh.

„Last uns uns erheben!“ Connollys Geburtshaus in Edinburgh.

( Lars Mörking)

Am 24. April 1916 wurde die Proklamation der Irischen Republik auf den Stufen des Hauptpostamtes in der O‘Connel-Street in Dublin verlesen, Connolly war einer ihrer sieben Unterzeichner und Kommandeur der Dubliner Brigade während des Aufstands.

Schwer verwundet wurde er nach der Niederschlagung des Aufstands von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt. Als der Arzt bestätigte, dass Connolly seinen Verletzungen innerhalb der nächsten zwei Tage erliegen werde, brachte man ihn aus dem Militärkrankenhaus ins Gefängnis Kilmainham Goal, band ihn dort, da er nicht mehr stehen oder aufrecht sitzen konnte, an einen Stuhl und exekutierte ihn im Morgengrauen. Seine Leiche wurde mit denen der anderen Unterzeichner der Proklamation in einem Grab mit Löschkalk verbuddelt, eine Identifizierung sollte nicht möglich sein.

Irland ist heute geteilt, sechs Grafschaften im Norden sind immer noch von Britannien besetzt. Die Republik Irland trägt sich sowohl der EU als auch den USA als Juniorpartner an, im offiziell neutralen Irland starten US-Kampfflugzeuge vom Flughafen Shannon. Während Konzerne wie Google oder Facebook in Irland keine Steuern zahlen, kämpft die Bevölkerung gegen die Austeritätspolitik der EU für das Recht auf freien Zugang zu Wasser und für menschenwürdigen, bezahlbaren Wohnraum für alle. Als eine Mehrheit der Iren im Referendum gegen die Europäische Verfassung stimmte, wurde die Wahl einfach wiederholt, bis das Ergebnis stimmte. Connollys Weg der nationalen Befreiung zum Sozialismus ist noch weit.

Aber wenigstens der Herrschaft der Kirche haben die Irinnen und Iren am vergangenen Freitag einen Tritt verpasst.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Sie werden weiter herrschen", UZ vom 1. Juni 2018



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