Zweiter Akt im Prozess gegen den jungen Lehrer Luca. Landgericht verhängt Bewährungsstrafe

Sieben Monate fürs Demonstrieren

Tim Beyermann

Es ist der 31. Januar, wieder ein kühler Mittwoch. Wieder stehen mehr als 100 Menschen vor dem Landgericht in Frankfurt am Main Luca S. solidarisch zur Seite. Es sind viele neue Gesichter bei der Kundgebung, vor allem aus zwei Gruppen. Zum einen sind es Journalisten, die immer wieder mit Kameras durch die Menge huschen. Zum anderen sind dieses Mal viele junge Menschen hier. Luca S. ist nicht nur angehender Lehrer, er hat auch eine eigene Klasse, und die ist gar nicht damit einverstanden, dass ihr Lehrer vielleicht bald nicht mehr lehren darf. Die Reden auf der Kundgebung reichen von bestürzt bis wütend. Es sprechen Vertreterinnen und Vertreter der GEW, ein Personalvertreter und ein Schüler von Lucas Schule, die SDAJ, ein Sprecher des Netzwerks Berufsverbote und einer von der Partei „Die Linke“.

An diesem Tag geht das erstinstanzliche Urteil gegen Luca S. wegen „tätlichen Angriffs gegen Vollstreckungsbeamte“ in Revision. Angeklagt war Luca S., weil er auf einer Demonstration einen Rauchtopf aus dem Weg geräumt hatte, um die Behandlung von Verletzten zu erleichtern. Polizei und Staatsanwaltschaft hatten dem aktiven Gewerkschafter daraufhin einen gezielten Wurf unterstellt. Im ersten Verfahren wurden drei Anklagepunkte fallengelassen. Die Richterin konnte den Staatsanwalt jedoch nicht dazu bewegen, auch auf den vierten Punkt zu verzichten, und verurteilte Luca zu 90 Tagessätzen. Zu wenig, befand die Staatsanwaltschaft und ging in Revision. Der politischen Sphäre des Verfahrens waren sich alle Beteiligten bewusst. Der Fall hatte Wellen geschlagen und es war dem Soli-Kreis gelungen, Aufmerksam und Unterstützung zu organisieren. Dennoch hätte das erste Urteil, wenn es dabei geblieben wäre, dem angehenden Lehrer zumindest die Chance geboten, mit diesem Teil der Geschichte abzuschließen – auf einen Freispruch kann man in einem politischen Verfahren wie diesem nicht hoffen.

Zurück im Gericht: Der Weg in den viel zu kleinen Zuschauerraum des Gerichtssaals passt sich der Absurdität des Verfahrens an. Man ist bemüht, allen Pressevertretern einen der 17 (!) Plätze anzubieten. Für Freunde und Familie bleibt kaum Platz und schon gar nicht für die vielen Unterstützerinnen und Unterstützer. Viele von ihnen haben sich extra freigenommen und werden bis zur Urteilsverkündung vor dem Gebäude warten. Beim Einlass reagiert vor allem einer der vier eingesetzten Beamten äußerst aggressiv. Warum dieses Mal penibel Ausweise und Taschen kontrolliert werden, erfahren wir zunächst nicht. Einer seiner Kolleginnen ist dieses Verhalten so peinlich, dass sie auf Nachfrage erklärt, dass es im Ermessen des Richters liegt, ob Kontrollen durchgeführt werden oder nicht.

Der Richter hat sich für die Verhandlung noch weitere Spitzen zurechtgelegt, wie sich schnell herausstellt. Mehrfach macht er sich schon fast über den Angeklagten lustig und fragt, warum dieser nicht auch seinerseits in Revision gegangen sei, so könne nur noch die Höhe der Strafe festgestellt, aber nicht mehr auf Freispruch plädiert werden. Ein juristischer Fehler der Strafverteidigerin aus dem ersten Verfahren, den Luca S. auf schlechte Beratung zurückführt. Ebenso süffisant arbeitet sich der Richter anschließend am Presseecho ab und stellt in Frage, ob so jemand überhaupt Lehrer werden solle. Die 17 hinter einer Glasscheibe eingepferchten Zuschauerinnen und Zuschauer beschreiben das Geschehen im Nachhinein mehrheitlich als nur schwer zu ertragen.

Neue Beweise gibt es keine, neue Zeugen werden nicht gehört. Am Ende des Tages wird Luca S. vom Vorsitzenden Richter und zwei Schöffen zu sieben Monaten auf Bewährung sowie zur Übernahme der Gerichtskosten verurteilt. Damit ist die Strafe jetzt mehr als doppelt so hoch. Der Vorhang fällt – für heute. Doch der dritte Akt wird folgen.

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"Sieben Monate fürs Demonstrieren", UZ vom 9. Februar 2024



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