Als die DDR-Hymne zweimal gespielt wurde

Sieg oder…

Von Klaus Huhn

Dieser Tage jährte sich zum 55. Mal ein Kapitel der Eishockeygeschichte, an das man erinnern sollte, zumal es sich seitdem nie wiederholte und demzufolge blanke Rarität blieb. Die Weltmeisterschaft 1961 fand in Genf und Lausanne statt und die Schweizer Gastgeber hatten zwei „Schlager“ für den letzten Tag reserviert: BRD gegen DDR und UdSSR gegen Kanada. Niemand ahnte, dass die erste Partie nie stattfinden würde, und zwar aus rein politischen Gründen. Wie seit eh und je gehörte es zur WM-Gepflogenheit, dass am Ende eines Spiels die Hymne des Siegers gespielt wurde. Also musste man in Bonn damit rechnen, dass in Genf die DDR-Hymne gespielt werden würde. Ganz am Rande: Man schrieb den 12. März 1961 und die Mauer stand noch nicht.

Bonn ließ die bundesdeutsche Mannschaft wissen, dass sie einen Sieg garantieren müsse, was in der Sportgeschichte noch nie von einer Regierung verlangt worden war. Ich war vor Ort und hatte seit langem einen guten Kontakt zu einem bundesdeutschen Eishockeyfunktionär, der die Kabine der Mannschaft verlassen hatte, als der damalige Chef des bundesdeutschen Sports, Willi Daume, in seinem Sportwagen vor die Halle gefahren war und der Mannschaft die Order aus Bonn übermittelt hatte: Sieg oder Spielverzicht. Der Bekannte flüsterte mir die unglaubliche Mitteilung zu, ich flüsterte sie dem DDR-Trainer weiter, der mir Schläge androhte, weil er sie für einen üblen Trick hielt. Also schwieg der Trainer gegenüber den Spielern. Die DDR-Mannschaft zog sich um und stakelte zum Eis. Die andere Hälfte des „Feldes“ aber blieb leer. Die Schiedsrichter walteten ihres Amtes und pfiffen die Partie an. Manfred Buder feuerte den Puck auf das leere Tor. Die Schiedsrichter pfiffen die Partie ab und trugen auf dem Berichtsbogen einen 5:0-Sieg der DDR ein. Dann erklang die Hymne der DDR!

Inzwischen zerbrachen sich die Gastgeber den Kopf, wie sie das die Tribünen füllende Publikum zufriedenstellen könnten und fragten den DDR-Mannschaftsleiter, ob er bereit sei, gegen eine internationale Mannschaft zu spielen. Er willigte ein und die Veranstalter rasten in die Quartiere der verschiedenen Mannschaften und fragten die Aktiven, ob sie bereit wären, gegen die DDR anzutreten. Es kam mehr als eine Mannschaft zusammen und das Publikum erlebte ein turbulentes Spiel, das 5:3 für die DDR endete. Die Veranstalter spielten demonstrativ die DDR-Hymne zum zweiten Mal!

Hinter den Kulissen tat sich indessen einiges. Die DDR rangierte in der Fairplay-Tabelle zu diesem Zeitpunkt auf dem dritten Rang und wurde durch Abstimmung der Fairplay-Kommission auf Rang eins befördert. Jeder Spieler erhielt eine Urkunde und eine kostbare – wenn ich mich richtig erinnere, kostete sie in den Läden eine vierstellige Summe Schweizer Franken – Armbanduhr.

Daume hatte den Journalisten, die nicht begriffen, was eine Mannschaft bewegen konnte, die Weltmeisterschaft zu boykottieren, erklären wollen, dass die DDR ein „Unrechtsstaat“ war und man nicht gegen „Unrechtsstaaten“ spielen würde, aber als er die Veranstalter um einen Saal bat, antwortete der Manager der WM ihm: „Sie haben in dieser Halle einen Raum, den sie jederzeit benutzen können, nämlich ihre Umkleidekabine!“

Daume musste sich also zwischen Schlägern und Trikots auf einer der Bänke einen Platz suchen und versuchte es mit der Ausrede, dass der bundesdeutsche Sport wegen der Politisierung des DDR-Sports jeden Kontakt abgebrochen habe. Die Frage eines Schweizer Journalisten, wie er denn die Spiel-Verweigerung politisch einordnen würde, ignorierte er. Auch weitere Fragen beantwortete er nicht und eilte auf den Parkplatz, um nach Hause zu fahren.

Ursprünglich hatte man sogar versucht, der DDR-Mannschaft die Visa zu verweigern, aber dazu gab sich die Schweizer Regierung nicht her. Ein Jahr später war das einfacher: Die Weltmeisterschaft fand in Denver (USA) statt. Als der DDR die Visa verweigert wurden, entschlossen sich die UdSSR und die CSSR, auf die Teilnahme zu verzichten. Die Weltmeisterschaft wurde zum Vorort-Turnier.

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"Sieg oder…", UZ vom 1. April 2016



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