Zu den Reaktionen deutscher Politiker auf Palästina-solidarische Äußerungen auf der Berlinale

Skandal in Berlin

Durch die deutsche Medienlandschaft geht wieder mal ein unheilvolles Raunen. „Skandal“ tönt es, nachdem es beim Internationalen Filmfest Berlinale einige Künstler gewagt hatten, ihre Meinung über den Völkermord in Gaza offen und vor laufenden Kameras zum Ausdruck zu bringen.

Bei der Preisverleihung trugen mehrere der ausgezeichneten Künstler auf der Bühne einen Zettel mit der Aufschrift „Ceasefire Now“. Der palästinensische Filmemacher Basel Adra, der mit seiner Dokumentation „No Other Land“, in dem die Vertreibung von Palästinensern in Dörfern südlich von Hebron im Westjordanland geschildert wird, den Dokumentarfilmpreis gewonnen hat, hatte die Kühnheit, Deutschland aufzufordern, keine Waffen mehr an Israel zu liefern. Daraufhin erregte sich der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, darüber, dass dieser Auftritt „beklatscht“ worden und „unkommentiert geblieben“ sei. Das sei „ein kultureller, intellektueller und ethischer Tiefpunkt“ der Berlinale, schrieb der grüne Herr Beck.

Der Filmemacher Ben Russell hatte bei der Übernahme seines Preises im Zusammenhang mit dem Gaza-Krieg von „Genozid“ gesprochen. Darüber erregte sich ein anderer Grünen-Politiker namens Konstantin von Notz. Es sei „schlicht ekelhaft und eine perfide Täter-Opfer-Umkehr.“ Berlins Kultursenator Joe Chialo von der CDU sprach von „selbstgerechter antiisraelischer Propaganda, die nicht auf die Bühnen Berlins gehört“.

Israels Botschafter in Berlin diffamierte die Aufrufe zur Waffenruhe in Gaza als „antisemitische und israelfeindliche Äußerungen“ und erregte sich über den „tosenden Applaus“ für die Forderung nach Frieden. Die deutsche Kulturszene rolle den roten Teppich „ausschließlich für Künstler“ aus, die sich für „Israels Delegitimierung“ einsetzen, wetterte der Botschafter und forderte von der „Kultur-Elite“: „Es ist an der Zeit, Ihre Stimme zu erheben und dieser grotesken Scharade eine Absage zu erteilen.“

In diesen Chor reihten sich anschließend weitere Vertreter der „Polit-Elite“ ein. Für alle, die sich da lauthals äußern, gibt es für den Krieg in Gaza nur eine Schuldtragende: die Hamas. In einer Meldung der Deutschen Presseagentur hieß es am Montag: „Die islamistische Hamas, die im Gazastreifen Krieg gegen Israel führt…“ Es ist also ausschließlich die Hamas, die Krieg führt, und das auch noch im eigenen Land, gegen eine ausländische Macht? Und die israelische Armee unternimmt nichts anderes als sich zu verteidigen? Auf fremden Territorium? Und die mindestens 30.000 Toten und 70.000 Verletzten, darunter vorwiegend Kinder, Jugendliche und Frauen sind nur „Kollateralschäden“? Und die Forderung, diesen Wahnsinn zu beenden, ist eine „Delegitimierung Israels“?

Diese Perversion hat sich so in die Köpfe eingehämmert, dass es immer noch zu viele Menschen gibt, die sich nicht trauen, offen ihren Protest zum Ausdruck zu bringen. Wer es wagt, Israels Massaker an den Palästinensern anzuprangern, sie als Völkermord zu bezeichnen und ein Ende des Krieges zu fordern, wird als Antisemit diffamiert. Die deutsche Regierung wird nicht müde, immer wieder von einer besonderen Verantwortung für Israel zu reden und vom „Recht auf Selbstverteidigung“ – koste es, was es wolle. Das Recht der Palästinenser auf ein Leben in Frieden und Selbstbestimmung passt da nicht hinein.

Das ist der eigentliche Skandal von Berlin.

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